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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Folge schaffe und wieder vernichte. Lactanz behauptete, daß der Mond be¬
wohnt sei, und daß seine Bewohner in breiten, tiefen Thälern lebten. Die
gnostische Secte der Valentiner bekannte sich nach einer Aeußerung des Ire-
näus zu der Ansicht Anaximander's. Das spätere Christenthum machte allen
diesen Speculationen ein Ende. Nach ihm war die Erde der Mittelpunkt der
Welt und die einzige, von denkenden und empfindenden Wesen bewohnte Welt
außer dem Paradiese und der Hölle. Ueber die Erde spannte sich die feste
Kuppel des Himmels, welche die Sterne wie eingeschlagne goldne Nägel trug,
jenseits dieses Gewölbes war das Empyräum, eine Region voll Feuer, und
darüber befanden sich Gott und das Paradies, während die Hölle unter der
Erdscheibe brannte.

Erst als die Nacht des Mittelalters auch in andern Dingen dem Auf¬
dämmern der neuern Zeit wich, wurde die Idee, daß es außer der Erde noch
andere von Menschen oder menschenähnlichen Wesen bewohnte Welten geben
müsse oder könne, wieder lebendig, und unter Anderen wurde dieselbe von
Nicolaus Cusanus, von Giordano Bruno, der dafür wie für andere ketzeri¬
sche Meinungen mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft wurde, von
Michel de Montaigne, von Galilei, Tycho de Brahe und Kepler, endlich von
Descartes und seiner Schule vertreten. Letzterer meint zwar, es würde ver¬
messen sein, eine Mehrheit bewohnter Weltkörper im System der Sonne oder
dem der Fixsterne mit Bestimmtheit zu behaupten, er setzt aber sogleich hinzu,
da die Planeten unsrer Erde an Beschaffenheit gleich seien, so dürfe man sie
wohl mit Recht auch für bewohnt halten. Ferner gehören hierher aus dem
siebzehnten Jahrhunderte noch David Fabncius. der mit eignen Augen Mond¬
menschen gesehen haben wollte, Otto v. Guericke, der Erfinder der Luftpumpe,
Peter Gassendi, der englische Bischof Wilkins, der eine Abhandlung "Ueber
den bewohnbaren Mond" schrieb, und der Philosoph I. Locke. In Frank¬
reich verfaßte in dieser Periode Pierre Borel einen seltsamen Tractat, der be¬
wies, daß die Sterne bewohnte Welten seien wie die Erde, daß die letztere
nicht im Mittelpunkt des Alls, sondern im dritten Himmel sich be¬
finde, und daß sie sich um die feststehende Sonne bewege. In Eng¬
land veröffentlichte F. Godwin ein Buch: "Der Mensch im Monde oder
die von Dominik Gonzales, einem spanischen Abenteurer, unternommene
Reise in die Welt des Mondes", und diesem folgte Cyrano de Bergerac, der
Hervorragendste unter Allen, die astronomische Gegenstände in Romanen
behandelt haben, mit seiner "Reise in den Mond" und seiner "Geschichte der
Staaten in der Sonne".

In die Uebergangszeit zum nächsten Jahrhundert fällt Fontenelle mit
seiner der Marquise de la Mesangcre gewidmeten "Unterhaltung über die
Mehrheit von Welten", einem Buche, welches weniger wegen seiner Ansprüche


Folge schaffe und wieder vernichte. Lactanz behauptete, daß der Mond be¬
wohnt sei, und daß seine Bewohner in breiten, tiefen Thälern lebten. Die
gnostische Secte der Valentiner bekannte sich nach einer Aeußerung des Ire-
näus zu der Ansicht Anaximander's. Das spätere Christenthum machte allen
diesen Speculationen ein Ende. Nach ihm war die Erde der Mittelpunkt der
Welt und die einzige, von denkenden und empfindenden Wesen bewohnte Welt
außer dem Paradiese und der Hölle. Ueber die Erde spannte sich die feste
Kuppel des Himmels, welche die Sterne wie eingeschlagne goldne Nägel trug,
jenseits dieses Gewölbes war das Empyräum, eine Region voll Feuer, und
darüber befanden sich Gott und das Paradies, während die Hölle unter der
Erdscheibe brannte.

