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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Mas Geist? Aas Ideal? Das Gold ist der Gott und die Lust das höchste
Gut, die Tugend ist ein Thorenwahn. Wenn wir ausgeschwindelt und cms-
geschwelgt und die Bitterkeit der,j Daseinshefe unsern Lippen naht. dann
her mit der Cyankaliphiole oder dem Revolver! So die höllische Botschaft
und ihr Pesthauch hat auch schon angefangen die Zukunftssaat, die Jugend
zu vergiften." Aber wir müssen durch, und sollte die Schlammfluth aufs
ärgste toben; die Noth, die ihr folgen müßte, würde der Menschheit ihre
Sünden des Hochmuths abbüßen lassen, die besseren Kräfte, alles "was sterblich
nicht in uns", zu neuer Thätigkeit wecken, und unter Anrufung der unzer¬
störbaren Ideale, det'Ideen des Rechten und Schönen, würde die Culturarbeit
von frischem beginnen.'

In diesem Sinn ist von mir und einigen Gesinnungsgenossen öfters
geredet worden. Uebereinstimmend mit uns bekennt Schein "Der Menschheit-
tiche Lebensproceß bedarf nicht nur stofflicher, sondern auch südlicher Elemente.
Am Ende ist es doch immer wieder der menschliche Gedanke, weint)."r die An-
triebe materieller Nothwendigkeit civilifatvrisch wirksam macht. Ideen, Ideale,
Götter müssen sein, die Kraftstoffel mögen dagegen toben wie sie wollen.'
Die menschliche Gesellschaft kann die Religion nie und nirgends entbehren,
sie ist der Zdeallsmus des Volkes, sie bleibt das einzige Mittel, wodurch es
sich mit der idealen Welt, die ein sehr reales, eulturgeschichtliches Motiv ist.
in Beziehung setzen kann."

Aber wie in aller Welt kommt Scherr dazu, die Ideale für Illusionen
zu erklären, sich in Aeußerungen folgender Art zu gefallen, fast möchte man
sagen, sich damit zu brüsten. wenn man ihn in eine Classe mit mundfertigen
Feuilletonisten und andern Halbgebildeten setzen dürfte, die er selber be¬
kämpft? "Die höchsten Aufschwünge des Menschengeistes, die edelsten Jnstincte
und die süßesten Affecte der Menschenseele, die Fanatismen der Religion und
Politik, die verzückte Muth der Andacht und die keuschen Wonneschauer der
ersten Liebe, die blendenden Illusionen der Begeisterung und die stolzen
Triumphe der Wissenschaft, in den Himmel hinausfliegende Lust und in die
Erde sich hinabwühlendes Leid, der stachelnde Hunger nach Rang und Reich¬
thum, der lechzende Durst der Ehrsucht und die Sättigung mit Ruhm, der
berauschende Hochmuth der Herrschaft und der entzückende Traum von Frei¬
heit, Wahrheit und Gerechtigkeit, das Hochgefühl der Tugend und die Hoff¬
nung der Unsterblichkeit: - Seifenblasen'. ... Der Mensch hungert und
dürstet nach Illusionen. Weil sein Dasein ein schwerer Traum, fühlt er sich
unwiderstehlich getrieben die Schwere dieses Traumes der Wirklichkeit mittels
Träumen der Phantasie etwas zu erleichtern. Täuschung, Wahn, Lüge sind
sür M unavweisliche, weil naturnothwendige Bedürfnisse. Die höchste Illu¬
sion der Menschheit, das Gottesbedürsniß, erlischt nur mit ^hr selbst . - -


Mas Geist? Aas Ideal? Das Gold ist der Gott und die Lust das höchste
Gut, die Tugend ist ein Thorenwahn. Wenn wir ausgeschwindelt und cms-
geschwelgt und die Bitterkeit der,j Daseinshefe unsern Lippen naht. dann
her mit der Cyankaliphiole oder dem Revolver! So die höllische Botschaft
und ihr Pesthauch hat auch schon angefangen die Zukunftssaat, die Jugend
zu vergiften." Aber wir müssen durch, und sollte die Schlammfluth aufs
ärgste toben; die Noth, die ihr folgen müßte, würde der Menschheit ihre
Sünden des Hochmuths abbüßen lassen, die besseren Kräfte, alles „was sterblich
nicht in uns", zu neuer Thätigkeit wecken, und unter Anrufung der unzer¬
störbaren Ideale, det'Ideen des Rechten und Schönen, würde die Culturarbeit
von frischem beginnen.'

In diesem Sinn ist von mir und einigen Gesinnungsgenossen öfters
geredet worden. Uebereinstimmend mit uns bekennt Schein „Der Menschheit-
tiche Lebensproceß bedarf nicht nur stofflicher, sondern auch südlicher Elemente.
Am Ende ist es doch immer wieder der menschliche Gedanke, weint)."r die An-
triebe materieller Nothwendigkeit civilifatvrisch wirksam macht. Ideen, Ideale,
Götter müssen sein, die Kraftstoffel mögen dagegen toben wie sie wollen.'
Die menschliche Gesellschaft kann die Religion nie und nirgends entbehren,
sie ist der Zdeallsmus des Volkes, sie bleibt das einzige Mittel, wodurch es
sich mit der idealen Welt, die ein sehr reales, eulturgeschichtliches Motiv ist.
in Beziehung setzen kann."

