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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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worden hoben mag, so wird man doch dadurch ganz unwillkürlich daran er¬
innert, daß er diese Auszeichnung mit unserm herrlichen Beethoven theilt.
Also Louis van Beethoven und......., beide Componisten beide Ehren¬
bürger! Allein welch himmelweiter Abstand! Der sein greises Silberhaupt
w Wolken bergende Montblanc und ein Maulwurfshügel, der Straßburger-
Münster mit seinem Riesenthurm und ein winziges Dorfkirchthürmlein."

Ein solches Gefühl von seiner Größe also hatten doch wenigstens einzelne
seiner Zeitgenossen schon nach seinem bisherigen Schaffen -- und er der dies
alles las, schreibt in dem gleichen Sommer auf: "Ist es mir doch als hätte
ich kaum einige Noten geschrieben!" Welches Gefühl von den Möglichkeiten
seiner Kunst oder vielmehr des Lebens, von der "der Freiheit der Phantasie
zur Seite gehenden Nothwendigkeit" und von der Fähigkeit in seiner Kunst
den Geist seines Zeitalters zu verklären, muß dieser Künstler gehabt haben!
In solchem Sinne sahen wir ihn denn auch oben handeln und leben, in sol¬
chem Sinne sehen wir ihn jetzt künstlerisch schaffen. Denn mag das Quartett
Op. 127, also das erste von den "noch ungeschriebenen Noten", nach den
Hauptmotiven aller und wenigstens seiner ersten 3 Sätze einer früheren Zeit
und zwar dem Jahre vor der Entstehung des so entscheidenden und eine ganze
innere Entwicklung abschließenden Finales der Neunten Symphonie angehören,--
seine Stimmung wie seine äußere Erscheinung theilt es mit dieser letzten Ar¬
beit oder zeigt vielmehr das völlig errungene Resultat dieses inneren Pro¬
cesses selbst.

Sogleich das kurze "NitöstoM" des 1. Satzes kündigt in ebenso energisch¬
abschneidenden Rhythmen wie in einfach fundamentalen Harmonien die neue
Welt an, in die seitdem eingetreten worden war, die Welt der vollzogenen
Zurückstimmung des eigenen Daseins in das Ganze, der Aufhebung jedes an¬
deren persönlichen Seins als um dieses Ganzen willen. Und dem entspricht
die volle Unschuld und das unbeschreiblich selig unbefangene Spiel des um
die Dominante schwebenden Hauptmotivs. Es ist nicht möglich den Charakter
dieses Motivs zu beschreiben, man wird nur auf mittelalterlichen Ma¬
donnenbildern diesen Eindruck höchster Zartheit und Reinheit der Empfindung
wiedergewinnen und zwar einer Empfindung, die etwas wahrhaft selig
Spielendes hat, weil sie aus einem innerlich heiligen Zustande her¬
vorgeht, aus dem Zustande nichts zu wollen, als was dem Andern Glück und
Dasein bereitet. Im wirklichen Leben erblickt man solchen Zustand oder viel¬
mehr sein Naturelement einzig in dem Blick und Wesen, womit die Mutter
dem Blick ihres Kindes begegnet: vom Manne ist derselbe nur aus seinen
letzten und geheimsten Seelenäußerungen zu erfahren.

Mag also dieser Satz in Bau und Gebahren sich nicht von anderen
ersten Quartett- und Sonatensätzen unterscheiden, -- aus diesem Faden ist


Grenzboten IV. 18?b. 33

worden hoben mag, so wird man doch dadurch ganz unwillkürlich daran er¬
innert, daß er diese Auszeichnung mit unserm herrlichen Beethoven theilt.
Also Louis van Beethoven und......., beide Componisten beide Ehren¬
bürger! Allein welch himmelweiter Abstand! Der sein greises Silberhaupt
w Wolken bergende Montblanc und ein Maulwurfshügel, der Straßburger-
Münster mit seinem Riesenthurm und ein winziges Dorfkirchthürmlein."

Ein solches Gefühl von seiner Größe also hatten doch wenigstens einzelne
seiner Zeitgenossen schon nach seinem bisherigen Schaffen — und er der dies
alles las, schreibt in dem gleichen Sommer auf: „Ist es mir doch als hätte
ich kaum einige Noten geschrieben!" Welches Gefühl von den Möglichkeiten
seiner Kunst oder vielmehr des Lebens, von der „der Freiheit der Phantasie
zur Seite gehenden Nothwendigkeit" und von der Fähigkeit in seiner Kunst
den Geist seines Zeitalters zu verklären, muß dieser Künstler gehabt haben!
In solchem Sinne sahen wir ihn denn auch oben handeln und leben, in sol¬
chem Sinne sehen wir ihn jetzt künstlerisch schaffen. Denn mag das Quartett
Op. 127, also das erste von den „noch ungeschriebenen Noten", nach den
Hauptmotiven aller und wenigstens seiner ersten 3 Sätze einer früheren Zeit
und zwar dem Jahre vor der Entstehung des so entscheidenden und eine ganze
innere Entwicklung abschließenden Finales der Neunten Symphonie angehören,—
seine Stimmung wie seine äußere Erscheinung theilt es mit dieser letzten Ar¬
beit oder zeigt vielmehr das völlig errungene Resultat dieses inneren Pro¬
cesses selbst.

