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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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machen, daß sie an allen den Verirrungen und Mißbräuchen, die unter dem
Scheine größerer Frömmigkeit durch die Gelübde der Armuth, des Gehorsams,
des Cölibats einen unnatürlichen Zwang über die natürlichen Rechte des
Menschen geübt haben und üben, einen großen Theil der Schuld tragen.

Namentlich gehört dahin der Zwang des sog. Gehorsams nach sog.
Gelübde, oder der Zwang, auch dann im Kloster zu bleiben, wenn die An¬
sicht des Opfers der christlich falschen Ansicht sich ändert. Wer weiß nicht,
wie vielfach irrig und unlauter die Motive sind, die zur Uebernahme solcher
Gelübde führen, im besten Falle unklare Schwärmerei, aber auch Verleitung
und Zwang. Es giebt kein christliches Gebot, welches den Willen eines
Menschen unbedingt -- gegen sein natürliches Recht, welches der Staat an¬
erkennt -- dem Willen anderer unterwürfe, und ist diese Vernichtung der
Rechte der Persönlichkeit darum nicht nur eine Sünde der Kirche, sondern
auch eine große, schwere Schuld des Staates, der die unveräußerlichen
Rechte seiner Angehörigen zu schützen hat.

Und dahin gehört nun auch die Frage über den erzwungenen Cölibat
der Priester, und ist darum zu hoffen, daß die Staatsregierungen mehr und
mehr ihre Pflicht erkennen werden.

Und wie die Verhältnisse jetzt liegen, wird sicher diese Frage mehr und
wehr das Interesse der Zeit erregen, und sammt den anderen damit zusammen¬
hängenden nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden, bis die große
Frage, die durch die Unvorsichtigkeit der Jesuiten angeregt worden ist, ihre
Lösung erhalten hat.

Diese Frage betrifft aber nicht allein die Unfehlbarkeit des Papst¬
thu in s . die sich selbst richtet und damit auch das ganze Papstthum richtet, sondern
sie betrifft -- man vergleiche die Erklärung der Altkatholiken im preußischen
Landtag, oben -- nun auch die Unfehlbarkeit der Concilien. Denn
gerade durch die Behandlung der Cölibatsfrage hat das Tridentinum gezeigt, wie
sehr der Erzbischof von Fünfkirchen Dudith Recht hatte, als er an den Kaiser
Maximilian II. berichtete, daß viele Bischöfe "ungelehrte und alberne Köpfe".
"Masken, Puppen und Marionetten", "die von Rom am Drath gezogen und
bewegt wurden", "Dudelsacke, die erst von Rom "voll Wind" gemacht werden
mußten, ehe sie einen Ton und Schall von sich gaben" -- gewesen seien,
daß "der heilige Geist mit dieser Versammlung nichts zu thun gehabt habe",
daß "der heilige Geist von Rom im Felleisen überschickt worden sei. und, wenn
die Flüsse ausgetreten waren, nicht nach Trident kommen konnte". :c. :c.

Es ist darum zu hoffen, daß nicht nur die vorzugsweise Gebildeten,
sondern auch die anderen Kreise der katholischen Gemeinschaft mehr und mehr
er euren werden, auf wie schwachen menschlichen Stützen die vermeinte Un-
fehlbarkeit der sog. "allgemeinen Concilien" und damit der römisch-


Grenzbotm IV. 1875. Ü8

machen, daß sie an allen den Verirrungen und Mißbräuchen, die unter dem
Scheine größerer Frömmigkeit durch die Gelübde der Armuth, des Gehorsams,
des Cölibats einen unnatürlichen Zwang über die natürlichen Rechte des
Menschen geübt haben und üben, einen großen Theil der Schuld tragen.

Namentlich gehört dahin der Zwang des sog. Gehorsams nach sog.
Gelübde, oder der Zwang, auch dann im Kloster zu bleiben, wenn die An¬
sicht des Opfers der christlich falschen Ansicht sich ändert. Wer weiß nicht,
wie vielfach irrig und unlauter die Motive sind, die zur Uebernahme solcher
Gelübde führen, im besten Falle unklare Schwärmerei, aber auch Verleitung
und Zwang. Es giebt kein christliches Gebot, welches den Willen eines
Menschen unbedingt — gegen sein natürliches Recht, welches der Staat an¬
erkennt — dem Willen anderer unterwürfe, und ist diese Vernichtung der
Rechte der Persönlichkeit darum nicht nur eine Sünde der Kirche, sondern
auch eine große, schwere Schuld des Staates, der die unveräußerlichen
Rechte seiner Angehörigen zu schützen hat.

Und dahin gehört nun auch die Frage über den erzwungenen Cölibat
der Priester, und ist darum zu hoffen, daß die Staatsregierungen mehr und
mehr ihre Pflicht erkennen werden.

Und wie die Verhältnisse jetzt liegen, wird sicher diese Frage mehr und
wehr das Interesse der Zeit erregen, und sammt den anderen damit zusammen¬
hängenden nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden, bis die große
Frage, die durch die Unvorsichtigkeit der Jesuiten angeregt worden ist, ihre
Lösung erhalten hat.

