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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Discussion nicht überhaupt mit diesen reaktionären Experimenten verschont
wurde, so wenig wird andrerseits irgend ein billig Denkender verkennen, daß die
Novelle in einigen bereits oben hervorgehobenen politischen Paragraphen, haupt¬
sächlich aber in ihren rein criminalrechtlichen Vorschlägen Neuerungen enthält,
die fast sämmtlich in der That fühlbaren Nothständen unsrer Strafrechtspflege
abhelfen und daher so schnell wie möglich mit Gesetzeskraft versehen werden
sollten. Dahin gehört die Erweiterung der Anwendbarkeit des deutschen
Strafgesetzbuchs auf diejenigen Kategorien im Auslande begangener Straf¬
thaten, welche der neue § 4 und 5 präcisirt (Ueberfall der Brigg Gustav durch
die Karlisten). Ebendahin gehört die weise Bestimmung des neuen § 95,
daß Kinder unter zwölf Jahren zwar wie bisher wegen Strafthaten nicht
verfolgt, wohl aber gegen dieselben nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bor¬
schriften, die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln ge¬
troffen werden können, insbesondere von den Polizei, oder Vormundschafts¬
behörden ihre Unterbringung in einer Erziehungs - oder Besserungsanstalt
verfügt werden kann. Denn schon die Strafthat selbst, die von Kindern ver¬
übt wird, ist meist eine Folge und ein Beweis mangelhafter Erziehung, un¬
genügender häuslicher Zucht. Noch häufiger aber ist sie leider eine Folge
von Anstiftung oder Aufmunterung zur Sünde Seiten derjenigen, die den
Wandel des Kindes rein halten, es zum Guten anleiten sollten, gewissenloser
Eltern. Erzieher. Pfleger u. s. w.. wenn diesen Personen gegenüber der Richter
auch leider selten in der Lage sein wird, den Nachweis strafbarer Anstiftung,
Mitthäterschaft oder Begünstigung zu führen. Es ist daher nur in hohem
Grade zu billigen, wenn das Gesetz den Versuch macht, diese Kinder durch
Unterbringung in' eine ordentliche Zucht, durch Nachholung und Vervoll¬
kommnung der vernachlässigten Erziehung und Bildung zu bessern und von
dem Wege des Verbrechens abzubringen, auf dem sie meist unrettbar weiter
taumeln, wenn sie jenen schlimmen Einflüssen nicht entzogen werden, die ihre
Jugend vergiftet haben.

Als der beste und erfreulichste Vorschlag der Novelle sind aber die neuen
Bestimmungen über die Antragsvergehen und -Verbrechen zu begrüßen. Hiernach
soll die Zurücknahme eines Privat-Strafantrags fortan nur in den gesetzlich
besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe
lautenden Erkenntnisses zulässig sein. Bisher durfte der Strafantragsberechtigte
fast bei allen Antragsdelicten den Strafantrag bis zur Verkündung eines aus
Strafe lautenden Erkenntnisses, bei Beleidigungen sogar bis zu dem Moment
noch zurückziehen, wo mit der Vollstreckung der Sendung begonnen werden
sollte. Die Folge war, daß von dem Moment der Strafanzeige an bis zur
Abfassung des Erkenntnisses in sehr vielen Fällen um den Preis der Rück¬
nahme des Strafantrags förmlich gefeilscht und gehandelt wurde, namentlich


Discussion nicht überhaupt mit diesen reaktionären Experimenten verschont
wurde, so wenig wird andrerseits irgend ein billig Denkender verkennen, daß die
Novelle in einigen bereits oben hervorgehobenen politischen Paragraphen, haupt¬
sächlich aber in ihren rein criminalrechtlichen Vorschlägen Neuerungen enthält,
die fast sämmtlich in der That fühlbaren Nothständen unsrer Strafrechtspflege
abhelfen und daher so schnell wie möglich mit Gesetzeskraft versehen werden
sollten. Dahin gehört die Erweiterung der Anwendbarkeit des deutschen
Strafgesetzbuchs auf diejenigen Kategorien im Auslande begangener Straf¬
thaten, welche der neue § 4 und 5 präcisirt (Ueberfall der Brigg Gustav durch
die Karlisten). Ebendahin gehört die weise Bestimmung des neuen § 95,
daß Kinder unter zwölf Jahren zwar wie bisher wegen Strafthaten nicht
verfolgt, wohl aber gegen dieselben nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bor¬
schriften, die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln ge¬
troffen werden können, insbesondere von den Polizei, oder Vormundschafts¬
behörden ihre Unterbringung in einer Erziehungs - oder Besserungsanstalt
verfügt werden kann. Denn schon die Strafthat selbst, die von Kindern ver¬
übt wird, ist meist eine Folge und ein Beweis mangelhafter Erziehung, un¬
genügender häuslicher Zucht. Noch häufiger aber ist sie leider eine Folge
von Anstiftung oder Aufmunterung zur Sünde Seiten derjenigen, die den
Wandel des Kindes rein halten, es zum Guten anleiten sollten, gewissenloser
Eltern. Erzieher. Pfleger u. s. w.. wenn diesen Personen gegenüber der Richter
auch leider selten in der Lage sein wird, den Nachweis strafbarer Anstiftung,
Mitthäterschaft oder Begünstigung zu führen. Es ist daher nur in hohem
Grade zu billigen, wenn das Gesetz den Versuch macht, diese Kinder durch
Unterbringung in' eine ordentliche Zucht, durch Nachholung und Vervoll¬
kommnung der vernachlässigten Erziehung und Bildung zu bessern und von
dem Wege des Verbrechens abzubringen, auf dem sie meist unrettbar weiter
taumeln, wenn sie jenen schlimmen Einflüssen nicht entzogen werden, die ihre
Jugend vergiftet haben.

