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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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höchstens 14 Silbergroschen -- ich glaube, selbst in mancher deutschen Klein¬
stadt wandelt den Cölibatär bei diesem Gedanken eine leise Sehnsucht nach
dem Seinestrande an.

Nirgends tritt die philiströse Engherzigkeit, welche Berlin noch immer
in den Gliedern steckt, unangenehmer an den Tag. als in so manchen für
öffentliche Zwecke bestimmten Bauten. Man betrachte z. B. die Concertsäle.
Den ersten Rang nimmt das Gebäude der Singakademie ein: der Saal
selbst, obgleich wenig praktisch angelegt, mag angehen, aber der Aufgang
und die Garderoberäumlichkeiten sind, unaufhörlich der Gegenstand weiblicher
Seufzer und männlicher Kraftausrufe. Indeß, die Singakademie ist ein wahres
Paradies gegen Berlins neuesten und großartigsten Concertsaal, die "Neichs-
hallen". Was hier, in jener Glanzzeit des Gründerthums, welche die deutsche
Kaiserstadt im Handumdrehen zur tonangebenden Weltstadt machen wollte,
an Engigkeit und Winkeligkeit der Treppen und an jeglicher Abwesenheit
eines für einen auch nur mäßigen Personenandrang genügenden Garderobe¬
raumes geleistet ist, übersteigt schlechterdings das menschliche Fassungsvermögen.
Den Gedanken, was hier bei plötzlichem Feuerlärm, auch wenn er durchaus
grundlos wäre, geschehen könnte, wagt man gar nicht auszudenken. Auch in
den Berliner Theatern sind die äußeren Räume mit entsetzlicher Knappheit
bemessen. Ist man doch selbst bei dem vor kaum einem Jahrzehnt gebauten
Wallnertheater, das dem Berliner damals ein halbes Weltwunder dünkte,
nicht einmal auf die Anlage eines Foyers bedacht gewesen! Nachträglich
haben einige der kleineren Bühnen solche eingeflickt, aber grade die beiden
Königlichen Theater ermangeln ganz und gar eines Raumes, in welchem der
Besucher während der Zwischenacte sich ergehen und Luft schöpfen könnte.
Dagegen vergleiche man die Pariser Theater. Ich rede nicht von der neuen
Oper, welche, weil soeben erst erbaut, selbstverständlich die modernsten und
weitgehendsten Ansprüche an den Comfort befriedigt, außerdem aber auch in
räumlichen Verhältnissen und mit Hülfe von Mitteln errichtet ist, wie sie in
solcher Ueberschwänglichkeit in Berlin zu dem gleichen Zwecke niemals zur
Verfügung stehen werden. Aber mit dem alten, noch aus dem Anfang des
17- Jahrhunderts stammenden ^Keatrs ?ranczais und der ebenfalls bereits
recht bejahrten 0x6lA evmiyus sollten unsere weit jüngeren Schauspielgebäude
doch den Vergleich aushalten können. In beiden findet man, wie in den
Privattheatern, leidlich geräumige Foyers mit Balcons, während man bei
uns während der Zwischenacte in die Stickluft der engen Corridore ge¬
bannt bleibt.

Kurz, es ist in Allem der große Styl und eine freigebige Berücksichtigung
der Bedürfnisse, wodurch sich Paris hervorthut, während in Berlin regel¬
mäßig an irgend einer Stelle die Knauserei hervorguckt. Es liegt das zum


Grenzboten IV. 187S. 60

höchstens 14 Silbergroschen — ich glaube, selbst in mancher deutschen Klein¬
stadt wandelt den Cölibatär bei diesem Gedanken eine leise Sehnsucht nach
dem Seinestrande an.

Nirgends tritt die philiströse Engherzigkeit, welche Berlin noch immer
in den Gliedern steckt, unangenehmer an den Tag. als in so manchen für
öffentliche Zwecke bestimmten Bauten. Man betrachte z. B. die Concertsäle.
Den ersten Rang nimmt das Gebäude der Singakademie ein: der Saal
selbst, obgleich wenig praktisch angelegt, mag angehen, aber der Aufgang
und die Garderoberäumlichkeiten sind, unaufhörlich der Gegenstand weiblicher
Seufzer und männlicher Kraftausrufe. Indeß, die Singakademie ist ein wahres
Paradies gegen Berlins neuesten und großartigsten Concertsaal, die „Neichs-
hallen". Was hier, in jener Glanzzeit des Gründerthums, welche die deutsche
Kaiserstadt im Handumdrehen zur tonangebenden Weltstadt machen wollte,
an Engigkeit und Winkeligkeit der Treppen und an jeglicher Abwesenheit
eines für einen auch nur mäßigen Personenandrang genügenden Garderobe¬
raumes geleistet ist, übersteigt schlechterdings das menschliche Fassungsvermögen.
Den Gedanken, was hier bei plötzlichem Feuerlärm, auch wenn er durchaus
grundlos wäre, geschehen könnte, wagt man gar nicht auszudenken. Auch in
den Berliner Theatern sind die äußeren Räume mit entsetzlicher Knappheit
bemessen. Ist man doch selbst bei dem vor kaum einem Jahrzehnt gebauten
Wallnertheater, das dem Berliner damals ein halbes Weltwunder dünkte,
nicht einmal auf die Anlage eines Foyers bedacht gewesen! Nachträglich
haben einige der kleineren Bühnen solche eingeflickt, aber grade die beiden
Königlichen Theater ermangeln ganz und gar eines Raumes, in welchem der
Besucher während der Zwischenacte sich ergehen und Luft schöpfen könnte.
Dagegen vergleiche man die Pariser Theater. Ich rede nicht von der neuen
Oper, welche, weil soeben erst erbaut, selbstverständlich die modernsten und
weitgehendsten Ansprüche an den Comfort befriedigt, außerdem aber auch in
räumlichen Verhältnissen und mit Hülfe von Mitteln errichtet ist, wie sie in
solcher Ueberschwänglichkeit in Berlin zu dem gleichen Zwecke niemals zur
Verfügung stehen werden. Aber mit dem alten, noch aus dem Anfang des
17- Jahrhunderts stammenden ^Keatrs ?ranczais und der ebenfalls bereits
recht bejahrten 0x6lA evmiyus sollten unsere weit jüngeren Schauspielgebäude
doch den Vergleich aushalten können. In beiden findet man, wie in den
Privattheatern, leidlich geräumige Foyers mit Balcons, während man bei
uns während der Zwischenacte in die Stickluft der engen Corridore ge¬
bannt bleibt.

