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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ungefähr das Paradies, wie es sich der Phantasie darstellte, die einen Theil
des Talmud geschaffen hatte, ein sehr prächtiges und sehr sinnlich gedachtes
Stück Himmel, welches auf die Erde fallen und sie zu einer Art Schlaraffen¬
land machen sollte. Gott werde, so meinten diese frommen Seelen, fortan
unter seinem Volke wohnen und ihm Sonne und Mond ersetzen, sodaß es
keine Nacht mehr geben werde. Er werde die Todten Israels wieder aufwecken
und seine Feinde allenthalben ausrotten, er werde alle Plagen und Krank¬
heiten für das erwählte Volk aufhören lassen, ihnen die Gewalt über alle
Nationen geben, sie mit unerhörten Schätzen und Reichthümern beschenken
und ihnen den Tempel in der Gestalt wieder aufbauen, in der ihn der Pro¬
phet Ezechiel im Gesichte geschaut. Ferner glaubten sie. ihr Adonaj werde
ihnen auch alle sittlichen Gebrechen und Mängel, alle bösen Triebe und Ge¬
lüste, alle Anreizungen zur Sünde benehmen, was man sich etwa in der Weise
einer chirurgischen Operation oder wie die Entfernung der Rippe aus dem
Körper des schlafenden Adam vorgestellt haben wird, aus welcher dann Eva
wurde. Ein weiterer Segen der Bürger des Messiasreiches sollte langes Leben
sein, wobei die Meisten das Alter Methusalem's erreichen und die, welche im
hundertsten Jahre stürben, als frühzeitig von hinnen genommen angesehen
werden würden. Das gelobte Land sollte zunächst durch Feuer von aller Un¬
reinheit befreit werden, mit der es Heiden, Christen und Muhamedaner be¬
fleckt, und sich dann weiter ausdehnen, als es jemals gewesen, und
tausendmal schöner und fruchtbarer sein, als in der alten Zeit und in der
Gegenwart.

Der Messias sollte ewig leben und regieren. Zur Feier des Antritts
seiner Herrschaft gab es, so hoffte man. ein großes Gastmahl für alle Juden,
das zu Jerusalem veranstaltet wurde. Die Gäste bekamen dabei den köst¬
lichsten Wein zu trinken, der im Paradiese gewachsen und für jenen Zweck in
Adam's Keller aufbewahrt worden war. Sie speisten das Fleisch der größten
Thiere, Vögel und Fische, die Gott, der Herr, je erschaffen. Darunter be¬
fand sich namentlich der im Buch Hiob erwähnte Behemoth, ein Riesenochse, der
alle Tage tausend Berge abweidete und das von ihm abgefressene Gras des Nachts
wieder wachsen sah. Eine andere Zierde des Speisezettels war der ungeheuer
große Vogel Bar Juchne. der nur aus Bratenfleisch bestand, und von dem
ein einziges El. als es aus seinem Neste gefallen, dreihundert Cedernbäume
umgerissen und, als es dabei zerbrochen, sechzig Dörfer überschwemmt und
ersäuft haben sollte. Ein drittes Prachtstück unter den Festgerichten dieses
Krönungsschmauses war das Weibchen des Fisches Leviathan, welchen Gott,
damit er sich nicht vermehre, castrirt haben sollte, wogegen er jene seine bessere
Hälfte geschlachtet und für die gottesfürchtigen Juden der messianischen Zeit
eingepökelt hätte.


ungefähr das Paradies, wie es sich der Phantasie darstellte, die einen Theil
des Talmud geschaffen hatte, ein sehr prächtiges und sehr sinnlich gedachtes
Stück Himmel, welches auf die Erde fallen und sie zu einer Art Schlaraffen¬
land machen sollte. Gott werde, so meinten diese frommen Seelen, fortan
unter seinem Volke wohnen und ihm Sonne und Mond ersetzen, sodaß es
keine Nacht mehr geben werde. Er werde die Todten Israels wieder aufwecken
und seine Feinde allenthalben ausrotten, er werde alle Plagen und Krank¬
heiten für das erwählte Volk aufhören lassen, ihnen die Gewalt über alle
Nationen geben, sie mit unerhörten Schätzen und Reichthümern beschenken
und ihnen den Tempel in der Gestalt wieder aufbauen, in der ihn der Pro¬
phet Ezechiel im Gesichte geschaut. Ferner glaubten sie. ihr Adonaj werde
ihnen auch alle sittlichen Gebrechen und Mängel, alle bösen Triebe und Ge¬
lüste, alle Anreizungen zur Sünde benehmen, was man sich etwa in der Weise
einer chirurgischen Operation oder wie die Entfernung der Rippe aus dem
Körper des schlafenden Adam vorgestellt haben wird, aus welcher dann Eva
wurde. Ein weiterer Segen der Bürger des Messiasreiches sollte langes Leben
sein, wobei die Meisten das Alter Methusalem's erreichen und die, welche im
hundertsten Jahre stürben, als frühzeitig von hinnen genommen angesehen
werden würden. Das gelobte Land sollte zunächst durch Feuer von aller Un¬
reinheit befreit werden, mit der es Heiden, Christen und Muhamedaner be¬
fleckt, und sich dann weiter ausdehnen, als es jemals gewesen, und
tausendmal schöner und fruchtbarer sein, als in der alten Zeit und in der
Gegenwart.

