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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Dom deutschen Keichstag.

Am 22. November trat der Reichstag in die erste Berathung der Gesetz¬
entwürfe über die Erhöhung der Brausteuer und die Einführung einer Börsen¬
steuer ein. Der Erste, der das Wort nahm, war der Reichskanzler. Zwei
Tage vorher war er in Berlin eingetroffen, und nach der Rede, die am Tage
seines Eintreffens von seinem College" im Bundesrath und im preußischen
Staatsministerium, dem Finanzminister Camphausen gehalten worden, war
es die höchste Zeit, daß der Reichskanzler das Wort ergriff. Den Conflict¬
gerüchten gegenüber, welche die gegenwärtige Neichstagssession vor ihrer Er¬
öffnung umschwirrt haben und noch jetzt umschwirren. stellte der Reichskanzler
zunächst ins Licht, daß Niemand daran denkt, dem deutschen Reichstag das
Recht zu bestreiten, neue Steuervorlagen nach seinem Gutbefinden abzulehnen.
Wenn dann den reichsgesetzlich, nothwendigen Ausgaben gegenüber, die vor¬
handenen Deckungsmittel nicht zureichen, so bleibt eben nichts übrig, als die
Erhöhung der Matricularbeiträge. Folgendes war nun der zweite Punkt,
dem der Reichskanzler das volle Licht gab, dessen gerade dieser Punkt bedarf,
das ihm aber der preußische Finanzminister zwei Tage vorher in höchst schillern-
der. verwirrender Weise gespendet hatte. Matricularbeiträge sind der Verderb
des Reichs. Sie sind durch die Reichsverfassung eingeführt, weil man bei der
Gründung derselben nicht sogleich ein System eigener Reichseinnahmen auf¬
bauen konnte. Aber dieses System muß nunmehr Stein für Stein aufgebaut
werden. Der Reichstag kann den ersten und jeden nachfolgenden Stein des
Systems eigener Reichssteuern verweigern. Damit thut der Reichstag, was
in seinem Recht ist, aber er thut nicht, was seine Pflicht ist; denn indem er
die Matricularbeiträge verewigt, beschädigt er das Reich. Diesen Gedanken
führte der Kanzler mit dem Griffel aus, der gewohnt ist. nur unvergeßliche
Züge zu schreiben. Er sagte: die deutsche Einheit habe so viele Knochenbrüche
erlitten im Laufe der Jahrhunderte, deren Heilung eben jetzt versucht worden;
da sei der Callus noch nicht wieder fest geworden. Das sicherste Mittel, den
Callus aufs Neue zu zerreißen, sind aber parlamentarische Machtproben von
Seiten des Reichstags. und auf- und abschwellende Matricularbeiträge von
Seiten des Reichs. Die Matricularbeiträge sind eine ungerechte Auflage, weil
sie ohne Willkür nur nach dem Maaßstab der Kopfzahl den Bundesstaaten
aufgelegt werden können. In Folge dessen wehren sich zunächst die Bundes¬
staaten nach Kräften im Bundesrath gegen die Größe der Reichsausgaben
und damit gegen die Aufnahme und Versorgung der wahren Reichszwecke.
Soweit es den Bundesstaaten aber nicht gelingt, sich der Matricularbeiträge


Dom deutschen Keichstag.

