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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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suchte ich ihn auch meinerseits auf das Feld der Kriegserinnerungen zu locken.
Er aber erwiderte kurz: "O'est Mös6, on n> penso plus", und begann
vom schönen Wetter zu sprechen. Umgekehrt traf ich's am Se. Jakobsthurm.
Der Wächter desselben, dem ich mich durch einen Zufall als Preuße zu er-
kennen gab, überschüttete mich sofort mit einer solchen Fluth von politischer
Weisheit, daß ich alle Mühe hatte, dem entfesselten oratorischen Element
des Mannes ab und zu einen Augenblick Einhalt zu thun. Da ward ich
belehrt, daß Frankreich durch Bazaine verrathen und verkauft wurde; daß
Bismarck ohne Zweifel ein sehr kluger Mann sei, aber Frankreich gegen¬
über seine Klugheit am unrechten Orte gebraucht habe; daß, wenn er
wirklich der große Staatsmann sei, für den man ihn ausgebe, er als das
einzige Mittel zur Wiederherstellung guter Beziehungen mit Frankreich
die Herausgabe von Elsaß-Lothringen erkennen müsse u. s. w. Und als ich
dies Alles nicht einsehen wollte, da mußte ich hören, daß noch vor dem
Jahre 1880 der neue Krieg kommen und Frankreich unfehlbar siegen werde,
und nachdem mir der furibunde Declamator schließlich erklärt, daß die Preußen
keine Menschen, sondern Wilde seien, schlug er an sein Seitengewehr und gab
mir den Abschied mit den Worten: "Vous xouves monier, Nonsieur! Nous
us serons ^mais amisl" Als ich auf der Zinne des Thurmes stand und
von der schwindligen Höhe hinabsah, war ich wirklich froh, den Mann, der
alle seine vier Söhne als Werkzeuge der venseanee -- revavens war ihm zu
gelinde -- erzieht, nicht neben mir zu haben; da droben würde mir das fana¬
tische Feuer seiner dunklen Augen einigermaßen unheimlich erschienen sein.
Unten wieder angekommen, nahm ich mit einem ironischen ,,^u revoir ^
Lerlin!" von ihm Abschied; indeß, er würdigte mich keines Blickes mehr.
Hoffentlich schlummert nicht hinter einem jeden "Mräien nie ig, paix" der guten
Stadt Paris ein solcher Vulkan! Zur Entschuldigung des Mannes muß ich
jedoch anführen, daß er in Metz geboren, unter Bazaine dort eingeschlossen
und nach der Annexion ausgewandert war.

Der wirkliche Pariser ist von solch ungeberdigen Zornesausbrüchen weit
entfernt. Mit jedem gebildeteren Manne läßt sich über das Verhältniß zwischen
Deutschland und Frankreich in aller Ruhe discutiren. Derselbe wird sogar, be¬
sonders wenn er der Geschäftswelt angehört, unumwunden seinen Wunsch
einer möglichst langen Dauer des Friedens zu erkennen geben. Aber daß
früher oder später der Krieg mit Deutschland kommen muß, nicht sowohl
der Revanche, als der "Wiedereroberung der berechtigten Stellung Frankreichs
wegen", gilt Allen als unerschütterliches Axiom. Mit rückhaltlosester Offenheit
gesteht man ein, daß auf dieses Ziel mit planmäßiger Energie hingearbeitet
wird. Und wie in diesem Gedanken die neuen, bisher nicht gekannten Lasten
getragen werden, davon habe ich mich bei der im September auf Grund des


suchte ich ihn auch meinerseits auf das Feld der Kriegserinnerungen zu locken.
Er aber erwiderte kurz: „O'est Mös6, on n> penso plus", und begann
vom schönen Wetter zu sprechen. Umgekehrt traf ich's am Se. Jakobsthurm.
Der Wächter desselben, dem ich mich durch einen Zufall als Preuße zu er-
kennen gab, überschüttete mich sofort mit einer solchen Fluth von politischer
Weisheit, daß ich alle Mühe hatte, dem entfesselten oratorischen Element
des Mannes ab und zu einen Augenblick Einhalt zu thun. Da ward ich
belehrt, daß Frankreich durch Bazaine verrathen und verkauft wurde; daß
Bismarck ohne Zweifel ein sehr kluger Mann sei, aber Frankreich gegen¬
über seine Klugheit am unrechten Orte gebraucht habe; daß, wenn er
wirklich der große Staatsmann sei, für den man ihn ausgebe, er als das
einzige Mittel zur Wiederherstellung guter Beziehungen mit Frankreich
die Herausgabe von Elsaß-Lothringen erkennen müsse u. s. w. Und als ich
dies Alles nicht einsehen wollte, da mußte ich hören, daß noch vor dem
Jahre 1880 der neue Krieg kommen und Frankreich unfehlbar siegen werde,
und nachdem mir der furibunde Declamator schließlich erklärt, daß die Preußen
keine Menschen, sondern Wilde seien, schlug er an sein Seitengewehr und gab
mir den Abschied mit den Worten: „Vous xouves monier, Nonsieur! Nous
us serons ^mais amisl» Als ich auf der Zinne des Thurmes stand und
von der schwindligen Höhe hinabsah, war ich wirklich froh, den Mann, der
alle seine vier Söhne als Werkzeuge der venseanee — revavens war ihm zu
gelinde — erzieht, nicht neben mir zu haben; da droben würde mir das fana¬
tische Feuer seiner dunklen Augen einigermaßen unheimlich erschienen sein.
Unten wieder angekommen, nahm ich mit einem ironischen ,,^u revoir ^
Lerlin!" von ihm Abschied; indeß, er würdigte mich keines Blickes mehr.
Hoffentlich schlummert nicht hinter einem jeden „Mräien nie ig, paix" der guten
Stadt Paris ein solcher Vulkan! Zur Entschuldigung des Mannes muß ich
jedoch anführen, daß er in Metz geboren, unter Bazaine dort eingeschlossen
und nach der Annexion ausgewandert war.

Der wirkliche Pariser ist von solch ungeberdigen Zornesausbrüchen weit
entfernt. Mit jedem gebildeteren Manne läßt sich über das Verhältniß zwischen
Deutschland und Frankreich in aller Ruhe discutiren. Derselbe wird sogar, be¬
sonders wenn er der Geschäftswelt angehört, unumwunden seinen Wunsch
einer möglichst langen Dauer des Friedens zu erkennen geben. Aber daß
früher oder später der Krieg mit Deutschland kommen muß, nicht sowohl
der Revanche, als der „Wiedereroberung der berechtigten Stellung Frankreichs
wegen", gilt Allen als unerschütterliches Axiom. Mit rückhaltlosester Offenheit
gesteht man ein, daß auf dieses Ziel mit planmäßiger Energie hingearbeitet
wird. Und wie in diesem Gedanken die neuen, bisher nicht gekannten Lasten
getragen werden, davon habe ich mich bei der im September auf Grund des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/354>, abgerufen am 22.07.2024.