Kurz, es ist in Allem der große Styl und eine freigebige Berücksichtigung
der Bedürfnisse, wodurch sich Paris hervorthut, während in Berlin regel¬
mäßig an irgend einer Stelle die Knauserei hervorguckt. Es liegt das zum


Grenzboten IV. 187S. 60
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[0477] höchstens 14 Silbergroschen — ich glaube, selbst in mancher deutschen Klein¬ stadt wandelt den Cölibatär bei diesem Gedanken eine leise Sehnsucht nach dem Seinestrande an. Nirgends tritt die philiströse Engherzigkeit, welche Berlin noch immer in den Gliedern steckt, unangenehmer an den Tag. als in so manchen für öffentliche Zwecke bestimmten Bauten. Man betrachte z. B. die Concertsäle. Den ersten Rang nimmt das Gebäude der Singakademie ein: der Saal selbst, obgleich wenig praktisch angelegt, mag angehen, aber der Aufgang und die Garderoberäumlichkeiten sind, unaufhörlich der Gegenstand weiblicher Seufzer und männlicher Kraftausrufe. Indeß, die Singakademie ist ein wahres Paradies gegen Berlins neuesten und großartigsten Concertsaal, die „Neichs- hallen". Was hier, in jener Glanzzeit des Gründerthums, welche die deutsche Kaiserstadt im Handumdrehen zur tonangebenden Weltstadt machen wollte, an Engigkeit und Winkeligkeit der Treppen und an jeglicher Abwesenheit eines für einen auch nur mäßigen Personenandrang genügenden Garderobe¬ raumes geleistet ist, übersteigt schlechterdings das menschliche Fassungsvermögen. Den Gedanken, was hier bei plötzlichem Feuerlärm, auch wenn er durchaus grundlos wäre, geschehen könnte, wagt man gar nicht auszudenken. Auch in den Berliner Theatern sind die äußeren Räume mit entsetzlicher Knappheit bemessen. Ist man doch selbst bei dem vor kaum einem Jahrzehnt gebauten Wallnertheater, das dem Berliner damals ein halbes Weltwunder dünkte, nicht einmal auf die Anlage eines Foyers bedacht gewesen! Nachträglich haben einige der kleineren Bühnen solche eingeflickt, aber grade die beiden Königlichen Theater ermangeln ganz und gar eines Raumes, in welchem der Besucher während der Zwischenacte sich ergehen und Luft schöpfen könnte. Dagegen vergleiche man die Pariser Theater. Ich rede nicht von der neuen Oper, welche, weil soeben erst erbaut, selbstverständlich die modernsten und weitgehendsten Ansprüche an den Comfort befriedigt, außerdem aber auch in räumlichen Verhältnissen und mit Hülfe von Mitteln errichtet ist, wie sie in solcher Ueberschwänglichkeit in Berlin zu dem gleichen Zwecke niemals zur Verfügung stehen werden. Aber mit dem alten, noch aus dem Anfang des 17- Jahrhunderts stammenden ^Keatrs ?ranczais und der ebenfalls bereits recht bejahrten 0x6lA evmiyus sollten unsere weit jüngeren Schauspielgebäude doch den Vergleich aushalten können. In beiden findet man, wie in den Privattheatern, leidlich geräumige Foyers mit Balcons, während man bei uns während der Zwischenacte in die Stickluft der engen Corridore ge¬ bannt bleibt. Kurz, es ist in Allem der große Styl und eine freigebige Berücksichtigung der Bedürfnisse, wodurch sich Paris hervorthut, während in Berlin regel¬ mäßig an irgend einer Stelle die Knauserei hervorguckt. Es liegt das zum Grenzboten IV. 187S. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/477>, abgerufen am 22.07.2024.