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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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freiesten Entschlüsse. Aber so sehr wir es billigen, wenn die Regierungen bei
dem immer wiederkehrenden Antrag Schulze-Delitzsch auf Diäten zurückzuver¬
weisen pflegen auf jenes bekannte Compromiß des constituirenden Reichs¬
tags: "Diätenlosigkeit gegen das allgemeine geheime und directe Wahlrecht",
ebenso gegründet scheint es. bei der Strafgesetznovelle daran zu erinnern,
daß auch das Strafgesetzbuch das Resultat gegenseitiger Zugeständnisse ist.
daß wesentliche Aenderungen an dem politischen Inhalt des Gesetzbuchs
nur dann mir Grund verlangt werden könnten, wenn sich die Basis der
Politischen Verhältnisse in Deutschland seit dem Frühjahr 1870 wesentlich
verändert hätte.

Zum Theil hat diese Verschiebung ja wirklich stattgefunden und damit
die Nothwendigkeit von Aenderungen dargethan. Der Kulturkampf gegen
Rom. die Wirksamkeit des Geheimbundes der Internationale, der Fall Arnim
und Duchesne haben Lücken unsrer Gesetzgebung gezeigt, die. bei veränderten
Verhältnissen, im Jahr 1870 unsichtbar waren. In allen diesen Richtungen sind
wir mit der Absicht der Novelle völlig einverstanden; die Mängel der
Redaction, die auch von Seiten der Regierungsvertreter zugestanden sind,
wird das Zusammenwirken von Bundesrath und Reichstag unschwer be¬
seitigen.

Gegen eine Reihe anderer politischer Neuerungen der Novelle müssen wir
uns dagegen schon aus dem einfachen Grunde erklären, weil in dieser Hinsicht
die öffentlichen Verhältnisse seit dem Zustandekommen des deutschen Straf¬
gesetzbuchs sich nicht geändert haben. Hierher gehören vor Allem die Paragra¬
phen, welche die Begriffs- und Strafbestimmungen des Widerstandes gegen die
Staatsgewalt, Sicherheit-, Forstbeamte u. s. w. enthalten. In letzterer Hinsicht
greift der Entwurf der Strafgesetznovelle, wie deren Motive selbst einräumen,
..im Wesentlichen auf die Strafnormen zurück, welche vor dem Erlasse des
deutschen Strafgesetzbuchs in Preußen gegolten haben". Das will sagen:
die Wahl zwischen Geld- und Gefängnißstrafe, welche das bisherige Strafrecht
zuläßt, verschwindet. Der Richter soll in Zukunft nur auf Gefängniß erkennen
dürfen. Ja noch mehr: der Entwurf setzt ein Strafminimum von vierzehn
Tagen -- das vierzehnfache des Diebstahls! Man kann alle Klagen der Mo¬
tive und die Rede des Kanzlers über das Behagen des deutschen Pöbels dem
Schutzmann Trotz zu bieten. Wort für Wort unterschreiben -- die Grenzboten
haben z. B. bereits zu Anfang dieses Jahres in den Briefen aus London
von Alfred Blum mit Nachdruck auf dieses bedauerliche Symptom von gesetzloser
Gesinnung hingewiesen -- und man kann dennoch die Strafschärfungen. welche
der Entwurf verlangt, entschieden abweisen. Denn diese Strafschärfung ist nicht
etwa damit motivirt. daß die Widerstandshandlungen durchschnittlich keine


freiesten Entschlüsse. Aber so sehr wir es billigen, wenn die Regierungen bei
dem immer wiederkehrenden Antrag Schulze-Delitzsch auf Diäten zurückzuver¬
weisen pflegen auf jenes bekannte Compromiß des constituirenden Reichs¬
tags: „Diätenlosigkeit gegen das allgemeine geheime und directe Wahlrecht",
ebenso gegründet scheint es. bei der Strafgesetznovelle daran zu erinnern,
daß auch das Strafgesetzbuch das Resultat gegenseitiger Zugeständnisse ist.
daß wesentliche Aenderungen an dem politischen Inhalt des Gesetzbuchs
nur dann mir Grund verlangt werden könnten, wenn sich die Basis der
Politischen Verhältnisse in Deutschland seit dem Frühjahr 1870 wesentlich
verändert hätte.

Zum Theil hat diese Verschiebung ja wirklich stattgefunden und damit
die Nothwendigkeit von Aenderungen dargethan. Der Kulturkampf gegen
Rom. die Wirksamkeit des Geheimbundes der Internationale, der Fall Arnim
und Duchesne haben Lücken unsrer Gesetzgebung gezeigt, die. bei veränderten
Verhältnissen, im Jahr 1870 unsichtbar waren. In allen diesen Richtungen sind
wir mit der Absicht der Novelle völlig einverstanden; die Mängel der
Redaction, die auch von Seiten der Regierungsvertreter zugestanden sind,
wird das Zusammenwirken von Bundesrath und Reichstag unschwer be¬
seitigen.