Als der beste und erfreulichste Vorschlag der Novelle sind aber die neuen
Bestimmungen über die Antragsvergehen und -Verbrechen zu begrüßen. Hiernach
soll die Zurücknahme eines Privat-Strafantrags fortan nur in den gesetzlich
besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe
lautenden Erkenntnisses zulässig sein. Bisher durfte der Strafantragsberechtigte
fast bei allen Antragsdelicten den Strafantrag bis zur Verkündung eines aus
Strafe lautenden Erkenntnisses, bei Beleidigungen sogar bis zu dem Moment
noch zurückziehen, wo mit der Vollstreckung der Sendung begonnen werden
sollte. Die Folge war, daß von dem Moment der Strafanzeige an bis zur
Abfassung des Erkenntnisses in sehr vielen Fällen um den Preis der Rück¬
nahme des Strafantrags förmlich gefeilscht und gehandelt wurde, namentlich


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[0451] Discussion nicht überhaupt mit diesen reaktionären Experimenten verschont wurde, so wenig wird andrerseits irgend ein billig Denkender verkennen, daß die Novelle in einigen bereits oben hervorgehobenen politischen Paragraphen, haupt¬ sächlich aber in ihren rein criminalrechtlichen Vorschlägen Neuerungen enthält, die fast sämmtlich in der That fühlbaren Nothständen unsrer Strafrechtspflege abhelfen und daher so schnell wie möglich mit Gesetzeskraft versehen werden sollten. Dahin gehört die Erweiterung der Anwendbarkeit des deutschen Strafgesetzbuchs auf diejenigen Kategorien im Auslande begangener Straf¬ thaten, welche der neue § 4 und 5 präcisirt (Ueberfall der Brigg Gustav durch die Karlisten). Ebendahin gehört die weise Bestimmung des neuen § 95, daß Kinder unter zwölf Jahren zwar wie bisher wegen Strafthaten nicht verfolgt, wohl aber gegen dieselben nach Maßgabe der landesgesetzlichen Bor¬ schriften, die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln ge¬ troffen werden können, insbesondere von den Polizei, oder Vormundschafts¬ behörden ihre Unterbringung in einer Erziehungs - oder Besserungsanstalt verfügt werden kann. Denn schon die Strafthat selbst, die von Kindern ver¬ übt wird, ist meist eine Folge und ein Beweis mangelhafter Erziehung, un¬ genügender häuslicher Zucht. Noch häufiger aber ist sie leider eine Folge von Anstiftung oder Aufmunterung zur Sünde Seiten derjenigen, die den Wandel des Kindes rein halten, es zum Guten anleiten sollten, gewissenloser Eltern. Erzieher. Pfleger u. s. w.. wenn diesen Personen gegenüber der Richter auch leider selten in der Lage sein wird, den Nachweis strafbarer Anstiftung, Mitthäterschaft oder Begünstigung zu führen. Es ist daher nur in hohem Grade zu billigen, wenn das Gesetz den Versuch macht, diese Kinder durch Unterbringung in' eine ordentliche Zucht, durch Nachholung und Vervoll¬ kommnung der vernachlässigten Erziehung und Bildung zu bessern und von dem Wege des Verbrechens abzubringen, auf dem sie meist unrettbar weiter taumeln, wenn sie jenen schlimmen Einflüssen nicht entzogen werden, die ihre Jugend vergiftet haben. Als der beste und erfreulichste Vorschlag der Novelle sind aber die neuen Bestimmungen über die Antragsvergehen und -Verbrechen zu begrüßen. Hiernach soll die Zurücknahme eines Privat-Strafantrags fortan nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses zulässig sein. Bisher durfte der Strafantragsberechtigte fast bei allen Antragsdelicten den Strafantrag bis zur Verkündung eines aus Strafe lautenden Erkenntnisses, bei Beleidigungen sogar bis zu dem Moment noch zurückziehen, wo mit der Vollstreckung der Sendung begonnen werden sollte. Die Folge war, daß von dem Moment der Strafanzeige an bis zur Abfassung des Erkenntnisses in sehr vielen Fällen um den Preis der Rück¬ nahme des Strafantrags förmlich gefeilscht und gehandelt wurde, namentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/451>, abgerufen am 22.07.2024.