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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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mung, daß die Sterne bewohnte Welten wie die Erde seien. Anaximander
und Anaximenes trugen dieselbe Ansicht vor, und für Anaxagoras war der
Gedanke von der Bewohnbarkeit des Mondes geradezu ein philosophischer
Glaubensartikel. Aehnlichen Vorstellungen huldigten die späteren Pytha-
goräer und Xenophanes, der Gründer der Eleatenschule. Petronius von Hi-
mera schrieb ein Buch, in welchem er die Existenz von hundertdreiundachtzig
bewohnten Welten behauptete. Plutarch berichtet, daß diese Lehre im fernen
Südosten von einem wunderbaren Greise verkündigt werde, der sein ganzes
Leben der Erforschung des Alls gewidmet habe, und der, nachdem er unter
den Nymphen und Genien verweilt, sich alljährlich einen Tag an den Ge¬
staden des Erythräischen Meeres einfinde, um dort den Fragen von Fürsten
und deren Räthen Rede zu stehen. Daß es gerade hundertdreiundachtzig be¬
wohnte Himmelskörper geben sollte, gründete sich aus die Anschauung dieses
weisen Greises, nach welcher die Welt ein Dreieck bildete, dessen Seiten jede
sechzig Welten und dessen Ecken jede eine Welt bezeichneten, während sein Flächen¬
inhalt der Sitz der Kraft aller Dinge und die Wohnung der Wahrheit war.
Die Schule Epikur's lehrte gleichfalls eine Mehrheit bewohnter Welten, zu
der ihr namentlich die Planeten gehörten. Metrodor von Lampsakos unter
Anderen fand es ebenso widersinnig, nur eine einzige von geistigem Leben
erfüllte Welt im unendlichen Raum anzunehmen, als zu behaupten, daß auf
einem weiten Gefilde nur ein einziger Kornhalm wachsen könne. In gleicher
Weise sprach Anaxarch sich gegen Alexander aus, indem er sich verwundern
wollte, daß derselbe, da es doch so viele Welten gebe, nur eine mit seinem
Ruhm erfüllt habe. Ein besonders eifriger Anhänger Epikur's, der Dichter
Lucrez, glaubte fest an eine unermeßliche Menge bewohnter Welten, die er
indeß jenseits des uns sichtbaren Sternenhimmels versetzte, dessen Gestirne
ihm nur Ausströmungen des Erdballs waren. "Wenn die Wellen der schöpfe¬
rischen Materie", sagt er, "in tausend verschiedenen Gestalten den Ocean des
unendlichen Raumes durchwogen, sollten sie in ihrem zeugenden Ringen nur
den Erdball mit seinem Himmelsgewölbe gebildet haben? Soll man glauben,
daß die Weltmaterie jenseits des sichtbaren Himmels zu müßiger Ruhe ver¬
urtheilt sei? Nein, wenn die schöpferischen Elemente aus sich die Massen
entstehen ließen, aus denen der Himmel, die Gewässer und der Erdball her¬
vorgingen, so müssen diese Elemente die Materie auch in dem übrigen Raume
Himmel. Meere, Erden und zahllose belebte Wesen geboren und Welten im
Unendlichen ausgesät haben, die derjenigen gleichen, auf welcher wir die
Aetherfluthen durchsegeln."

Noch in den ersten Zeiten des Christenthums wurden ähnliche Lehren
vorgetragen. Origenes spricht in seinem Werke über den Grund aller Dinge
den Gedanken aus, daß Gott unzählige bewohnte Welten in wechselnder


mung, daß die Sterne bewohnte Welten wie die Erde seien. Anaximander
und Anaximenes trugen dieselbe Ansicht vor, und für Anaxagoras war der
Gedanke von der Bewohnbarkeit des Mondes geradezu ein philosophischer
Glaubensartikel. Aehnlichen Vorstellungen huldigten die späteren Pytha-
goräer und Xenophanes, der Gründer der Eleatenschule. Petronius von Hi-
mera schrieb ein Buch, in welchem er die Existenz von hundertdreiundachtzig
bewohnten Welten behauptete. Plutarch berichtet, daß diese Lehre im fernen
Südosten von einem wunderbaren Greise verkündigt werde, der sein ganzes
Leben der Erforschung des Alls gewidmet habe, und der, nachdem er unter
den Nymphen und Genien verweilt, sich alljährlich einen Tag an den Ge¬
staden des Erythräischen Meeres einfinde, um dort den Fragen von Fürsten
und deren Räthen Rede zu stehen. Daß es gerade hundertdreiundachtzig be¬
wohnte Himmelskörper geben sollte, gründete sich aus die Anschauung dieses
weisen Greises, nach welcher die Welt ein Dreieck bildete, dessen Seiten jede
sechzig Welten und dessen Ecken jede eine Welt bezeichneten, während sein Flächen¬
inhalt der Sitz der Kraft aller Dinge und die Wohnung der Wahrheit war.
Die Schule Epikur's lehrte gleichfalls eine Mehrheit bewohnter Welten, zu
der ihr namentlich die Planeten gehörten. Metrodor von Lampsakos unter
Anderen fand es ebenso widersinnig, nur eine einzige von geistigem Leben
erfüllte Welt im unendlichen Raum anzunehmen, als zu behaupten, daß auf
einem weiten Gefilde nur ein einziger Kornhalm wachsen könne. In gleicher
Weise sprach Anaxarch sich gegen Alexander aus, indem er sich verwundern
wollte, daß derselbe, da es doch so viele Welten gebe, nur eine mit seinem
Ruhm erfüllt habe. Ein besonders eifriger Anhänger Epikur's, der Dichter
Lucrez, glaubte fest an eine unermeßliche Menge bewohnter Welten, die er
indeß jenseits des uns sichtbaren Sternenhimmels versetzte, dessen Gestirne
ihm nur Ausströmungen des Erdballs waren. „Wenn die Wellen der schöpfe¬
rischen Materie", sagt er, „in tausend verschiedenen Gestalten den Ocean des
unendlichen Raumes durchwogen, sollten sie in ihrem zeugenden Ringen nur
den Erdball mit seinem Himmelsgewölbe gebildet haben? Soll man glauben,
daß die Weltmaterie jenseits des sichtbaren Himmels zu müßiger Ruhe ver¬
urtheilt sei? Nein, wenn die schöpferischen Elemente aus sich die Massen
entstehen ließen, aus denen der Himmel, die Gewässer und der Erdball her¬
vorgingen, so müssen diese Elemente die Materie auch in dem übrigen Raume
Himmel. Meere, Erden und zahllose belebte Wesen geboren und Welten im
Unendlichen ausgesät haben, die derjenigen gleichen, auf welcher wir die
Aetherfluthen durchsegeln."

