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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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"Das Kreuz" sagt unsre Quelle, "dient zur Kreuzigung des Tyrannen,
der uns verfolgt. Die Dornenkrone soll sein Haupt durchbohren. Der
Zwirn deutet auf den Strick hin, der ihn an den Galgen hängen soll, die
Leiter wird ihm hinaufsteigen helfen. Die Blätter sind Nägel, die seine Hände
und Füße durchbohren werden. Die Spitzhacke wird in seine Brust eindringen
und sein unreines Blut vergießen. Die Axt wird seinen Kopf vom Körper
trennen. Das Salz wird von seinem Kopfe die Verwesung fern halten, da¬
mit er als ein Denkmal ewiger Schande der Despoten erhalten bleibe. Die
Stange ist da zum Aufstecken desselben, der Meiler wird seinen Körper ver¬
brennen, die Schaufel seine Asche in alle Winde zerstreuen. Die Hütte soll
zur Vorbereitung neuer Qualen für den Tyrannen, bevor er getödtet wird,
dienen. (Eine wahrer Henker- und Folterkammerphantasie, aber wörtlich den
Acten der später gegen die Carbonaria eingeleiteten Untersuchung entnommen.)
Das Wasser wird uns von dem schändlichen Blute reinigen, das wir ver¬
gossen haben werden, die Leinwand wird unsre Flecken wegwischen. Der
Wald endlich ist der Ort, wo die guten Vettern arbeiten, um ein so wich¬
tiges Ergebniß zu erreichen."

Nachdem der Kandidat in den höchsten Grad aufgenommen war, traten
andere gute Vettern in die Grotte und verkündeten den Sieg der Carbonari
und die Errichtung der Republik Ausonia, worauf die Loge geschlossen wurde.
Die Mitglieder trugen alle Ordensnamen, die in ein Buch eingetragen wur¬
den, während ein zweites ihre bürgerlichen Namen enthielt. Beide Bücher
wurden gesondert aufbewahrt, sodaß die Polizei, wenn sie das eine fand,
keinen Gebrauch zur Identificirung der Verschwörer machen konnte. Die hö-
heren Beamten wurden.,Lichter". gewisse zu den gefährlichsten Unternehmungen
reservirte Mitglieder des Bundes "die Sturmcolonne" genannt, wogegen man
die, welche wegen Mangel an Muth und Einsicht nicht über den ersten Grad
befördert wurden, als "8es,bon6", d. h. Halrmachenve bezeichnete. Wie die
Freimaurer hatten die Carbonari ihre besondere Zeitrechnung, die von Franz
dem Ersten an datirte, auf welchen auch bei Gastmählern des Bundes das
erste Glas geleert wurde.

Das Ritual und die Ceremonien, die wir im Vorstehenden mitgetheilt
haben, waren nicht in allen Provinzen der Republiken der Carbonari völlig
dieselben, aber der Geist, den sie athmen, beherrschte den Bund allenthalben,
und das politische Ziel war bei allen Hütten und Oberhütten im Wesentlichen
das nämliche. Dasselbe spricht sich deutlich in dem folgenden Manifeste des
Bundes aus:

"Italien, welchem neue Zeiten einen neuen wohlklingenden und reinen Namen
geben werden, Ausonia muß frei werden von den drei Meeren, die es umgeben,


„Das Kreuz" sagt unsre Quelle, „dient zur Kreuzigung des Tyrannen,
der uns verfolgt. Die Dornenkrone soll sein Haupt durchbohren. Der
Zwirn deutet auf den Strick hin, der ihn an den Galgen hängen soll, die
Leiter wird ihm hinaufsteigen helfen. Die Blätter sind Nägel, die seine Hände
und Füße durchbohren werden. Die Spitzhacke wird in seine Brust eindringen
und sein unreines Blut vergießen. Die Axt wird seinen Kopf vom Körper
trennen. Das Salz wird von seinem Kopfe die Verwesung fern halten, da¬
mit er als ein Denkmal ewiger Schande der Despoten erhalten bleibe. Die
Stange ist da zum Aufstecken desselben, der Meiler wird seinen Körper ver¬
brennen, die Schaufel seine Asche in alle Winde zerstreuen. Die Hütte soll
zur Vorbereitung neuer Qualen für den Tyrannen, bevor er getödtet wird,
dienen. (Eine wahrer Henker- und Folterkammerphantasie, aber wörtlich den
Acten der später gegen die Carbonaria eingeleiteten Untersuchung entnommen.)
Das Wasser wird uns von dem schändlichen Blute reinigen, das wir ver¬
gossen haben werden, die Leinwand wird unsre Flecken wegwischen. Der
Wald endlich ist der Ort, wo die guten Vettern arbeiten, um ein so wich¬
tiges Ergebniß zu erreichen."

