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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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doxeste Unitarier Einspruch erheben würde. Ebensowenig sehnt sich unser
Herz darnach, die Kunstschätze unserer Hauptstadt durch Mittel zu vermehren,
welchen in den Sammlungen des Louvre neben anderen älteren "Errungen¬
schaften" die chinesische und die mexikanische Abtheilung ihren Reichthum ver¬
danken. Aber wie unendlich viel bleibt übrig, um was der deutsche Haupt¬
städter Paris von ganzem Herzen beneiden darf! Ich denke dabei nicht ein¬
mal an die Vorzüge, welche die Natur dem reizenden Seinebecken vor der
sandig-öden Mark verliehen hat, auch nicht an das leichtlebige Temperament
und das liebenswürdige Wesen, durch welches der Pariser sich vor der
Philiströsen Schwerfälligkeit des Berliners auszeichnet. Solche Gunst oder
Mißgunst der Götter nachträglich erheblich zu corrigtren ist keinem Sterblichen
gegeben. Aber was menschliches Wollen und Können vermag, -- warum
sollte man darin an der Spree hinter Paris zurückstehen? Und doch muß
man aus Schritt und Tritt gewahren, daß dem allerdings so ist. Eines
springt dem vergleichenden Beobachter in Paris sofort in die Augen: der
unendlich bessere Zustand der Straßen. Von den macadamisirten Strecken
ganz abgesehen, findet man in den entlegensten Stadttheilen ein Pflaster,
welches die glänzendsten Viertel Berlins beschämt. Und dazu hat die Unter¬
haltung der Straßen in Paris meistens mit sehr ungünstigen Raum - und
Bodenverhältnissen zu kämpfen. Mit Ausnahme der Boulevards und ver¬
hältnißmäßig sehr weniger breiter Straßen, ist der äußerst rege Verkehr auf
enge, krumme und winklige Gassen angewiesen, die noch dazu nicht selten, wie
im Faubourg Montmartre, in Belleville, Menilmontant, Quartier latin u. s. w.,
eine beträchtliche Steigung zu überwinden haben. Wie anders dagegen z. B.
die Berliner Friedrichsstadt mit ihren breiten, schnurgrader und gänzlich
ebenen Straßen! Aber wehe dem Unglücklichen, der sich von einer echten
Berliner Droschke durch die Seitenstraßen der Großen Friedrichsstraße rumpeln
lassen oder dessen Stiefelsohlen, wenn er auf dem Trottoir von der schmalen
Steinplatte abgedrängt wird, mit den spitzigen Feldsteinen Bekanntschaft
machen müssen! Noch wohlthuender aber, als durch das Pflaster, unterscheidet
sich Paris von Berlin durch die Abwesenheit der "Rinnsteine". Wer die
Naturgeschichte dieser Berliner Specialität, besonders im Sommer, studirr
hat, wird das Behagen begreifen, das den deutschen Wanderer bet der Wahr¬
nehmung dieser Abwesenheit beschleicht. Wohin immer man sich in Paris
verirre, nirgends und nie, auch an den heißesten Tagen nicht, wird man von
teilen Wohlgerüchen belästigt werden, die in den elegantesten Straßen Berlins
dem Menschen zur Sommerszeit den Athem versetzen. Das soll nun freilich
auch in Berlin Alles anders werden. Angenehmer aber ist der sichere Besitz,
als die Vertröstung auf eine ungewisse Zukunft.

Erheblich besser ist es ferner in Paris um die Communicationsmittel


doxeste Unitarier Einspruch erheben würde. Ebensowenig sehnt sich unser
Herz darnach, die Kunstschätze unserer Hauptstadt durch Mittel zu vermehren,
welchen in den Sammlungen des Louvre neben anderen älteren „Errungen¬
schaften" die chinesische und die mexikanische Abtheilung ihren Reichthum ver¬
danken. Aber wie unendlich viel bleibt übrig, um was der deutsche Haupt¬
städter Paris von ganzem Herzen beneiden darf! Ich denke dabei nicht ein¬
mal an die Vorzüge, welche die Natur dem reizenden Seinebecken vor der
sandig-öden Mark verliehen hat, auch nicht an das leichtlebige Temperament
und das liebenswürdige Wesen, durch welches der Pariser sich vor der
Philiströsen Schwerfälligkeit des Berliners auszeichnet. Solche Gunst oder
Mißgunst der Götter nachträglich erheblich zu corrigtren ist keinem Sterblichen
gegeben. Aber was menschliches Wollen und Können vermag, — warum
sollte man darin an der Spree hinter Paris zurückstehen? Und doch muß
man aus Schritt und Tritt gewahren, daß dem allerdings so ist. Eines
springt dem vergleichenden Beobachter in Paris sofort in die Augen: der
unendlich bessere Zustand der Straßen. Von den macadamisirten Strecken
ganz abgesehen, findet man in den entlegensten Stadttheilen ein Pflaster,
welches die glänzendsten Viertel Berlins beschämt. Und dazu hat die Unter¬
haltung der Straßen in Paris meistens mit sehr ungünstigen Raum - und
Bodenverhältnissen zu kämpfen. Mit Ausnahme der Boulevards und ver¬
hältnißmäßig sehr weniger breiter Straßen, ist der äußerst rege Verkehr auf
enge, krumme und winklige Gassen angewiesen, die noch dazu nicht selten, wie
im Faubourg Montmartre, in Belleville, Menilmontant, Quartier latin u. s. w.,
eine beträchtliche Steigung zu überwinden haben. Wie anders dagegen z. B.
die Berliner Friedrichsstadt mit ihren breiten, schnurgrader und gänzlich
ebenen Straßen! Aber wehe dem Unglücklichen, der sich von einer echten
Berliner Droschke durch die Seitenstraßen der Großen Friedrichsstraße rumpeln
lassen oder dessen Stiefelsohlen, wenn er auf dem Trottoir von der schmalen
Steinplatte abgedrängt wird, mit den spitzigen Feldsteinen Bekanntschaft
machen müssen! Noch wohlthuender aber, als durch das Pflaster, unterscheidet
sich Paris von Berlin durch die Abwesenheit der „Rinnsteine". Wer die
Naturgeschichte dieser Berliner Specialität, besonders im Sommer, studirr
hat, wird das Behagen begreifen, das den deutschen Wanderer bet der Wahr¬
nehmung dieser Abwesenheit beschleicht. Wohin immer man sich in Paris
verirre, nirgends und nie, auch an den heißesten Tagen nicht, wird man von
teilen Wohlgerüchen belästigt werden, die in den elegantesten Straßen Berlins
dem Menschen zur Sommerszeit den Athem versetzen. Das soll nun freilich
auch in Berlin Alles anders werden. Angenehmer aber ist der sichere Besitz,
als die Vertröstung auf eine ungewisse Zukunft.

