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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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dänischen beunruhigte Murat, dessen Befürchtungen sich steigerten, als der
Staatsrath Dandolo ihm schrieb: "Sire, der Carbonarismus verbreitet sich
in Italien, befreien Sie Ihr Königreich, wo möglich, davon; denn die Secte
ist eine Feindin der Throne." Andrerseits rieth ihm sein Polizeiminister
Maghella, sich offen gegen Napoleon zu erklären, die Unabhängigkeit Ita¬
liens zu verkünden und zu diesem Zwecke die Carbonari zu begünstigen. Die
von ihm ergriffenen Maßregeln vermehrten indeß nur die Thätigkeit des Bun¬
des und die Hoffnungen der vertriebenen Bourbonen, die im benachbarten Sici-
lien jede Wendung beobachteten, welche ihre Rückkehr beschleunigen konnte.
Murat verbot und verfolgte die Carbonari, wogegen dieselben von den Bour¬
bonen und England protegirt und befördert wurden. Die Emissäre, die nach
Palermo gesandt worden waren, kamen mit einem Jnsurrectionsplane zurück,
der von den Carbonari in Calabrien und den Abruzzen ausgeführt wurde.
Murat schickte den General Marsch gegen die Aufständischen, und es gelang
demselben, eine Anzahl der Führer gefangen zu nehmen, die darauf erschossen
wurden. Die Empörung dauerte dann noch einige Wochen fort, aber die
Königin Karoline Murat, damals Regentin für ihren abwesenden Gemahl,
wußte sie schließlich durch energisches Einschreiten zu dämpfen.

Um diese Zeit verursachten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der
Secte einen Riß. Einige leitende Persönlichkeiten, welche die Unmöglichkeit
einsahen, eine so zahlreiche und weitverbreitete Genossenschaft zu regieren,
entwarfen den Plan einer Reform und führten denselben in der Stille so
schnell als möglich aus. Dabei wurden viele Mitglieder ausgestoßen, die
sich nun mit der inzwischen zu Palermo entstandenen Gesellschaft der
"Cat derart", d. h. Kesselschmiede, vereinigten, welche zwar ebenfalls die
Befreiung Italiens und zunächst Neapels von der Fremdherrschaft erstrebte,
aber theils durch den Groll jener Ausgestoßnen, theils durch den Umstand,
daß zu ihr viele der bigotten und absolutistischen Sanfedisten von 1799 ge¬
hörten , trotzdem bald zu einer sehr eifrigen Bekämpferin der Carbonari wer¬
den sollre. Murat entschloß sich endlich, sich ins Einvernehmen mit den Car¬
bonari zu setzen, die ihm durch ihre Zahl imponirten, und dieselben zu unter¬
stützen. Aber es war zu spät. Sie hatten kein Zutrauen zu ihm, auch
kannten sie seine verzweifelte Lage, und so ließen sie ihn fallen.




dänischen beunruhigte Murat, dessen Befürchtungen sich steigerten, als der
Staatsrath Dandolo ihm schrieb: „Sire, der Carbonarismus verbreitet sich
in Italien, befreien Sie Ihr Königreich, wo möglich, davon; denn die Secte
ist eine Feindin der Throne." Andrerseits rieth ihm sein Polizeiminister
Maghella, sich offen gegen Napoleon zu erklären, die Unabhängigkeit Ita¬
liens zu verkünden und zu diesem Zwecke die Carbonari zu begünstigen. Die
von ihm ergriffenen Maßregeln vermehrten indeß nur die Thätigkeit des Bun¬
des und die Hoffnungen der vertriebenen Bourbonen, die im benachbarten Sici-
lien jede Wendung beobachteten, welche ihre Rückkehr beschleunigen konnte.
Murat verbot und verfolgte die Carbonari, wogegen dieselben von den Bour¬
bonen und England protegirt und befördert wurden. Die Emissäre, die nach
Palermo gesandt worden waren, kamen mit einem Jnsurrectionsplane zurück,
der von den Carbonari in Calabrien und den Abruzzen ausgeführt wurde.
Murat schickte den General Marsch gegen die Aufständischen, und es gelang
demselben, eine Anzahl der Führer gefangen zu nehmen, die darauf erschossen
wurden. Die Empörung dauerte dann noch einige Wochen fort, aber die
Königin Karoline Murat, damals Regentin für ihren abwesenden Gemahl,
wußte sie schließlich durch energisches Einschreiten zu dämpfen.