Aber wie in aller Welt kommt Scherr dazu, die Ideale für Illusionen
zu erklären, sich in Aeußerungen folgender Art zu gefallen, fast möchte man
sagen, sich damit zu brüsten. wenn man ihn in eine Classe mit mundfertigen
Feuilletonisten und andern Halbgebildeten setzen dürfte, die er selber be¬
kämpft? „Die höchsten Aufschwünge des Menschengeistes, die edelsten Jnstincte
und die süßesten Affecte der Menschenseele, die Fanatismen der Religion und
Politik, die verzückte Muth der Andacht und die keuschen Wonneschauer der
ersten Liebe, die blendenden Illusionen der Begeisterung und die stolzen
Triumphe der Wissenschaft, in den Himmel hinausfliegende Lust und in die
Erde sich hinabwühlendes Leid, der stachelnde Hunger nach Rang und Reich¬
thum, der lechzende Durst der Ehrsucht und die Sättigung mit Ruhm, der
berauschende Hochmuth der Herrschaft und der entzückende Traum von Frei¬
heit, Wahrheit und Gerechtigkeit, das Hochgefühl der Tugend und die Hoff¬
nung der Unsterblichkeit: - Seifenblasen'. ... Der Mensch hungert und
dürstet nach Illusionen. Weil sein Dasein ein schwerer Traum, fühlt er sich
unwiderstehlich getrieben die Schwere dieses Traumes der Wirklichkeit mittels
Träumen der Phantasie etwas zu erleichtern. Täuschung, Wahn, Lüge sind
sür M unavweisliche, weil naturnothwendige Bedürfnisse. Die höchste Illu¬
sion der Menschheit, das Gottesbedürsniß, erlischt nur mit ^hr selbst . - -


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[0330] Mas Geist? Aas Ideal? Das Gold ist der Gott und die Lust das höchste Gut, die Tugend ist ein Thorenwahn. Wenn wir ausgeschwindelt und cms- geschwelgt und die Bitterkeit der,j Daseinshefe unsern Lippen naht. dann her mit der Cyankaliphiole oder dem Revolver! So die höllische Botschaft und ihr Pesthauch hat auch schon angefangen die Zukunftssaat, die Jugend zu vergiften." Aber wir müssen durch, und sollte die Schlammfluth aufs ärgste toben; die Noth, die ihr folgen müßte, würde der Menschheit ihre Sünden des Hochmuths abbüßen lassen, die besseren Kräfte, alles „was sterblich nicht in uns", zu neuer Thätigkeit wecken, und unter Anrufung der unzer¬ störbaren Ideale, det'Ideen des Rechten und Schönen, würde die Culturarbeit von frischem beginnen.' In diesem Sinn ist von mir und einigen Gesinnungsgenossen öfters geredet worden. Uebereinstimmend mit uns bekennt Schein „Der Menschheit- tiche Lebensproceß bedarf nicht nur stofflicher, sondern auch südlicher Elemente. Am Ende ist es doch immer wieder der menschliche Gedanke, weint)."r die An- triebe materieller Nothwendigkeit civilifatvrisch wirksam macht. Ideen, Ideale, Götter müssen sein, die Kraftstoffel mögen dagegen toben wie sie wollen.' Die menschliche Gesellschaft kann die Religion nie und nirgends entbehren, sie ist der Zdeallsmus des Volkes, sie bleibt das einzige Mittel, wodurch es sich mit der idealen Welt, die ein sehr reales, eulturgeschichtliches Motiv ist. in Beziehung setzen kann." Aber wie in aller Welt kommt Scherr dazu, die Ideale für Illusionen zu erklären, sich in Aeußerungen folgender Art zu gefallen, fast möchte man sagen, sich damit zu brüsten. wenn man ihn in eine Classe mit mundfertigen Feuilletonisten und andern Halbgebildeten setzen dürfte, die er selber be¬ kämpft? „Die höchsten Aufschwünge des Menschengeistes, die edelsten Jnstincte und die süßesten Affecte der Menschenseele, die Fanatismen der Religion und Politik, die verzückte Muth der Andacht und die keuschen Wonneschauer der ersten Liebe, die blendenden Illusionen der Begeisterung und die stolzen Triumphe der Wissenschaft, in den Himmel hinausfliegende Lust und in die Erde sich hinabwühlendes Leid, der stachelnde Hunger nach Rang und Reich¬ thum, der lechzende Durst der Ehrsucht und die Sättigung mit Ruhm, der berauschende Hochmuth der Herrschaft und der entzückende Traum von Frei¬ heit, Wahrheit und Gerechtigkeit, das Hochgefühl der Tugend und die Hoff¬ nung der Unsterblichkeit: - Seifenblasen'. ... Der Mensch hungert und dürstet nach Illusionen. Weil sein Dasein ein schwerer Traum, fühlt er sich unwiderstehlich getrieben die Schwere dieses Traumes der Wirklichkeit mittels Träumen der Phantasie etwas zu erleichtern. Täuschung, Wahn, Lüge sind sür M unavweisliche, weil naturnothwendige Bedürfnisse. Die höchste Illu¬ sion der Menschheit, das Gottesbedürsniß, erlischt nur mit ^hr selbst . - -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/330>, abgerufen am 22.07.2024.