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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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zu Werke ging, ob die Räthe, ob die versammelte Bürgerschaft oder ob die
ausziehenden Knechte die Anführer wählten. immer ging das Streben doch
aufrichtig dahin, dem Heere möglichst tüchtige Befehlshaber zugeben. Dieses
ernste Trachten und der Umstand, daß namentlich unter dem Adel eine große
Zahl von Männern war. welche sich in auswärtigen Kämpfen reiche Erfahrung
erworben hatten, erklären es. daß trotz des so bedenklichen Wahlmodus die
Heere der Eidgenossen im 14. und 15. Jahrhundert beinahe immer gut geführt
waren und fast stets sehr tüchtige Männer zu höhern oder niedern Anführern
hatten. "Denn nicht Hirten, wie die Dichtung uns glauben machen möchte,
haben den Freistaat der Schweiz gestiftet, sondern in der Welt erfahrene Män¬
ner, die in den lombardischen Städten als Söldner eine tiefere Einsicht in die
politischen Verhältnisse gewonnen hatten." *) "Nicht in der Ruhe seines hei¬
mathlichen Thales hatte jener alte Reding von Biberegg den strategischen
Ueberblick erworben, durch den er am Tage vor Morgarten seinen Landleuten
die Absichten des Feindes vorhergesagt und aus dem heraus er seinen Rath
ertheilt. Ebenso war es in fremden Diensten und Kriegen gewesen, daß Ru¬
dolf von Erlach, der Sieger bei Laupen. sechs Feldschlachten beigewohnt, in
denen jedesmal das größere Heer von dem kleineren geschlagen worden war."**)
Wo konnte man sich auch sonst in den zu jener Zeit noch in Blüthe stehen¬
den ritterlichen Künsten besser ausbilden, als im fürstlichen Herrendienst?!
"Die Höfe vertraten damals für den jungen Edelmann noch die Stelle der
Universitäten***), und auch der Schweizer Adel hat sich dieser Schule nicht
entzogen."

Einen gemeinsamen Oberbefehlshaber über die schweizerischen Bundes¬
heere hatte man im 14. und 15. Jahrhundert nicht. Wenn aber auch dieser,
sowie überhaupt die Einrichtung eines eigentlich eidgenössischen Kriegs¬
wesens fehlte und den bei Ausbruch eines Krieges auf der Tagsatzung ver¬
einigten Boten nur sehr beschränkte Verfügung über die Kontingente der
einzelnen Orte, nach Maßgabe der Verträge zu Gebote stand, so waren doch
über gewisse wichtige Vorgänge in Kriegssachen allgemein gültige Grundsätze
angenommen. Zuerst formulirt wurden solche Normen im Jahre 1393 zu
Zürich in dem sogenannten Sempach er-Brief, den die acht alten Orte
errichteten und beschworen und auf den ich gleich noch einmal zurückkommen
werde. Er blieb für ein Viertel-Jahrtausend die Grundlage der eidgenössischen
Wehrverfassung-!-). und seine wichtigste Bestimmung war die. "daß kein Ort






") Hermann v. Liebenau- Geschichte der Winkelriede von Steins (bei v. Elgger).**)v.Rot
t- Geschichte des Berner Kriegswesens.
C.Br
unner: Hans v. Hallwyl <bei Elgger).
B
1) is zum ..Wyler-Abschied' von 1647. In diesem wurden die Contingente. welche
jeder Ort zu stellen hatte, bezeichnet; der gesammte erste Auszug ward auf 12,000 Mann nebst50 Stücken, der 2. u. ö. Auszug in gleicher Stärke festgesetzt. -- Eine umfassendere allgemeine

zu Werke ging, ob die Räthe, ob die versammelte Bürgerschaft oder ob die
ausziehenden Knechte die Anführer wählten. immer ging das Streben doch
aufrichtig dahin, dem Heere möglichst tüchtige Befehlshaber zugeben. Dieses
ernste Trachten und der Umstand, daß namentlich unter dem Adel eine große
Zahl von Männern war. welche sich in auswärtigen Kämpfen reiche Erfahrung
erworben hatten, erklären es. daß trotz des so bedenklichen Wahlmodus die
Heere der Eidgenossen im 14. und 15. Jahrhundert beinahe immer gut geführt
waren und fast stets sehr tüchtige Männer zu höhern oder niedern Anführern
hatten. „Denn nicht Hirten, wie die Dichtung uns glauben machen möchte,
haben den Freistaat der Schweiz gestiftet, sondern in der Welt erfahrene Män¬
ner, die in den lombardischen Städten als Söldner eine tiefere Einsicht in die
politischen Verhältnisse gewonnen hatten." *) „Nicht in der Ruhe seines hei¬
mathlichen Thales hatte jener alte Reding von Biberegg den strategischen
Ueberblick erworben, durch den er am Tage vor Morgarten seinen Landleuten
die Absichten des Feindes vorhergesagt und aus dem heraus er seinen Rath
ertheilt. Ebenso war es in fremden Diensten und Kriegen gewesen, daß Ru¬
dolf von Erlach, der Sieger bei Laupen. sechs Feldschlachten beigewohnt, in
denen jedesmal das größere Heer von dem kleineren geschlagen worden war."**)
Wo konnte man sich auch sonst in den zu jener Zeit noch in Blüthe stehen¬
den ritterlichen Künsten besser ausbilden, als im fürstlichen Herrendienst?!
»Die Höfe vertraten damals für den jungen Edelmann noch die Stelle der
Universitäten***), und auch der Schweizer Adel hat sich dieser Schule nicht
entzogen."

