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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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leicht giebt es Weltkörper von unvollkommneren Wesen, als wir Erdenbürger
sind, bewohnt, dahingegen andere mit Bewohnern von weit höheren Fähig¬
keiten des Geistes und größeren Behendigkeiten des Körpers besetzt sein mögen.
Scheint es nicht unbegründet zu sein, was Lambert, Kant, Bonnet und an¬
dere Philosophen annehmen, daß die Seelenkräfte vernünftiger Geschöpfe nach
den verschiedenen Graden der Feinheit der körperlichen Materie, welche ihr
denkendes Wesen einschließt, nicht unmerkliche Abänderungen erleiden kön¬
nen, daß diese sich nach dem verschiedenen Abstände der Planetenkugeln von
dem Mittelpunkte ihres Systems richten und mit den zunehmenden Entfer¬
nungen von demselben sich veredeln; so giebt dieß eine ordentliche Stufenfolge
der Vollkommenheiten der organischen und lebendigen Geschöpfe auf den pla¬
netischen Kugeln unseres und aller übrigen Sonnensysteme. Nach dieser Vor¬
stellung wären also überhaupt die irdischen Stoffe, woraus ihre vernünftigen
Bewohner, ja selbst Thiere und Pflanzen geformt sind, um desto leichter,
feiner und elastischer, auch in der Zusammensetzung desto vortheilhafter ge¬
ordnet, weniger der Hinfälligkeit unterworfen und vornehmlich die Körper
denkender Wesen zum freien Gebrauch der Seele um desto geschickter, je weiter
der Planet vom Mittelpunkte seines Systems oder seiner Sonne entfernt ist.
Giebt es nun unzählbare Sonnensysteme, welche sämmtlich mit einander in Ver¬
bindung stehen und sich endlich zusammen auf eine gemeinschaftliche Central-
sonne oder auf einen im Mittelpunkte ihrer systematischen Verfassung befind¬
lichen Körper von ungeheurer Masse beziehen; so müssen die Denkkräfte aller
vernünftigen Weltbewohner um soviel erhabener sein, und in der Ausübung
rascher von Statten gehen, je weiter sie von diesem gemeinsamen Mittelpunkt
entfernt sind. Welch eine erstaunliche Gradfolge in den Fähigkeiten und An¬
wendungen der Seelen- und Lebenskräfte wird demnach nicht die organisirte
lebendige und gedankenfähige Schöpfung einschließen! Auf dieser unmeßbaren
Stufenleiter der Dinge sind die vernünftigen Geschöpfe der niedrigsten Klasse
vielleicht kaum mehr als körperliche Materie, die auf den erhabensten aber
werden den geringsten unter den höheren unkörperlichen Verstandeswesen zu¬
nächst angrenzen."

Nach diesen philosophischen Betrachtungen unsres Gegenstandes lassen
wir wieder einige Proben der Phantasien folgen, in denen sich Dichter und
Halbphilosophen über denselben ergangen haben. Eine sehr poetische Be¬
schreibung des Planeten Venus, die in Bernardin de Saint-Pierre's "Har¬
monien der Natur" zu lesen ist, mag den Anfang machen. Der Verfasser
von "Paul und Virginie" sagt: "Die Venus muß mit Inseln übersäet sein,
deren jede reich an Felsbergen fünf oder sechs Mal höher als der Ptc von
Teneriffa ist. Die von denselben sich ergießenden glänzenden Wasserbäche be¬
netzen und erfrischen ihre mit Grün geschmückten Ufer. Ihre Meere müssen


leicht giebt es Weltkörper von unvollkommneren Wesen, als wir Erdenbürger
sind, bewohnt, dahingegen andere mit Bewohnern von weit höheren Fähig¬
keiten des Geistes und größeren Behendigkeiten des Körpers besetzt sein mögen.
Scheint es nicht unbegründet zu sein, was Lambert, Kant, Bonnet und an¬
dere Philosophen annehmen, daß die Seelenkräfte vernünftiger Geschöpfe nach
den verschiedenen Graden der Feinheit der körperlichen Materie, welche ihr
denkendes Wesen einschließt, nicht unmerkliche Abänderungen erleiden kön¬
nen, daß diese sich nach dem verschiedenen Abstände der Planetenkugeln von
dem Mittelpunkte ihres Systems richten und mit den zunehmenden Entfer¬
nungen von demselben sich veredeln; so giebt dieß eine ordentliche Stufenfolge
der Vollkommenheiten der organischen und lebendigen Geschöpfe auf den pla¬
netischen Kugeln unseres und aller übrigen Sonnensysteme. Nach dieser Vor¬
stellung wären also überhaupt die irdischen Stoffe, woraus ihre vernünftigen
Bewohner, ja selbst Thiere und Pflanzen geformt sind, um desto leichter,
feiner und elastischer, auch in der Zusammensetzung desto vortheilhafter ge¬
ordnet, weniger der Hinfälligkeit unterworfen und vornehmlich die Körper
denkender Wesen zum freien Gebrauch der Seele um desto geschickter, je weiter
der Planet vom Mittelpunkte seines Systems oder seiner Sonne entfernt ist.
Giebt es nun unzählbare Sonnensysteme, welche sämmtlich mit einander in Ver¬
bindung stehen und sich endlich zusammen auf eine gemeinschaftliche Central-
sonne oder auf einen im Mittelpunkte ihrer systematischen Verfassung befind¬
lichen Körper von ungeheurer Masse beziehen; so müssen die Denkkräfte aller
vernünftigen Weltbewohner um soviel erhabener sein, und in der Ausübung
rascher von Statten gehen, je weiter sie von diesem gemeinsamen Mittelpunkt
entfernt sind. Welch eine erstaunliche Gradfolge in den Fähigkeiten und An¬
wendungen der Seelen- und Lebenskräfte wird demnach nicht die organisirte
lebendige und gedankenfähige Schöpfung einschließen! Auf dieser unmeßbaren
Stufenleiter der Dinge sind die vernünftigen Geschöpfe der niedrigsten Klasse
vielleicht kaum mehr als körperliche Materie, die auf den erhabensten aber
werden den geringsten unter den höheren unkörperlichen Verstandeswesen zu¬
nächst angrenzen."

