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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ziehung etwas langsamer heranwachsenden Süden Deutschlands musikalisch,
d. h. classischmusikalisch anzuregen und ins rechte Geleise zu bringen. An
den Concertabenden der musikalischen Academie füllt sich der von Kaulbach's
und Eberle's Künstlerhänden ausgeschmückte Saal mit einem erlesenen, nicht
blos der Mode, sondern wirklich der Kunst willen kommenden und andachts¬
voll lauschenden Publikum. Es ist das ein wohlthuender Gegensatz gegen
manche andere Orte, so z. B. den Museumsconcerten in Frankfurt a/M., in
welchen man manchmal zu meinen versucht ist, man befinde sich in einem
italienischen Theater, bekanntlich dem unruhigsten der Welt: so schlagen die
Logenthüren zu, werden die Stühle gerückt, geht das Geschnatter und Ge-
plauder hin und her -- man will eben häufig nur zeigen, daß man auch
darin, classische Musik zu hören, "machen" kann. In München hält Herr
v. Perfall, der Generalintendant, in Theatern und Concerten strenges Regiment;
wer während eines Musikstückes oder eines Aktes kommt, hat unerbittlich
vor der Thüre zu warten, bis die Pause eingetreten ist. Daß sich das Pro¬
gramm der Odeonsconcerte immer möglichst aus der eigentlichen Classicität
zusammensetzt, ist selbstverständlich und auch recht; allein hier und da dürfte
es schon mehr auch auf neuere, jugendliche Meister Rücksicht nehmen, wie das
im Gewandhaus von je üblich war. aber wieder, wenn es von Beethoven
und Mozart u. A. abgeht, sich nicht nur auf die nicht für aller Ohren tau¬
genden "symphonischen Dichtungen" K. Wagner's und Franz Lißt's beschränken-
Für den gefänglichen Theil der genannten Concerte werden nicht so häufig,
wie das in Leipzig der Fall ist, fremde, d. h. von fernher citirte Kräfte be¬
rufen, sondern gewöhnlich sind es die Koryphäen der Münchner Oper, welche
das Podium betreten. Freudige Erwartung geht jedesmal durch die Reihen
der Zuhörer, wenn die Altmeisterin der Münchner Gesangskunst, Frau Sophie
Diez, vorspricht, aus dem unerschöpften Born ihrer reichen, köstlichen Lieder
das zu geben, was ihr in dieser unverwüstlichen Frische, dieser wahren und
genialen Auffassung und vollendeten Technik keine ihrer jüngeren Kolleginnen
nachmacht.

Würdig zur Seite steht der "musikalischen Akademie" die königliche
Vocalkapelle, welche ebenfalls jeden Winter ein auserlesenes Publikum
in ihre Concerte lockt. Wir möchten fast sagen, es sei dies noch gewählter,
als das oben genannte: für den reinen, der begleitenden Instrumente ganz
entbehrenden Gesang sind nicht ganz so viele Leute begeistert, als wie für co
gemischtes Concert, darum ist es eine kleinere Gemeinde, die diesen wirklich
classischen Aufführungen lauscht. Der Dirigent der Vocalkapelle, Capellmeister
Wellner -- bei den Concerten der musikalischen Academie alternirt er arn
Dirigentenpult mit seinem College" Levi -- leistet mit den ihm zu Gebote
stehenden Kräften wirklich Außerordentliches. Man weiß gewöhnlich nicht,


ziehung etwas langsamer heranwachsenden Süden Deutschlands musikalisch,
d. h. classischmusikalisch anzuregen und ins rechte Geleise zu bringen. An
den Concertabenden der musikalischen Academie füllt sich der von Kaulbach's
und Eberle's Künstlerhänden ausgeschmückte Saal mit einem erlesenen, nicht
blos der Mode, sondern wirklich der Kunst willen kommenden und andachts¬
voll lauschenden Publikum. Es ist das ein wohlthuender Gegensatz gegen
manche andere Orte, so z. B. den Museumsconcerten in Frankfurt a/M., in
welchen man manchmal zu meinen versucht ist, man befinde sich in einem
italienischen Theater, bekanntlich dem unruhigsten der Welt: so schlagen die
Logenthüren zu, werden die Stühle gerückt, geht das Geschnatter und Ge-
plauder hin und her — man will eben häufig nur zeigen, daß man auch
darin, classische Musik zu hören, „machen" kann. In München hält Herr
v. Perfall, der Generalintendant, in Theatern und Concerten strenges Regiment;
wer während eines Musikstückes oder eines Aktes kommt, hat unerbittlich
vor der Thüre zu warten, bis die Pause eingetreten ist. Daß sich das Pro¬
gramm der Odeonsconcerte immer möglichst aus der eigentlichen Classicität
zusammensetzt, ist selbstverständlich und auch recht; allein hier und da dürfte
es schon mehr auch auf neuere, jugendliche Meister Rücksicht nehmen, wie das
im Gewandhaus von je üblich war. aber wieder, wenn es von Beethoven
und Mozart u. A. abgeht, sich nicht nur auf die nicht für aller Ohren tau¬
genden „symphonischen Dichtungen" K. Wagner's und Franz Lißt's beschränken-
Für den gefänglichen Theil der genannten Concerte werden nicht so häufig,
wie das in Leipzig der Fall ist, fremde, d. h. von fernher citirte Kräfte be¬
rufen, sondern gewöhnlich sind es die Koryphäen der Münchner Oper, welche
das Podium betreten. Freudige Erwartung geht jedesmal durch die Reihen
der Zuhörer, wenn die Altmeisterin der Münchner Gesangskunst, Frau Sophie
Diez, vorspricht, aus dem unerschöpften Born ihrer reichen, köstlichen Lieder
das zu geben, was ihr in dieser unverwüstlichen Frische, dieser wahren und
genialen Auffassung und vollendeten Technik keine ihrer jüngeren Kolleginnen
nachmacht.

Würdig zur Seite steht der „musikalischen Akademie" die königliche
Vocalkapelle, welche ebenfalls jeden Winter ein auserlesenes Publikum
in ihre Concerte lockt. Wir möchten fast sagen, es sei dies noch gewählter,
als das oben genannte: für den reinen, der begleitenden Instrumente ganz
entbehrenden Gesang sind nicht ganz so viele Leute begeistert, als wie für co
gemischtes Concert, darum ist es eine kleinere Gemeinde, die diesen wirklich
classischen Aufführungen lauscht. Der Dirigent der Vocalkapelle, Capellmeister
Wellner — bei den Concerten der musikalischen Academie alternirt er arn
Dirigentenpult mit seinem College» Levi — leistet mit den ihm zu Gebote
stehenden Kräften wirklich Außerordentliches. Man weiß gewöhnlich nicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/400>, abgerufen am 22.07.2024.