Noch in den ersten Zeiten des Christenthums wurden ähnliche Lehren
vorgetragen. Origenes spricht in seinem Werke über den Grund aller Dinge
den Gedanken aus, daß Gott unzählige bewohnte Welten in wechselnder


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[0303] mung, daß die Sterne bewohnte Welten wie die Erde seien. Anaximander und Anaximenes trugen dieselbe Ansicht vor, und für Anaxagoras war der Gedanke von der Bewohnbarkeit des Mondes geradezu ein philosophischer Glaubensartikel. Aehnlichen Vorstellungen huldigten die späteren Pytha- goräer und Xenophanes, der Gründer der Eleatenschule. Petronius von Hi- mera schrieb ein Buch, in welchem er die Existenz von hundertdreiundachtzig bewohnten Welten behauptete. Plutarch berichtet, daß diese Lehre im fernen Südosten von einem wunderbaren Greise verkündigt werde, der sein ganzes Leben der Erforschung des Alls gewidmet habe, und der, nachdem er unter den Nymphen und Genien verweilt, sich alljährlich einen Tag an den Ge¬ staden des Erythräischen Meeres einfinde, um dort den Fragen von Fürsten und deren Räthen Rede zu stehen. Daß es gerade hundertdreiundachtzig be¬ wohnte Himmelskörper geben sollte, gründete sich aus die Anschauung dieses weisen Greises, nach welcher die Welt ein Dreieck bildete, dessen Seiten jede sechzig Welten und dessen Ecken jede eine Welt bezeichneten, während sein Flächen¬ inhalt der Sitz der Kraft aller Dinge und die Wohnung der Wahrheit war. Die Schule Epikur's lehrte gleichfalls eine Mehrheit bewohnter Welten, zu der ihr namentlich die Planeten gehörten. Metrodor von Lampsakos unter Anderen fand es ebenso widersinnig, nur eine einzige von geistigem Leben erfüllte Welt im unendlichen Raum anzunehmen, als zu behaupten, daß auf einem weiten Gefilde nur ein einziger Kornhalm wachsen könne. In gleicher Weise sprach Anaxarch sich gegen Alexander aus, indem er sich verwundern wollte, daß derselbe, da es doch so viele Welten gebe, nur eine mit seinem Ruhm erfüllt habe. Ein besonders eifriger Anhänger Epikur's, der Dichter Lucrez, glaubte fest an eine unermeßliche Menge bewohnter Welten, die er indeß jenseits des uns sichtbaren Sternenhimmels versetzte, dessen Gestirne ihm nur Ausströmungen des Erdballs waren. „Wenn die Wellen der schöpfe¬ rischen Materie", sagt er, „in tausend verschiedenen Gestalten den Ocean des unendlichen Raumes durchwogen, sollten sie in ihrem zeugenden Ringen nur den Erdball mit seinem Himmelsgewölbe gebildet haben? Soll man glauben, daß die Weltmaterie jenseits des sichtbaren Himmels zu müßiger Ruhe ver¬ urtheilt sei? Nein, wenn die schöpferischen Elemente aus sich die Massen entstehen ließen, aus denen der Himmel, die Gewässer und der Erdball her¬ vorgingen, so müssen diese Elemente die Materie auch in dem übrigen Raume Himmel. Meere, Erden und zahllose belebte Wesen geboren und Welten im Unendlichen ausgesät haben, die derjenigen gleichen, auf welcher wir die Aetherfluthen durchsegeln." Noch in den ersten Zeiten des Christenthums wurden ähnliche Lehren vorgetragen. Origenes spricht in seinem Werke über den Grund aller Dinge den Gedanken aus, daß Gott unzählige bewohnte Welten in wechselnder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/303>, abgerufen am 25.08.2024.