Nach diesen philosophischen Betrachtungen unsres Gegenstandes lassen
wir wieder einige Proben der Phantasien folgen, in denen sich Dichter und
Halbphilosophen über denselben ergangen haben. Eine sehr poetische Be¬
schreibung des Planeten Venus, die in Bernardin de Saint-Pierre's „Har¬
monien der Natur" zu lesen ist, mag den Anfang machen. Der Verfasser
von „Paul und Virginie" sagt: „Die Venus muß mit Inseln übersäet sein,
deren jede reich an Felsbergen fünf oder sechs Mal höher als der Ptc von
Teneriffa ist. Die von denselben sich ergießenden glänzenden Wasserbäche be¬
netzen und erfrischen ihre mit Grün geschmückten Ufer. Ihre Meere müssen


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[0308] leicht giebt es Weltkörper von unvollkommneren Wesen, als wir Erdenbürger sind, bewohnt, dahingegen andere mit Bewohnern von weit höheren Fähig¬ keiten des Geistes und größeren Behendigkeiten des Körpers besetzt sein mögen. Scheint es nicht unbegründet zu sein, was Lambert, Kant, Bonnet und an¬ dere Philosophen annehmen, daß die Seelenkräfte vernünftiger Geschöpfe nach den verschiedenen Graden der Feinheit der körperlichen Materie, welche ihr denkendes Wesen einschließt, nicht unmerkliche Abänderungen erleiden kön¬ nen, daß diese sich nach dem verschiedenen Abstände der Planetenkugeln von dem Mittelpunkte ihres Systems richten und mit den zunehmenden Entfer¬ nungen von demselben sich veredeln; so giebt dieß eine ordentliche Stufenfolge der Vollkommenheiten der organischen und lebendigen Geschöpfe auf den pla¬ netischen Kugeln unseres und aller übrigen Sonnensysteme. Nach dieser Vor¬ stellung wären also überhaupt die irdischen Stoffe, woraus ihre vernünftigen Bewohner, ja selbst Thiere und Pflanzen geformt sind, um desto leichter, feiner und elastischer, auch in der Zusammensetzung desto vortheilhafter ge¬ ordnet, weniger der Hinfälligkeit unterworfen und vornehmlich die Körper denkender Wesen zum freien Gebrauch der Seele um desto geschickter, je weiter der Planet vom Mittelpunkte seines Systems oder seiner Sonne entfernt ist. Giebt es nun unzählbare Sonnensysteme, welche sämmtlich mit einander in Ver¬ bindung stehen und sich endlich zusammen auf eine gemeinschaftliche Central- sonne oder auf einen im Mittelpunkte ihrer systematischen Verfassung befind¬ lichen Körper von ungeheurer Masse beziehen; so müssen die Denkkräfte aller vernünftigen Weltbewohner um soviel erhabener sein, und in der Ausübung rascher von Statten gehen, je weiter sie von diesem gemeinsamen Mittelpunkt entfernt sind. Welch eine erstaunliche Gradfolge in den Fähigkeiten und An¬ wendungen der Seelen- und Lebenskräfte wird demnach nicht die organisirte lebendige und gedankenfähige Schöpfung einschließen! Auf dieser unmeßbaren Stufenleiter der Dinge sind die vernünftigen Geschöpfe der niedrigsten Klasse vielleicht kaum mehr als körperliche Materie, die auf den erhabensten aber werden den geringsten unter den höheren unkörperlichen Verstandeswesen zu¬ nächst angrenzen." Nach diesen philosophischen Betrachtungen unsres Gegenstandes lassen wir wieder einige Proben der Phantasien folgen, in denen sich Dichter und Halbphilosophen über denselben ergangen haben. Eine sehr poetische Be¬ schreibung des Planeten Venus, die in Bernardin de Saint-Pierre's „Har¬ monien der Natur" zu lesen ist, mag den Anfang machen. Der Verfasser von „Paul und Virginie" sagt: „Die Venus muß mit Inseln übersäet sein, deren jede reich an Felsbergen fünf oder sechs Mal höher als der Ptc von Teneriffa ist. Die von denselben sich ergießenden glänzenden Wasserbäche be¬ netzen und erfrischen ihre mit Grün geschmückten Ufer. Ihre Meere müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/308>, abgerufen am 22.07.2024.