Einen gemeinsamen Oberbefehlshaber über die schweizerischen Bundes¬
heere hatte man im 14. und 15. Jahrhundert nicht. Wenn aber auch dieser,
sowie überhaupt die Einrichtung eines eigentlich eidgenössischen Kriegs¬
wesens fehlte und den bei Ausbruch eines Krieges auf der Tagsatzung ver¬
einigten Boten nur sehr beschränkte Verfügung über die Kontingente der
einzelnen Orte, nach Maßgabe der Verträge zu Gebote stand, so waren doch
über gewisse wichtige Vorgänge in Kriegssachen allgemein gültige Grundsätze
angenommen. Zuerst formulirt wurden solche Normen im Jahre 1393 zu
Zürich in dem sogenannten Sempach er-Brief, den die acht alten Orte
errichteten und beschworen und auf den ich gleich noch einmal zurückkommen
werde. Er blieb für ein Viertel-Jahrtausend die Grundlage der eidgenössischen
Wehrverfassung-!-). und seine wichtigste Bestimmung war die. „daß kein Ort






") Hermann v. Liebenau- Geschichte der Winkelriede von Steins (bei v. Elgger).**)v.Rot
t- Geschichte des Berner Kriegswesens.
C.Br
unner: Hans v. Hallwyl <bei Elgger).
B
1) is zum ..Wyler-Abschied' von 1647. In diesem wurden die Contingente. welche
jeder Ort zu stellen hatte, bezeichnet; der gesammte erste Auszug ward auf 12,000 Mann nebst50 Stücken, der 2. u. ö. Auszug in gleicher Stärke festgesetzt. — Eine umfassendere allgemeine
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[0377] zu Werke ging, ob die Räthe, ob die versammelte Bürgerschaft oder ob die ausziehenden Knechte die Anführer wählten. immer ging das Streben doch aufrichtig dahin, dem Heere möglichst tüchtige Befehlshaber zugeben. Dieses ernste Trachten und der Umstand, daß namentlich unter dem Adel eine große Zahl von Männern war. welche sich in auswärtigen Kämpfen reiche Erfahrung erworben hatten, erklären es. daß trotz des so bedenklichen Wahlmodus die Heere der Eidgenossen im 14. und 15. Jahrhundert beinahe immer gut geführt waren und fast stets sehr tüchtige Männer zu höhern oder niedern Anführern hatten. „Denn nicht Hirten, wie die Dichtung uns glauben machen möchte, haben den Freistaat der Schweiz gestiftet, sondern in der Welt erfahrene Män¬ ner, die in den lombardischen Städten als Söldner eine tiefere Einsicht in die politischen Verhältnisse gewonnen hatten." *) „Nicht in der Ruhe seines hei¬ mathlichen Thales hatte jener alte Reding von Biberegg den strategischen Ueberblick erworben, durch den er am Tage vor Morgarten seinen Landleuten die Absichten des Feindes vorhergesagt und aus dem heraus er seinen Rath ertheilt. Ebenso war es in fremden Diensten und Kriegen gewesen, daß Ru¬ dolf von Erlach, der Sieger bei Laupen. sechs Feldschlachten beigewohnt, in denen jedesmal das größere Heer von dem kleineren geschlagen worden war."**) Wo konnte man sich auch sonst in den zu jener Zeit noch in Blüthe stehen¬ den ritterlichen Künsten besser ausbilden, als im fürstlichen Herrendienst?! »Die Höfe vertraten damals für den jungen Edelmann noch die Stelle der Universitäten***), und auch der Schweizer Adel hat sich dieser Schule nicht entzogen." Einen gemeinsamen Oberbefehlshaber über die schweizerischen Bundes¬ heere hatte man im 14. und 15. Jahrhundert nicht. Wenn aber auch dieser, sowie überhaupt die Einrichtung eines eigentlich eidgenössischen Kriegs¬ wesens fehlte und den bei Ausbruch eines Krieges auf der Tagsatzung ver¬ einigten Boten nur sehr beschränkte Verfügung über die Kontingente der einzelnen Orte, nach Maßgabe der Verträge zu Gebote stand, so waren doch über gewisse wichtige Vorgänge in Kriegssachen allgemein gültige Grundsätze angenommen. Zuerst formulirt wurden solche Normen im Jahre 1393 zu Zürich in dem sogenannten Sempach er-Brief, den die acht alten Orte errichteten und beschworen und auf den ich gleich noch einmal zurückkommen werde. Er blieb für ein Viertel-Jahrtausend die Grundlage der eidgenössischen Wehrverfassung-!-). und seine wichtigste Bestimmung war die. „daß kein Ort ") Hermann v. Liebenau- Geschichte der Winkelriede von Steins (bei v. Elgger).**)v.Rot t- Geschichte des Berner Kriegswesens. C.Br unner: Hans v. Hallwyl <bei Elgger). B 1) is zum ..Wyler-Abschied' von 1647. In diesem wurden die Contingente. welche jeder Ort zu stellen hatte, bezeichnet; der gesammte erste Auszug ward auf 12,000 Mann nebst50 Stücken, der 2. u. ö. Auszug in gleicher Stärke festgesetzt. — Eine umfassendere allgemeine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/377>, abgerufen am 22.07.2024.