Am 22. November trat der Reichstag in die erste Berathung der Gesetz¬
entwürfe über die Erhöhung der Brausteuer und die Einführung einer Börsen¬
steuer ein. Der Erste, der das Wort nahm, war der Reichskanzler. Zwei
Tage vorher war er in Berlin eingetroffen, und nach der Rede, die am Tage
seines Eintreffens von seinem College» im Bundesrath und im preußischen
Staatsministerium, dem Finanzminister Camphausen gehalten worden, war
es die höchste Zeit, daß der Reichskanzler das Wort ergriff. Den Conflict¬
gerüchten gegenüber, welche die gegenwärtige Neichstagssession vor ihrer Er¬
öffnung umschwirrt haben und noch jetzt umschwirren. stellte der Reichskanzler
zunächst ins Licht, daß Niemand daran denkt, dem deutschen Reichstag das
Recht zu bestreiten, neue Steuervorlagen nach seinem Gutbefinden abzulehnen.
Wenn dann den reichsgesetzlich, nothwendigen Ausgaben gegenüber, die vor¬
handenen Deckungsmittel nicht zureichen, so bleibt eben nichts übrig, als die
Erhöhung der Matricularbeiträge. Folgendes war nun der zweite Punkt,
dem der Reichskanzler das volle Licht gab, dessen gerade dieser Punkt bedarf,
das ihm aber der preußische Finanzminister zwei Tage vorher in höchst schillern-
der. verwirrender Weise gespendet hatte. Matricularbeiträge sind der Verderb
des Reichs. Sie sind durch die Reichsverfassung eingeführt, weil man bei der
Gründung derselben nicht sogleich ein System eigener Reichseinnahmen auf¬
bauen konnte. Aber dieses System muß nunmehr Stein für Stein aufgebaut
werden. Der Reichstag kann den ersten und jeden nachfolgenden Stein des
Systems eigener Reichssteuern verweigern. Damit thut der Reichstag, was
in seinem Recht ist, aber er thut nicht, was seine Pflicht ist; denn indem er
die Matricularbeiträge verewigt, beschädigt er das Reich. Diesen Gedanken
führte der Kanzler mit dem Griffel aus, der gewohnt ist. nur unvergeßliche
Züge zu schreiben. Er sagte: die deutsche Einheit habe so viele Knochenbrüche
erlitten im Laufe der Jahrhunderte, deren Heilung eben jetzt versucht worden;
da sei der Callus noch nicht wieder fest geworden. Das sicherste Mittel, den
Callus aufs Neue zu zerreißen, sind aber parlamentarische Machtproben von
Seiten des Reichstags. und auf- und abschwellende Matricularbeiträge von
Seiten des Reichs. Die Matricularbeiträge sind eine ungerechte Auflage, weil
sie ohne Willkür nur nach dem Maaßstab der Kopfzahl den Bundesstaaten
aufgelegt werden können. In Folge dessen wehren sich zunächst die Bundes¬
staaten nach Kräften im Bundesrath gegen die Größe der Reichsausgaben
und damit gegen die Aufnahme und Versorgung der wahren Reichszwecke.
Soweit es den Bundesstaaten aber nicht gelingt, sich der Matricularbeiträge


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[0393] Dom deutschen Keichstag. Am 22. November trat der Reichstag in die erste Berathung der Gesetz¬ entwürfe über die Erhöhung der Brausteuer und die Einführung einer Börsen¬ steuer ein. Der Erste, der das Wort nahm, war der Reichskanzler. Zwei Tage vorher war er in Berlin eingetroffen, und nach der Rede, die am Tage seines Eintreffens von seinem College» im Bundesrath und im preußischen Staatsministerium, dem Finanzminister Camphausen gehalten worden, war es die höchste Zeit, daß der Reichskanzler das Wort ergriff. Den Conflict¬ gerüchten gegenüber, welche die gegenwärtige Neichstagssession vor ihrer Er¬ öffnung umschwirrt haben und noch jetzt umschwirren. stellte der Reichskanzler zunächst ins Licht, daß Niemand daran denkt, dem deutschen Reichstag das Recht zu bestreiten, neue Steuervorlagen nach seinem Gutbefinden abzulehnen. Wenn dann den reichsgesetzlich, nothwendigen Ausgaben gegenüber, die vor¬ handenen Deckungsmittel nicht zureichen, so bleibt eben nichts übrig, als die Erhöhung der Matricularbeiträge. Folgendes war nun der zweite Punkt, dem der Reichskanzler das volle Licht gab, dessen gerade dieser Punkt bedarf, das ihm aber der preußische Finanzminister zwei Tage vorher in höchst schillern- der. verwirrender Weise gespendet hatte. Matricularbeiträge sind der Verderb des Reichs. Sie sind durch die Reichsverfassung eingeführt, weil man bei der Gründung derselben nicht sogleich ein System eigener Reichseinnahmen auf¬ bauen konnte. Aber dieses System muß nunmehr Stein für Stein aufgebaut werden. Der Reichstag kann den ersten und jeden nachfolgenden Stein des Systems eigener Reichssteuern verweigern. Damit thut der Reichstag, was in seinem Recht ist, aber er thut nicht, was seine Pflicht ist; denn indem er die Matricularbeiträge verewigt, beschädigt er das Reich. Diesen Gedanken führte der Kanzler mit dem Griffel aus, der gewohnt ist. nur unvergeßliche Züge zu schreiben. Er sagte: die deutsche Einheit habe so viele Knochenbrüche erlitten im Laufe der Jahrhunderte, deren Heilung eben jetzt versucht worden; da sei der Callus noch nicht wieder fest geworden. Das sicherste Mittel, den Callus aufs Neue zu zerreißen, sind aber parlamentarische Machtproben von Seiten des Reichstags. und auf- und abschwellende Matricularbeiträge von Seiten des Reichs. Die Matricularbeiträge sind eine ungerechte Auflage, weil sie ohne Willkür nur nach dem Maaßstab der Kopfzahl den Bundesstaaten aufgelegt werden können. In Folge dessen wehren sich zunächst die Bundes¬ staaten nach Kräften im Bundesrath gegen die Größe der Reichsausgaben und damit gegen die Aufnahme und Versorgung der wahren Reichszwecke. Soweit es den Bundesstaaten aber nicht gelingt, sich der Matricularbeiträge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/393>, abgerufen am 22.07.2024.