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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gehen solle oder nicht, auf das Zureden von Freunden, um sich durch einen
unterirdischen Gang vom Circus nach seinem Palaste zu begeben. Hier be¬
gegnete er einer Schaar asiatischer Edelknaben, die auf der Bühne einen
Hymnus zu seinem Preise singen sollten. Caligula wollte vor der öffentlichen
Aufführung noch eine Probe hören, aber der Dirigent entschuldigte sich mit
Heiserkeit. Als der Kaiser sich darauf zum Gehen wandte, drängten sich Chärea,
ein zweiter Tribun, Sabinus, und etliche andere Theilnehmer der Verschwörung
Zwischen ihn und die Sänger. Sabinus bat um die Parole des Tages, und
kaum hatte er das Wort "Jupiter" erhalten, als Chärea dem Kaiser mit dem
Ausruf: "Nun, so treffe Dich sein Zorn!" von hinten einen Schwertschlag
über den Nacken versetzte. Caligula dreht sich um, da zerspaltet ihm ein
zweiter Hieb die Kinnlade. Er stürzt zu Boden, hüllt sich in seinen Mantel
und winselt: "Ich lebe noch!" darauf fällt die ganze Schaar der Verschwornen
über ihn her und macht ihm unter dem Geschrei der verabredeten Parole
"Noch einmal!" mit dreißig Wunden den Garaus.

So starb dieses Scheusal im Cäsarenpurpur im Alter von erst achtund¬
zwanzig Jahren, nachdem es vom 16. März 37, bis zum 24. Januar 41,
also drei Jahre zehn Monate und acht Tage regiert und dabei gezeigt, was
ewe tief herabgekommene Welt sich bieten ließ. Seine Leiche wurde halb ver¬
brannt nothdürftig eingescharrt, sein Andenken verflucht, sein Name auf
Monumenten ausgetilgt, der Tempel, den er sich frevelnd erbaut, niedergerissen,
seine Wittwe mit sammt ihrem Kinde ums Leben gebracht. Eine greuelvolle
Tragikomödie hatte ausgespielt: der Wahnsinn auf dem Throne des
^mischen Weltreiches.




Ms Jeethoven's letzter Schaffenszeit.
ii.
Von or. Ludwig Rost.
(Das erste der Letzten Quartette.)
(1824.)

Auch das äußere Leben, dem wir uns hier wieder zuwenden, um das
"gentliche Gebiet des Beethoven'schen Daseins mit völlig richtigem Verstehen
W betreten, zeigt uns bei ihm jetzt eine erhabene Milde der Gesinnung und
e ne wahrhaft schöne innere Menschenerscheinung. Jede Berührung mit dem


gehen solle oder nicht, auf das Zureden von Freunden, um sich durch einen
unterirdischen Gang vom Circus nach seinem Palaste zu begeben. Hier be¬
gegnete er einer Schaar asiatischer Edelknaben, die auf der Bühne einen
Hymnus zu seinem Preise singen sollten. Caligula wollte vor der öffentlichen
Aufführung noch eine Probe hören, aber der Dirigent entschuldigte sich mit
Heiserkeit. Als der Kaiser sich darauf zum Gehen wandte, drängten sich Chärea,
ein zweiter Tribun, Sabinus, und etliche andere Theilnehmer der Verschwörung
Zwischen ihn und die Sänger. Sabinus bat um die Parole des Tages, und
kaum hatte er das Wort „Jupiter" erhalten, als Chärea dem Kaiser mit dem
Ausruf: „Nun, so treffe Dich sein Zorn!" von hinten einen Schwertschlag
über den Nacken versetzte. Caligula dreht sich um, da zerspaltet ihm ein
zweiter Hieb die Kinnlade. Er stürzt zu Boden, hüllt sich in seinen Mantel
und winselt: „Ich lebe noch!" darauf fällt die ganze Schaar der Verschwornen
über ihn her und macht ihm unter dem Geschrei der verabredeten Parole
„Noch einmal!" mit dreißig Wunden den Garaus.

So starb dieses Scheusal im Cäsarenpurpur im Alter von erst achtund¬
zwanzig Jahren, nachdem es vom 16. März 37, bis zum 24. Januar 41,
also drei Jahre zehn Monate und acht Tage regiert und dabei gezeigt, was
ewe tief herabgekommene Welt sich bieten ließ. Seine Leiche wurde halb ver¬
brannt nothdürftig eingescharrt, sein Andenken verflucht, sein Name auf
Monumenten ausgetilgt, der Tempel, den er sich frevelnd erbaut, niedergerissen,
seine Wittwe mit sammt ihrem Kinde ums Leben gebracht. Eine greuelvolle
Tragikomödie hatte ausgespielt: der Wahnsinn auf dem Throne des
^mischen Weltreiches.




Ms Jeethoven's letzter Schaffenszeit.
ii.
Von or. Ludwig Rost.
(Das erste der Letzten Quartette.)
(1824.)

Auch das äußere Leben, dem wir uns hier wieder zuwenden, um das
"gentliche Gebiet des Beethoven'schen Daseins mit völlig richtigem Verstehen
W betreten, zeigt uns bei ihm jetzt eine erhabene Milde der Gesinnung und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/255>, abgerufen am 22.07.2024.