Erheblich besser ist es ferner in Paris um die Communicationsmittel


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[0475] doxeste Unitarier Einspruch erheben würde. Ebensowenig sehnt sich unser Herz darnach, die Kunstschätze unserer Hauptstadt durch Mittel zu vermehren, welchen in den Sammlungen des Louvre neben anderen älteren „Errungen¬ schaften" die chinesische und die mexikanische Abtheilung ihren Reichthum ver¬ danken. Aber wie unendlich viel bleibt übrig, um was der deutsche Haupt¬ städter Paris von ganzem Herzen beneiden darf! Ich denke dabei nicht ein¬ mal an die Vorzüge, welche die Natur dem reizenden Seinebecken vor der sandig-öden Mark verliehen hat, auch nicht an das leichtlebige Temperament und das liebenswürdige Wesen, durch welches der Pariser sich vor der Philiströsen Schwerfälligkeit des Berliners auszeichnet. Solche Gunst oder Mißgunst der Götter nachträglich erheblich zu corrigtren ist keinem Sterblichen gegeben. Aber was menschliches Wollen und Können vermag, — warum sollte man darin an der Spree hinter Paris zurückstehen? Und doch muß man aus Schritt und Tritt gewahren, daß dem allerdings so ist. Eines springt dem vergleichenden Beobachter in Paris sofort in die Augen: der unendlich bessere Zustand der Straßen. Von den macadamisirten Strecken ganz abgesehen, findet man in den entlegensten Stadttheilen ein Pflaster, welches die glänzendsten Viertel Berlins beschämt. Und dazu hat die Unter¬ haltung der Straßen in Paris meistens mit sehr ungünstigen Raum - und Bodenverhältnissen zu kämpfen. Mit Ausnahme der Boulevards und ver¬ hältnißmäßig sehr weniger breiter Straßen, ist der äußerst rege Verkehr auf enge, krumme und winklige Gassen angewiesen, die noch dazu nicht selten, wie im Faubourg Montmartre, in Belleville, Menilmontant, Quartier latin u. s. w., eine beträchtliche Steigung zu überwinden haben. Wie anders dagegen z. B. die Berliner Friedrichsstadt mit ihren breiten, schnurgrader und gänzlich ebenen Straßen! Aber wehe dem Unglücklichen, der sich von einer echten Berliner Droschke durch die Seitenstraßen der Großen Friedrichsstraße rumpeln lassen oder dessen Stiefelsohlen, wenn er auf dem Trottoir von der schmalen Steinplatte abgedrängt wird, mit den spitzigen Feldsteinen Bekanntschaft machen müssen! Noch wohlthuender aber, als durch das Pflaster, unterscheidet sich Paris von Berlin durch die Abwesenheit der „Rinnsteine". Wer die Naturgeschichte dieser Berliner Specialität, besonders im Sommer, studirr hat, wird das Behagen begreifen, das den deutschen Wanderer bet der Wahr¬ nehmung dieser Abwesenheit beschleicht. Wohin immer man sich in Paris verirre, nirgends und nie, auch an den heißesten Tagen nicht, wird man von teilen Wohlgerüchen belästigt werden, die in den elegantesten Straßen Berlins dem Menschen zur Sommerszeit den Athem versetzen. Das soll nun freilich auch in Berlin Alles anders werden. Angenehmer aber ist der sichere Besitz, als die Vertröstung auf eine ungewisse Zukunft. Erheblich besser ist es ferner in Paris um die Communicationsmittel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/475>, abgerufen am 22.07.2024.