Erst als die Nacht des Mittelalters auch in andern Dingen dem Auf¬
dämmern der neuern Zeit wich, wurde die Idee, daß es außer der Erde noch
andere von Menschen oder menschenähnlichen Wesen bewohnte Welten geben
müsse oder könne, wieder lebendig, und unter Anderen wurde dieselbe von
Nicolaus Cusanus, von Giordano Bruno, der dafür wie für andere ketzeri¬
sche Meinungen mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft wurde, von
Michel de Montaigne, von Galilei, Tycho de Brahe und Kepler, endlich von
Descartes und seiner Schule vertreten. Letzterer meint zwar, es würde ver¬
messen sein, eine Mehrheit bewohnter Weltkörper im System der Sonne oder
dem der Fixsterne mit Bestimmtheit zu behaupten, er setzt aber sogleich hinzu,
da die Planeten unsrer Erde an Beschaffenheit gleich seien, so dürfe man sie
wohl mit Recht auch für bewohnt halten. Ferner gehören hierher aus dem
siebzehnten Jahrhunderte noch David Fabncius. der mit eignen Augen Mond¬
menschen gesehen haben wollte, Otto v. Guericke, der Erfinder der Luftpumpe,
Peter Gassendi, der englische Bischof Wilkins, der eine Abhandlung „Ueber
den bewohnbaren Mond" schrieb, und der Philosoph I. Locke. In Frank¬
reich verfaßte in dieser Periode Pierre Borel einen seltsamen Tractat, der be¬
wies, daß die Sterne bewohnte Welten seien wie die Erde, daß die letztere
nicht im Mittelpunkt des Alls, sondern im dritten Himmel sich be¬
finde, und daß sie sich um die feststehende Sonne bewege. In Eng¬
land veröffentlichte F. Godwin ein Buch: „Der Mensch im Monde oder
die von Dominik Gonzales, einem spanischen Abenteurer, unternommene
Reise in die Welt des Mondes", und diesem folgte Cyrano de Bergerac, der
Hervorragendste unter Allen, die astronomische Gegenstände in Romanen
behandelt haben, mit seiner „Reise in den Mond" und seiner „Geschichte der
Staaten in der Sonne".

In die Uebergangszeit zum nächsten Jahrhundert fällt Fontenelle mit
seiner der Marquise de la Mesangcre gewidmeten „Unterhaltung über die
Mehrheit von Welten", einem Buche, welches weniger wegen seiner Ansprüche


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[0304] Folge schaffe und wieder vernichte. Lactanz behauptete, daß der Mond be¬ wohnt sei, und daß seine Bewohner in breiten, tiefen Thälern lebten. Die gnostische Secte der Valentiner bekannte sich nach einer Aeußerung des Ire- näus zu der Ansicht Anaximander's. Das spätere Christenthum machte allen diesen Speculationen ein Ende. Nach ihm war die Erde der Mittelpunkt der Welt und die einzige, von denkenden und empfindenden Wesen bewohnte Welt außer dem Paradiese und der Hölle. Ueber die Erde spannte sich die feste Kuppel des Himmels, welche die Sterne wie eingeschlagne goldne Nägel trug, jenseits dieses Gewölbes war das Empyräum, eine Region voll Feuer, und darüber befanden sich Gott und das Paradies, während die Hölle unter der Erdscheibe brannte. Erst als die Nacht des Mittelalters auch in andern Dingen dem Auf¬ dämmern der neuern Zeit wich, wurde die Idee, daß es außer der Erde noch andere von Menschen oder menschenähnlichen Wesen bewohnte Welten geben müsse oder könne, wieder lebendig, und unter Anderen wurde dieselbe von Nicolaus Cusanus, von Giordano Bruno, der dafür wie für andere ketzeri¬ sche Meinungen mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft wurde, von Michel de Montaigne, von Galilei, Tycho de Brahe und Kepler, endlich von Descartes und seiner Schule vertreten. Letzterer meint zwar, es würde ver¬ messen sein, eine Mehrheit bewohnter Weltkörper im System der Sonne oder dem der Fixsterne mit Bestimmtheit zu behaupten, er setzt aber sogleich hinzu, da die Planeten unsrer Erde an Beschaffenheit gleich seien, so dürfe man sie wohl mit Recht auch für bewohnt halten. Ferner gehören hierher aus dem siebzehnten Jahrhunderte noch David Fabncius. der mit eignen Augen Mond¬ menschen gesehen haben wollte, Otto v. Guericke, der Erfinder der Luftpumpe, Peter Gassendi, der englische Bischof Wilkins, der eine Abhandlung „Ueber den bewohnbaren Mond" schrieb, und der Philosoph I. Locke. In Frank¬ reich verfaßte in dieser Periode Pierre Borel einen seltsamen Tractat, der be¬ wies, daß die Sterne bewohnte Welten seien wie die Erde, daß die letztere nicht im Mittelpunkt des Alls, sondern im dritten Himmel sich be¬ finde, und daß sie sich um die feststehende Sonne bewege. In Eng¬ land veröffentlichte F. Godwin ein Buch: „Der Mensch im Monde oder die von Dominik Gonzales, einem spanischen Abenteurer, unternommene Reise in die Welt des Mondes", und diesem folgte Cyrano de Bergerac, der Hervorragendste unter Allen, die astronomische Gegenstände in Romanen behandelt haben, mit seiner „Reise in den Mond" und seiner „Geschichte der Staaten in der Sonne". In die Uebergangszeit zum nächsten Jahrhundert fällt Fontenelle mit seiner der Marquise de la Mesangcre gewidmeten „Unterhaltung über die Mehrheit von Welten", einem Buche, welches weniger wegen seiner Ansprüche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/304>, abgerufen am 25.08.2024.