Sogleich das kurze „NitöstoM" des 1. Satzes kündigt in ebenso energisch¬
abschneidenden Rhythmen wie in einfach fundamentalen Harmonien die neue
Welt an, in die seitdem eingetreten worden war, die Welt der vollzogenen
Zurückstimmung des eigenen Daseins in das Ganze, der Aufhebung jedes an¬
deren persönlichen Seins als um dieses Ganzen willen. Und dem entspricht
die volle Unschuld und das unbeschreiblich selig unbefangene Spiel des um
die Dominante schwebenden Hauptmotivs. Es ist nicht möglich den Charakter
dieses Motivs zu beschreiben, man wird nur auf mittelalterlichen Ma¬
donnenbildern diesen Eindruck höchster Zartheit und Reinheit der Empfindung
wiedergewinnen und zwar einer Empfindung, die etwas wahrhaft selig
Spielendes hat, weil sie aus einem innerlich heiligen Zustande her¬
vorgeht, aus dem Zustande nichts zu wollen, als was dem Andern Glück und
Dasein bereitet. Im wirklichen Leben erblickt man solchen Zustand oder viel¬
mehr sein Naturelement einzig in dem Blick und Wesen, womit die Mutter
dem Blick ihres Kindes begegnet: vom Manne ist derselbe nur aus seinen
letzten und geheimsten Seelenäußerungen zu erfahren.

Mag also dieser Satz in Bau und Gebahren sich nicht von anderen
ersten Quartett- und Sonatensätzen unterscheiden, — aus diesem Faden ist


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[0261] worden hoben mag, so wird man doch dadurch ganz unwillkürlich daran er¬ innert, daß er diese Auszeichnung mit unserm herrlichen Beethoven theilt. Also Louis van Beethoven und......., beide Componisten beide Ehren¬ bürger! Allein welch himmelweiter Abstand! Der sein greises Silberhaupt w Wolken bergende Montblanc und ein Maulwurfshügel, der Straßburger- Münster mit seinem Riesenthurm und ein winziges Dorfkirchthürmlein." Ein solches Gefühl von seiner Größe also hatten doch wenigstens einzelne seiner Zeitgenossen schon nach seinem bisherigen Schaffen — und er der dies alles las, schreibt in dem gleichen Sommer auf: „Ist es mir doch als hätte ich kaum einige Noten geschrieben!" Welches Gefühl von den Möglichkeiten seiner Kunst oder vielmehr des Lebens, von der „der Freiheit der Phantasie zur Seite gehenden Nothwendigkeit" und von der Fähigkeit in seiner Kunst den Geist seines Zeitalters zu verklären, muß dieser Künstler gehabt haben! In solchem Sinne sahen wir ihn denn auch oben handeln und leben, in sol¬ chem Sinne sehen wir ihn jetzt künstlerisch schaffen. Denn mag das Quartett Op. 127, also das erste von den „noch ungeschriebenen Noten", nach den Hauptmotiven aller und wenigstens seiner ersten 3 Sätze einer früheren Zeit und zwar dem Jahre vor der Entstehung des so entscheidenden und eine ganze innere Entwicklung abschließenden Finales der Neunten Symphonie angehören,— seine Stimmung wie seine äußere Erscheinung theilt es mit dieser letzten Ar¬ beit oder zeigt vielmehr das völlig errungene Resultat dieses inneren Pro¬ cesses selbst. Sogleich das kurze „NitöstoM" des 1. Satzes kündigt in ebenso energisch¬ abschneidenden Rhythmen wie in einfach fundamentalen Harmonien die neue Welt an, in die seitdem eingetreten worden war, die Welt der vollzogenen Zurückstimmung des eigenen Daseins in das Ganze, der Aufhebung jedes an¬ deren persönlichen Seins als um dieses Ganzen willen. Und dem entspricht die volle Unschuld und das unbeschreiblich selig unbefangene Spiel des um die Dominante schwebenden Hauptmotivs. Es ist nicht möglich den Charakter dieses Motivs zu beschreiben, man wird nur auf mittelalterlichen Ma¬ donnenbildern diesen Eindruck höchster Zartheit und Reinheit der Empfindung wiedergewinnen und zwar einer Empfindung, die etwas wahrhaft selig Spielendes hat, weil sie aus einem innerlich heiligen Zustande her¬ vorgeht, aus dem Zustande nichts zu wollen, als was dem Andern Glück und Dasein bereitet. Im wirklichen Leben erblickt man solchen Zustand oder viel¬ mehr sein Naturelement einzig in dem Blick und Wesen, womit die Mutter dem Blick ihres Kindes begegnet: vom Manne ist derselbe nur aus seinen letzten und geheimsten Seelenäußerungen zu erfahren. Mag also dieser Satz in Bau und Gebahren sich nicht von anderen ersten Quartett- und Sonatensätzen unterscheiden, — aus diesem Faden ist Grenzboten IV. 18?b. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/261>, abgerufen am 23.07.2024.