Nachdem der Kandidat in den höchsten Grad aufgenommen war, traten
andere gute Vettern in die Grotte und verkündeten den Sieg der Carbonari
und die Errichtung der Republik Ausonia, worauf die Loge geschlossen wurde.
Die Mitglieder trugen alle Ordensnamen, die in ein Buch eingetragen wur¬
den, während ein zweites ihre bürgerlichen Namen enthielt. Beide Bücher
wurden gesondert aufbewahrt, sodaß die Polizei, wenn sie das eine fand,
keinen Gebrauch zur Identificirung der Verschwörer machen konnte. Die hö-
heren Beamten wurden.,Lichter". gewisse zu den gefährlichsten Unternehmungen
reservirte Mitglieder des Bundes „die Sturmcolonne" genannt, wogegen man
die, welche wegen Mangel an Muth und Einsicht nicht über den ersten Grad
befördert wurden, als „8es,bon6", d. h. Halrmachenve bezeichnete. Wie die
Freimaurer hatten die Carbonari ihre besondere Zeitrechnung, die von Franz
dem Ersten an datirte, auf welchen auch bei Gastmählern des Bundes das
erste Glas geleert wurde.

Das Ritual und die Ceremonien, die wir im Vorstehenden mitgetheilt
haben, waren nicht in allen Provinzen der Republiken der Carbonari völlig
dieselben, aber der Geist, den sie athmen, beherrschte den Bund allenthalben,
und das politische Ziel war bei allen Hütten und Oberhütten im Wesentlichen
das nämliche. Dasselbe spricht sich deutlich in dem folgenden Manifeste des
Bundes aus:

„Italien, welchem neue Zeiten einen neuen wohlklingenden und reinen Namen
geben werden, Ausonia muß frei werden von den drei Meeren, die es umgeben,


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[0471] „Das Kreuz" sagt unsre Quelle, „dient zur Kreuzigung des Tyrannen, der uns verfolgt. Die Dornenkrone soll sein Haupt durchbohren. Der Zwirn deutet auf den Strick hin, der ihn an den Galgen hängen soll, die Leiter wird ihm hinaufsteigen helfen. Die Blätter sind Nägel, die seine Hände und Füße durchbohren werden. Die Spitzhacke wird in seine Brust eindringen und sein unreines Blut vergießen. Die Axt wird seinen Kopf vom Körper trennen. Das Salz wird von seinem Kopfe die Verwesung fern halten, da¬ mit er als ein Denkmal ewiger Schande der Despoten erhalten bleibe. Die Stange ist da zum Aufstecken desselben, der Meiler wird seinen Körper ver¬ brennen, die Schaufel seine Asche in alle Winde zerstreuen. Die Hütte soll zur Vorbereitung neuer Qualen für den Tyrannen, bevor er getödtet wird, dienen. (Eine wahrer Henker- und Folterkammerphantasie, aber wörtlich den Acten der später gegen die Carbonaria eingeleiteten Untersuchung entnommen.) Das Wasser wird uns von dem schändlichen Blute reinigen, das wir ver¬ gossen haben werden, die Leinwand wird unsre Flecken wegwischen. Der Wald endlich ist der Ort, wo die guten Vettern arbeiten, um ein so wich¬ tiges Ergebniß zu erreichen." Nachdem der Kandidat in den höchsten Grad aufgenommen war, traten andere gute Vettern in die Grotte und verkündeten den Sieg der Carbonari und die Errichtung der Republik Ausonia, worauf die Loge geschlossen wurde. Die Mitglieder trugen alle Ordensnamen, die in ein Buch eingetragen wur¬ den, während ein zweites ihre bürgerlichen Namen enthielt. Beide Bücher wurden gesondert aufbewahrt, sodaß die Polizei, wenn sie das eine fand, keinen Gebrauch zur Identificirung der Verschwörer machen konnte. Die hö- heren Beamten wurden.,Lichter". gewisse zu den gefährlichsten Unternehmungen reservirte Mitglieder des Bundes „die Sturmcolonne" genannt, wogegen man die, welche wegen Mangel an Muth und Einsicht nicht über den ersten Grad befördert wurden, als „8es,bon6", d. h. Halrmachenve bezeichnete. Wie die Freimaurer hatten die Carbonari ihre besondere Zeitrechnung, die von Franz dem Ersten an datirte, auf welchen auch bei Gastmählern des Bundes das erste Glas geleert wurde. Das Ritual und die Ceremonien, die wir im Vorstehenden mitgetheilt haben, waren nicht in allen Provinzen der Republiken der Carbonari völlig dieselben, aber der Geist, den sie athmen, beherrschte den Bund allenthalben, und das politische Ziel war bei allen Hütten und Oberhütten im Wesentlichen das nämliche. Dasselbe spricht sich deutlich in dem folgenden Manifeste des Bundes aus: „Italien, welchem neue Zeiten einen neuen wohlklingenden und reinen Namen geben werden, Ausonia muß frei werden von den drei Meeren, die es umgeben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/471>, abgerufen am 22.07.2024.