Gegen eine Reihe anderer politischer Neuerungen der Novelle müssen wir
uns dagegen schon aus dem einfachen Grunde erklären, weil in dieser Hinsicht
die öffentlichen Verhältnisse seit dem Zustandekommen des deutschen Straf¬
gesetzbuchs sich nicht geändert haben. Hierher gehören vor Allem die Paragra¬
phen, welche die Begriffs- und Strafbestimmungen des Widerstandes gegen die
Staatsgewalt, Sicherheit-, Forstbeamte u. s. w. enthalten. In letzterer Hinsicht
greift der Entwurf der Strafgesetznovelle, wie deren Motive selbst einräumen,
..im Wesentlichen auf die Strafnormen zurück, welche vor dem Erlasse des
deutschen Strafgesetzbuchs in Preußen gegolten haben". Das will sagen:
die Wahl zwischen Geld- und Gefängnißstrafe, welche das bisherige Strafrecht
zuläßt, verschwindet. Der Richter soll in Zukunft nur auf Gefängniß erkennen
dürfen. Ja noch mehr: der Entwurf setzt ein Strafminimum von vierzehn
Tagen — das vierzehnfache des Diebstahls! Man kann alle Klagen der Mo¬
tive und die Rede des Kanzlers über das Behagen des deutschen Pöbels dem
Schutzmann Trotz zu bieten. Wort für Wort unterschreiben — die Grenzboten
haben z. B. bereits zu Anfang dieses Jahres in den Briefen aus London
von Alfred Blum mit Nachdruck auf dieses bedauerliche Symptom von gesetzloser
Gesinnung hingewiesen — und man kann dennoch die Strafschärfungen. welche
der Entwurf verlangt, entschieden abweisen. Denn diese Strafschärfung ist nicht
etwa damit motivirt. daß die Widerstandshandlungen durchschnittlich keine


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[0447] freiesten Entschlüsse. Aber so sehr wir es billigen, wenn die Regierungen bei dem immer wiederkehrenden Antrag Schulze-Delitzsch auf Diäten zurückzuver¬ weisen pflegen auf jenes bekannte Compromiß des constituirenden Reichs¬ tags: „Diätenlosigkeit gegen das allgemeine geheime und directe Wahlrecht", ebenso gegründet scheint es. bei der Strafgesetznovelle daran zu erinnern, daß auch das Strafgesetzbuch das Resultat gegenseitiger Zugeständnisse ist. daß wesentliche Aenderungen an dem politischen Inhalt des Gesetzbuchs nur dann mir Grund verlangt werden könnten, wenn sich die Basis der Politischen Verhältnisse in Deutschland seit dem Frühjahr 1870 wesentlich verändert hätte. Zum Theil hat diese Verschiebung ja wirklich stattgefunden und damit die Nothwendigkeit von Aenderungen dargethan. Der Kulturkampf gegen Rom. die Wirksamkeit des Geheimbundes der Internationale, der Fall Arnim und Duchesne haben Lücken unsrer Gesetzgebung gezeigt, die. bei veränderten Verhältnissen, im Jahr 1870 unsichtbar waren. In allen diesen Richtungen sind wir mit der Absicht der Novelle völlig einverstanden; die Mängel der Redaction, die auch von Seiten der Regierungsvertreter zugestanden sind, wird das Zusammenwirken von Bundesrath und Reichstag unschwer be¬ seitigen. Gegen eine Reihe anderer politischer Neuerungen der Novelle müssen wir uns dagegen schon aus dem einfachen Grunde erklären, weil in dieser Hinsicht die öffentlichen Verhältnisse seit dem Zustandekommen des deutschen Straf¬ gesetzbuchs sich nicht geändert haben. Hierher gehören vor Allem die Paragra¬ phen, welche die Begriffs- und Strafbestimmungen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Sicherheit-, Forstbeamte u. s. w. enthalten. In letzterer Hinsicht greift der Entwurf der Strafgesetznovelle, wie deren Motive selbst einräumen, ..im Wesentlichen auf die Strafnormen zurück, welche vor dem Erlasse des deutschen Strafgesetzbuchs in Preußen gegolten haben". Das will sagen: die Wahl zwischen Geld- und Gefängnißstrafe, welche das bisherige Strafrecht zuläßt, verschwindet. Der Richter soll in Zukunft nur auf Gefängniß erkennen dürfen. Ja noch mehr: der Entwurf setzt ein Strafminimum von vierzehn Tagen — das vierzehnfache des Diebstahls! Man kann alle Klagen der Mo¬ tive und die Rede des Kanzlers über das Behagen des deutschen Pöbels dem Schutzmann Trotz zu bieten. Wort für Wort unterschreiben — die Grenzboten haben z. B. bereits zu Anfang dieses Jahres in den Briefen aus London von Alfred Blum mit Nachdruck auf dieses bedauerliche Symptom von gesetzloser Gesinnung hingewiesen — und man kann dennoch die Strafschärfungen. welche der Entwurf verlangt, entschieden abweisen. Denn diese Strafschärfung ist nicht etwa damit motivirt. daß die Widerstandshandlungen durchschnittlich keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/447>, abgerufen am 25.08.2024.