Der Messias sollte ewig leben und regieren. Zur Feier des Antritts
seiner Herrschaft gab es, so hoffte man. ein großes Gastmahl für alle Juden,
das zu Jerusalem veranstaltet wurde. Die Gäste bekamen dabei den köst¬
lichsten Wein zu trinken, der im Paradiese gewachsen und für jenen Zweck in
Adam's Keller aufbewahrt worden war. Sie speisten das Fleisch der größten
Thiere, Vögel und Fische, die Gott, der Herr, je erschaffen. Darunter be¬
fand sich namentlich der im Buch Hiob erwähnte Behemoth, ein Riesenochse, der
alle Tage tausend Berge abweidete und das von ihm abgefressene Gras des Nachts
wieder wachsen sah. Eine andere Zierde des Speisezettels war der ungeheuer
große Vogel Bar Juchne. der nur aus Bratenfleisch bestand, und von dem
ein einziges El. als es aus seinem Neste gefallen, dreihundert Cedernbäume
umgerissen und, als es dabei zerbrochen, sechzig Dörfer überschwemmt und
ersäuft haben sollte. Ein drittes Prachtstück unter den Festgerichten dieses
Krönungsschmauses war das Weibchen des Fisches Leviathan, welchen Gott,
damit er sich nicht vermehre, castrirt haben sollte, wogegen er jene seine bessere
Hälfte geschlachtet und für die gottesfürchtigen Juden der messianischen Zeit
eingepökelt hätte.


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[0289] ungefähr das Paradies, wie es sich der Phantasie darstellte, die einen Theil des Talmud geschaffen hatte, ein sehr prächtiges und sehr sinnlich gedachtes Stück Himmel, welches auf die Erde fallen und sie zu einer Art Schlaraffen¬ land machen sollte. Gott werde, so meinten diese frommen Seelen, fortan unter seinem Volke wohnen und ihm Sonne und Mond ersetzen, sodaß es keine Nacht mehr geben werde. Er werde die Todten Israels wieder aufwecken und seine Feinde allenthalben ausrotten, er werde alle Plagen und Krank¬ heiten für das erwählte Volk aufhören lassen, ihnen die Gewalt über alle Nationen geben, sie mit unerhörten Schätzen und Reichthümern beschenken und ihnen den Tempel in der Gestalt wieder aufbauen, in der ihn der Pro¬ phet Ezechiel im Gesichte geschaut. Ferner glaubten sie. ihr Adonaj werde ihnen auch alle sittlichen Gebrechen und Mängel, alle bösen Triebe und Ge¬ lüste, alle Anreizungen zur Sünde benehmen, was man sich etwa in der Weise einer chirurgischen Operation oder wie die Entfernung der Rippe aus dem Körper des schlafenden Adam vorgestellt haben wird, aus welcher dann Eva wurde. Ein weiterer Segen der Bürger des Messiasreiches sollte langes Leben sein, wobei die Meisten das Alter Methusalem's erreichen und die, welche im hundertsten Jahre stürben, als frühzeitig von hinnen genommen angesehen werden würden. Das gelobte Land sollte zunächst durch Feuer von aller Un¬ reinheit befreit werden, mit der es Heiden, Christen und Muhamedaner be¬ fleckt, und sich dann weiter ausdehnen, als es jemals gewesen, und tausendmal schöner und fruchtbarer sein, als in der alten Zeit und in der Gegenwart. Der Messias sollte ewig leben und regieren. Zur Feier des Antritts seiner Herrschaft gab es, so hoffte man. ein großes Gastmahl für alle Juden, das zu Jerusalem veranstaltet wurde. Die Gäste bekamen dabei den köst¬ lichsten Wein zu trinken, der im Paradiese gewachsen und für jenen Zweck in Adam's Keller aufbewahrt worden war. Sie speisten das Fleisch der größten Thiere, Vögel und Fische, die Gott, der Herr, je erschaffen. Darunter be¬ fand sich namentlich der im Buch Hiob erwähnte Behemoth, ein Riesenochse, der alle Tage tausend Berge abweidete und das von ihm abgefressene Gras des Nachts wieder wachsen sah. Eine andere Zierde des Speisezettels war der ungeheuer große Vogel Bar Juchne. der nur aus Bratenfleisch bestand, und von dem ein einziges El. als es aus seinem Neste gefallen, dreihundert Cedernbäume umgerissen und, als es dabei zerbrochen, sechzig Dörfer überschwemmt und ersäuft haben sollte. Ein drittes Prachtstück unter den Festgerichten dieses Krönungsschmauses war das Weibchen des Fisches Leviathan, welchen Gott, damit er sich nicht vermehre, castrirt haben sollte, wogegen er jene seine bessere Hälfte geschlachtet und für die gottesfürchtigen Juden der messianischen Zeit eingepökelt hätte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/289>, abgerufen am 25.08.2024.