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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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^Han. "Um was es sich für denkende Männer handelt, ist die gewonnene
nationale Basis, nicht weil , sondern obgleich sie preußisch angestrichen ist,
festzuhalten und darauf weiter zu bauen. Das scheint mir verständiger und
patriotischer zu sein als mit schiefgezogenem Maul in einem Winkel zu stehn
und in lächerlich ohnmächtigem Groll zu greinen : Wir thun nicht mit, weil
der Ball schwarzweißroth statt schwarzrothgelb gefärbt ist! Die Hauptsache
ist doch wohl, daß man überhaupt einmal einen tüchtigen Ball hat, womit
man werfen und treffen kann."

Indeß Scherr selber fragt: "Hat die Größe des Kampfpreises die Opfer
vollständig gedeckt?" und er antwortet mit einem trocknen Nein. Mit freu¬
digem Stolz weist er auf die Ausrufung des deutschen Kaisers im Schloß
von Versailles, aber er beklagt, daß das ein militärisches Schauspiel geblieben,
das Volk sei nicht mit dabei gewesen. Nun, es war eben ein Krieg; wir
Volk daheim aber haben wenigstens im Süden unablässig gearbeitet, daß das
Reich noch vor dem Frieden aufgebaut werde, und waren mit Kopf und Herz
dabei, wenn auch uneingeladen. und es hat das keinen verdrossen. Wir haben
darum auch jenen Uhland'schen Tropfen demokratischen Oeles an der Kaiser¬
krone nicht vermißt; der war schon da, als der sieggekrönte König von Preußen
1866 von der Kammer dennoch Indemnität für ein Verfahren forderte, das
gegen den Willen der Kammer so großen Erfolg gehabt und durch die.That ge¬
rechtfertigt war; wir sahen ihn darin, daß die Reichsverfassung mit den ohne
alle Beschränkung vom Volk gewählten Männern berathen und beschlossen ward.
Sie soll nach Scherr ein leidiges Stück- und Flickwerk sein. Aber sie paßt auf
den Leib des Volkes und des großen Stammes, der sie entwarf und ausführte ;
das ist besser als eine vom Verstand regelrecht nach der Theorie gezeichnete
Schablone, der das Leben dann sich anbequemen soll. So bekennt denn
auch Scherr, daß die sehr gekünstelte Maschine für die politische und wirth¬
schaftliche Entwicklung des Reichs schon Vorzügliches geleistet hat; er hätte
hinzufügen sollen, daß auch das deutsche Rechtsbuch schon in Angriff genommen
ist; und wenn er nicht ohne Besorgniß meint, das gehe so gut unter dem
Obermaschinisten Bismarck, aber die Menschen seien kurz-, die Einrichtungen
langlebig, so wollen wir es der Zukunft überlassen, daß sie die Einrichtungen
den Menschen anpaßt. Indeß Scherr fordert den Einheitsstaat statt des Fö¬
deralismus; die Kleinwirthschaft wolle nirgens mehr gedeihen, auch in Ame¬
rika und der Schweiz gehe man dem Einheitstaate zu. und so hätte man in
Deutschland mit dem Siegesschwert die Vielstaaterei ein für allemal weg¬
schlagen sollen, -- doch offenbar gegen den Willen der großen Mehrheit des
Volkes, nicht blos der Regierungen! Nein, wir wollen fortfahren in Deutsch¬
land erst geistig, in Wissenschaft und Dichtung wie in politischer Debatte zu
untersuchen was uns frommt, unsre Ziele und Wünsche zu formuliren. und


^Han. „Um was es sich für denkende Männer handelt, ist die gewonnene
nationale Basis, nicht weil , sondern obgleich sie preußisch angestrichen ist,
festzuhalten und darauf weiter zu bauen. Das scheint mir verständiger und
patriotischer zu sein als mit schiefgezogenem Maul in einem Winkel zu stehn
und in lächerlich ohnmächtigem Groll zu greinen : Wir thun nicht mit, weil
der Ball schwarzweißroth statt schwarzrothgelb gefärbt ist! Die Hauptsache
ist doch wohl, daß man überhaupt einmal einen tüchtigen Ball hat, womit
man werfen und treffen kann."

Indeß Scherr selber fragt: „Hat die Größe des Kampfpreises die Opfer
vollständig gedeckt?" und er antwortet mit einem trocknen Nein. Mit freu¬
digem Stolz weist er auf die Ausrufung des deutschen Kaisers im Schloß
von Versailles, aber er beklagt, daß das ein militärisches Schauspiel geblieben,
das Volk sei nicht mit dabei gewesen. Nun, es war eben ein Krieg; wir
Volk daheim aber haben wenigstens im Süden unablässig gearbeitet, daß das
Reich noch vor dem Frieden aufgebaut werde, und waren mit Kopf und Herz
dabei, wenn auch uneingeladen. und es hat das keinen verdrossen. Wir haben
darum auch jenen Uhland'schen Tropfen demokratischen Oeles an der Kaiser¬
krone nicht vermißt; der war schon da, als der sieggekrönte König von Preußen
1866 von der Kammer dennoch Indemnität für ein Verfahren forderte, das
gegen den Willen der Kammer so großen Erfolg gehabt und durch die.That ge¬
rechtfertigt war; wir sahen ihn darin, daß die Reichsverfassung mit den ohne
alle Beschränkung vom Volk gewählten Männern berathen und beschlossen ward.
Sie soll nach Scherr ein leidiges Stück- und Flickwerk sein. Aber sie paßt auf
den Leib des Volkes und des großen Stammes, der sie entwarf und ausführte ;
das ist besser als eine vom Verstand regelrecht nach der Theorie gezeichnete
Schablone, der das Leben dann sich anbequemen soll. So bekennt denn
auch Scherr, daß die sehr gekünstelte Maschine für die politische und wirth¬
schaftliche Entwicklung des Reichs schon Vorzügliches geleistet hat; er hätte
hinzufügen sollen, daß auch das deutsche Rechtsbuch schon in Angriff genommen
ist; und wenn er nicht ohne Besorgniß meint, das gehe so gut unter dem
Obermaschinisten Bismarck, aber die Menschen seien kurz-, die Einrichtungen
langlebig, so wollen wir es der Zukunft überlassen, daß sie die Einrichtungen
den Menschen anpaßt. Indeß Scherr fordert den Einheitsstaat statt des Fö¬
deralismus; die Kleinwirthschaft wolle nirgens mehr gedeihen, auch in Ame¬
rika und der Schweiz gehe man dem Einheitstaate zu. und so hätte man in
Deutschland mit dem Siegesschwert die Vielstaaterei ein für allemal weg¬
schlagen sollen, — doch offenbar gegen den Willen der großen Mehrheit des
Volkes, nicht blos der Regierungen! Nein, wir wollen fortfahren in Deutsch¬
land erst geistig, in Wissenschaft und Dichtung wie in politischer Debatte zu
untersuchen was uns frommt, unsre Ziele und Wünsche zu formuliren. und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/327>, abgerufen am 22.07.2024.