Um diese Zeit verursachten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der
Secte einen Riß. Einige leitende Persönlichkeiten, welche die Unmöglichkeit
einsahen, eine so zahlreiche und weitverbreitete Genossenschaft zu regieren,
entwarfen den Plan einer Reform und führten denselben in der Stille so
schnell als möglich aus. Dabei wurden viele Mitglieder ausgestoßen, die
sich nun mit der inzwischen zu Palermo entstandenen Gesellschaft der
„Cat derart", d. h. Kesselschmiede, vereinigten, welche zwar ebenfalls die
Befreiung Italiens und zunächst Neapels von der Fremdherrschaft erstrebte,
aber theils durch den Groll jener Ausgestoßnen, theils durch den Umstand,
daß zu ihr viele der bigotten und absolutistischen Sanfedisten von 1799 ge¬
hörten , trotzdem bald zu einer sehr eifrigen Bekämpferin der Carbonari wer¬
den sollre. Murat entschloß sich endlich, sich ins Einvernehmen mit den Car¬
bonari zu setzen, die ihm durch ihre Zahl imponirten, und dieselben zu unter¬
stützen. Aber es war zu spät. Sie hatten kein Zutrauen zu ihm, auch
kannten sie seine verzweifelte Lage, und so ließen sie ihn fallen.




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[0473] dänischen beunruhigte Murat, dessen Befürchtungen sich steigerten, als der Staatsrath Dandolo ihm schrieb: „Sire, der Carbonarismus verbreitet sich in Italien, befreien Sie Ihr Königreich, wo möglich, davon; denn die Secte ist eine Feindin der Throne." Andrerseits rieth ihm sein Polizeiminister Maghella, sich offen gegen Napoleon zu erklären, die Unabhängigkeit Ita¬ liens zu verkünden und zu diesem Zwecke die Carbonari zu begünstigen. Die von ihm ergriffenen Maßregeln vermehrten indeß nur die Thätigkeit des Bun¬ des und die Hoffnungen der vertriebenen Bourbonen, die im benachbarten Sici- lien jede Wendung beobachteten, welche ihre Rückkehr beschleunigen konnte. Murat verbot und verfolgte die Carbonari, wogegen dieselben von den Bour¬ bonen und England protegirt und befördert wurden. Die Emissäre, die nach Palermo gesandt worden waren, kamen mit einem Jnsurrectionsplane zurück, der von den Carbonari in Calabrien und den Abruzzen ausgeführt wurde. Murat schickte den General Marsch gegen die Aufständischen, und es gelang demselben, eine Anzahl der Führer gefangen zu nehmen, die darauf erschossen wurden. Die Empörung dauerte dann noch einige Wochen fort, aber die Königin Karoline Murat, damals Regentin für ihren abwesenden Gemahl, wußte sie schließlich durch energisches Einschreiten zu dämpfen. Um diese Zeit verursachten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Secte einen Riß. Einige leitende Persönlichkeiten, welche die Unmöglichkeit einsahen, eine so zahlreiche und weitverbreitete Genossenschaft zu regieren, entwarfen den Plan einer Reform und führten denselben in der Stille so schnell als möglich aus. Dabei wurden viele Mitglieder ausgestoßen, die sich nun mit der inzwischen zu Palermo entstandenen Gesellschaft der „Cat derart", d. h. Kesselschmiede, vereinigten, welche zwar ebenfalls die Befreiung Italiens und zunächst Neapels von der Fremdherrschaft erstrebte, aber theils durch den Groll jener Ausgestoßnen, theils durch den Umstand, daß zu ihr viele der bigotten und absolutistischen Sanfedisten von 1799 ge¬ hörten , trotzdem bald zu einer sehr eifrigen Bekämpferin der Carbonari wer¬ den sollre. Murat entschloß sich endlich, sich ins Einvernehmen mit den Car¬ bonari zu setzen, die ihm durch ihre Zahl imponirten, und dieselben zu unter¬ stützen. Aber es war zu spät. Sie hatten kein Zutrauen zu ihm, auch kannten sie seine verzweifelte Lage, und so ließen sie ihn fallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/473>, abgerufen am 25.08.2024.