Diese Frage betrifft aber nicht allein die Unfehlbarkeit des Papst¬
thu in s . die sich selbst richtet und damit auch das ganze Papstthum richtet, sondern
sie betrifft — man vergleiche die Erklärung der Altkatholiken im preußischen
Landtag, oben — nun auch die Unfehlbarkeit der Concilien. Denn
gerade durch die Behandlung der Cölibatsfrage hat das Tridentinum gezeigt, wie
sehr der Erzbischof von Fünfkirchen Dudith Recht hatte, als er an den Kaiser
Maximilian II. berichtete, daß viele Bischöfe „ungelehrte und alberne Köpfe".
„Masken, Puppen und Marionetten", „die von Rom am Drath gezogen und
bewegt wurden", „Dudelsacke, die erst von Rom „voll Wind" gemacht werden
mußten, ehe sie einen Ton und Schall von sich gaben" — gewesen seien,
daß „der heilige Geist mit dieser Versammlung nichts zu thun gehabt habe",
daß „der heilige Geist von Rom im Felleisen überschickt worden sei. und, wenn
die Flüsse ausgetreten waren, nicht nach Trident kommen konnte". :c. :c.

Es ist darum zu hoffen, daß nicht nur die vorzugsweise Gebildeten,
sondern auch die anderen Kreise der katholischen Gemeinschaft mehr und mehr
er euren werden, auf wie schwachen menschlichen Stützen die vermeinte Un-
fehlbarkeit der sog. „allgemeinen Concilien" und damit der römisch-


Grenzbotm IV. 1875. Ü8
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[0461] machen, daß sie an allen den Verirrungen und Mißbräuchen, die unter dem Scheine größerer Frömmigkeit durch die Gelübde der Armuth, des Gehorsams, des Cölibats einen unnatürlichen Zwang über die natürlichen Rechte des Menschen geübt haben und üben, einen großen Theil der Schuld tragen. Namentlich gehört dahin der Zwang des sog. Gehorsams nach sog. Gelübde, oder der Zwang, auch dann im Kloster zu bleiben, wenn die An¬ sicht des Opfers der christlich falschen Ansicht sich ändert. Wer weiß nicht, wie vielfach irrig und unlauter die Motive sind, die zur Uebernahme solcher Gelübde führen, im besten Falle unklare Schwärmerei, aber auch Verleitung und Zwang. Es giebt kein christliches Gebot, welches den Willen eines Menschen unbedingt — gegen sein natürliches Recht, welches der Staat an¬ erkennt — dem Willen anderer unterwürfe, und ist diese Vernichtung der Rechte der Persönlichkeit darum nicht nur eine Sünde der Kirche, sondern auch eine große, schwere Schuld des Staates, der die unveräußerlichen Rechte seiner Angehörigen zu schützen hat. Und dahin gehört nun auch die Frage über den erzwungenen Cölibat der Priester, und ist darum zu hoffen, daß die Staatsregierungen mehr und mehr ihre Pflicht erkennen werden. Und wie die Verhältnisse jetzt liegen, wird sicher diese Frage mehr und wehr das Interesse der Zeit erregen, und sammt den anderen damit zusammen¬ hängenden nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden, bis die große Frage, die durch die Unvorsichtigkeit der Jesuiten angeregt worden ist, ihre Lösung erhalten hat. Diese Frage betrifft aber nicht allein die Unfehlbarkeit des Papst¬ thu in s . die sich selbst richtet und damit auch das ganze Papstthum richtet, sondern sie betrifft — man vergleiche die Erklärung der Altkatholiken im preußischen Landtag, oben — nun auch die Unfehlbarkeit der Concilien. Denn gerade durch die Behandlung der Cölibatsfrage hat das Tridentinum gezeigt, wie sehr der Erzbischof von Fünfkirchen Dudith Recht hatte, als er an den Kaiser Maximilian II. berichtete, daß viele Bischöfe „ungelehrte und alberne Köpfe". „Masken, Puppen und Marionetten", „die von Rom am Drath gezogen und bewegt wurden", „Dudelsacke, die erst von Rom „voll Wind" gemacht werden mußten, ehe sie einen Ton und Schall von sich gaben" — gewesen seien, daß „der heilige Geist mit dieser Versammlung nichts zu thun gehabt habe", daß „der heilige Geist von Rom im Felleisen überschickt worden sei. und, wenn die Flüsse ausgetreten waren, nicht nach Trident kommen konnte". :c. :c. Es ist darum zu hoffen, daß nicht nur die vorzugsweise Gebildeten, sondern auch die anderen Kreise der katholischen Gemeinschaft mehr und mehr er euren werden, auf wie schwachen menschlichen Stützen die vermeinte Un- fehlbarkeit der sog. „allgemeinen Concilien" und damit der römisch- Grenzbotm IV. 1875. Ü8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/461>, abgerufen am 22.07.2024.