Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.lungen, nach welcher jede menschliche Regung unter das Strafgesetzbuch zu Eine andere Kategorie politischer Neuerungen der Novelle werden mit So sehr es nun zu beklagen ist. daß der Reichstag und die öffentliche lungen, nach welcher jede menschliche Regung unter das Strafgesetzbuch zu Eine andere Kategorie politischer Neuerungen der Novelle werden mit So sehr es nun zu beklagen ist. daß der Reichstag und die öffentliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134796"/> <p xml:id="ID_1385" prev="#ID_1384"> lungen, nach welcher jede menschliche Regung unter das Strafgesetzbuch zu<lb/> bringen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1386"> Eine andere Kategorie politischer Neuerungen der Novelle werden mit<lb/> Recht alle Parteien des Reichstags fast einstimmig abweisen. Es sind dieß<lb/> die berufenen Kautschukparagraphen, welche bereits im Entwürfe des Reichs-<lb/> Preßgesetzes enthalten waren und damals einstimmig vom Reichstag zurück¬<lb/> gewiesen wurden. Es war eine sehr unerschrockene Leistung, daß dieselben<lb/> Paragraphen dem Reichstag noch einmal beim jetzigen Anlaß vorgelegt wurden,<lb/> fast nur mit der einzigen Begründung, daß diese Bestimmungen im Reichs¬<lb/> preßgesetzentwurf enthalten gewesen seien und daß zu ihrer „Rechtfertigung<lb/> auf die Motive jenes Entwurfs und auf die von dem Preuß. Bevollmächtigten<lb/> zum Bundesrathe in der Reichstagssitzung abgegebene Erklärung Bezug zu<lb/> nehmen sei". Der Reichstag hat die allein zutreffende Antwort auf diese<lb/> Behandlung 'gegeben, als er beschloß, diese Paragraphen kurzer Hand im<lb/> Plenum zu erledigen, d. h. sie abermals zurückzuweisen. Denn auch im conser-<lb/> vativen Lager finden sich wenige Abgeordnete, welche den wichtigsten öffent¬<lb/> lichen Rechten mit der Unbefangenheit gegenüberstehen, die der Verfasser der<lb/> Novelle in seinen Motiven an den Tag legt. Auch unter den Conservativen<lb/> ist die germanische Anschauung weit verbreitet, daß das Strafgesetz nicht zu<lb/> Gunsten einer Partei gefärbt werden dürfe, und daß es wohl ein Hauptgrund<lb/> des Verfalls der romanischen Race sei, das öffentliche Recht und die Straf¬<lb/> justiz seit Jahrhunderten in die Livree der herrschenden Partei eingekleidet<lb/> zu haben. Es ist gewiß auch kein Zufall, daß die Motive die Autoritäten<lb/> für ihre criminalpolitischen Vorschläge auf diesem Gebiete nur finden in den<lb/> Strafgesetzbüchern romanischer Nationen (Frankreichs — noch dazu in einem<lb/> Ausnahmegesetz von 1835 — und Italiens) und in dem österreichischen Con-<lb/> cordats- und Reactionsstrafgesetz von 1862. Bei dieser Einmüthigkeit des<lb/> Urtheils der Volksvertretung über diese politischen Paragraphen des Entwurfs,<lb/> kann hier davon abgesehen werden nachzuweisen, wie wenig der Thatbestand,<lb/> den die Novelle an Stelle der betreffenden Paragraphen des heutigen deutschen<lb/> Strafgesetzbuchs stellen will, auch nur den billigsten Ansprüchen an feste, be¬<lb/> grenzte und auf Thatsachen zurückzuführende Begriffsbestimmungen genügt,<lb/> wie bei Annahme und Gesetzeskraft der betreffenden Bestimmungen der Richter¬<lb/> stand vor die Alternative gestellt würde, in allen Fällen, wo er die Freiheit<lb/> der Wissenschaft, der Forschung, formell unsträflicher Meinungsäußerung wahren<lb/> zu müssen glaubt, gegen den Wortlaut des Strafgesetzbuchs freizusprechen, oder<lb/> eine Judicatur von unerträglicher Härte und unvergleichlicher Enge des Ge¬<lb/> sichtskreises zu üben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1387" next="#ID_1388"> So sehr es nun zu beklagen ist. daß der Reichstag und die öffentliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
lungen, nach welcher jede menschliche Regung unter das Strafgesetzbuch zu
bringen war.
Eine andere Kategorie politischer Neuerungen der Novelle werden mit
Recht alle Parteien des Reichstags fast einstimmig abweisen. Es sind dieß
die berufenen Kautschukparagraphen, welche bereits im Entwürfe des Reichs-
Preßgesetzes enthalten waren und damals einstimmig vom Reichstag zurück¬
gewiesen wurden. Es war eine sehr unerschrockene Leistung, daß dieselben
Paragraphen dem Reichstag noch einmal beim jetzigen Anlaß vorgelegt wurden,
fast nur mit der einzigen Begründung, daß diese Bestimmungen im Reichs¬
preßgesetzentwurf enthalten gewesen seien und daß zu ihrer „Rechtfertigung
auf die Motive jenes Entwurfs und auf die von dem Preuß. Bevollmächtigten
zum Bundesrathe in der Reichstagssitzung abgegebene Erklärung Bezug zu
nehmen sei". Der Reichstag hat die allein zutreffende Antwort auf diese
Behandlung 'gegeben, als er beschloß, diese Paragraphen kurzer Hand im
Plenum zu erledigen, d. h. sie abermals zurückzuweisen. Denn auch im conser-
vativen Lager finden sich wenige Abgeordnete, welche den wichtigsten öffent¬
lichen Rechten mit der Unbefangenheit gegenüberstehen, die der Verfasser der
Novelle in seinen Motiven an den Tag legt. Auch unter den Conservativen
ist die germanische Anschauung weit verbreitet, daß das Strafgesetz nicht zu
Gunsten einer Partei gefärbt werden dürfe, und daß es wohl ein Hauptgrund
des Verfalls der romanischen Race sei, das öffentliche Recht und die Straf¬
justiz seit Jahrhunderten in die Livree der herrschenden Partei eingekleidet
zu haben. Es ist gewiß auch kein Zufall, daß die Motive die Autoritäten
für ihre criminalpolitischen Vorschläge auf diesem Gebiete nur finden in den
Strafgesetzbüchern romanischer Nationen (Frankreichs — noch dazu in einem
Ausnahmegesetz von 1835 — und Italiens) und in dem österreichischen Con-
cordats- und Reactionsstrafgesetz von 1862. Bei dieser Einmüthigkeit des
Urtheils der Volksvertretung über diese politischen Paragraphen des Entwurfs,
kann hier davon abgesehen werden nachzuweisen, wie wenig der Thatbestand,
den die Novelle an Stelle der betreffenden Paragraphen des heutigen deutschen
Strafgesetzbuchs stellen will, auch nur den billigsten Ansprüchen an feste, be¬
grenzte und auf Thatsachen zurückzuführende Begriffsbestimmungen genügt,
wie bei Annahme und Gesetzeskraft der betreffenden Bestimmungen der Richter¬
stand vor die Alternative gestellt würde, in allen Fällen, wo er die Freiheit
der Wissenschaft, der Forschung, formell unsträflicher Meinungsäußerung wahren
zu müssen glaubt, gegen den Wortlaut des Strafgesetzbuchs freizusprechen, oder
eine Judicatur von unerträglicher Härte und unvergleichlicher Enge des Ge¬
sichtskreises zu üben.
So sehr es nun zu beklagen ist. daß der Reichstag und die öffentliche
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |