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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Mitglieder desselben sämtlich hinrichten zu lassen, weil die Ehrenbezeugungen,
die man ihm für seine Leistungen auf dem Feldzuge zuerkannt, "so ganz
menschlich wären". Siebenmal, so erklärte er, hätte das Heer ihn als Im¬
perator begrüßt und seine Siege anerkannt; er hätte seinen Fuß dem Ocean
auf den Nacken gelegt und ihn für alle Zeit überwunden und zur Abhängig¬
keit gebracht.

Caligula war durch die geschilderten Borgänge allmählich allen Ständen
Roms verhaßt und verächtlich geworden. Gegen die Reichen und Vornehmen
war er mit Plünderung und Mord vorgegangen, auch hatte er sich durch
Anlegung des Diadems unverhüllt zum Alleinherrscher und Tyrannen erklärt,
was seine Vorgänger gewesen waren, aber der Form nach nicht sein gewollt
hatten. Das Heer hatte er durch das militärische Possenspiel in Gallien und
Germanien mit Verdruß und durch die beabsichtigte Niedermetzelung der vor
langer Zeit meuterisch gewesenen Legionen mit Unwillen erfüllt. Der Pöbel
war es überdrüßig, die Fortsetzung zu oft schon gesehener Schauspiele, Wett¬
rennen und Gladiatorenkämpfe durch schwere Besteuerung der Eßwaaren, der
Processe und des Betriebes der Gewerbe bis herab zu den Lastträgern und
Lustdirnen zu erkaufen. Aber bei der Niedertracht aller Klassen der damaligen
Gesellschaft hätte Caligula sich noch eine gute Weile aus dem Throne be¬
haupten können, wenn der Tyrann nicht endlich gewöhnlicher Privatrache
zum Opfer gefallen wäre.

Selbst unter den Prätorianern rief Caligula zuletzt durch die ausgesucht
kränkende Behandlung, die er angesehenen Officieren dieser Truppe wiederholt
widerfahren ließ, tiefe Verstimmung hervor. Cassius Chärea, einer ihrer
Tribunen hatte das Mißgeschick, eine grelltönende Weiberstimme, die oft in
den höchsten Fisteltönen sich bewegte, zu besitzen. Der Kaiser verspottete ihn
deshalb, indem er ihn für einen weibischen Lüstling hielt. Wenn Chärea die
Parole für die Nacht holte, so bekam er Worte wie "Priapus" oder "Venus",
und wenn er sich für etwas zu bedanken kam, so reichte ihm sein Herr die
Hand mit einer unzüchtigen Geberde und Bewegung. Lange hatte der bereits
bejahrte Gardeoberst diese immer wiederkehrenden Beleidigungen mit Geduld
ertragen. Endlich aber übermannte ihn der Zorn, und er verabredete sich
mit Kameraden, die wegen ähnlicher Behandlung dem Kaiser grollten, seinen
Schimpf im Blute desselben abzuwaschen. Die Ausführung dieser Absicht
verzögerte sich einige Zeit, bis man sie auf das Fest der palatinischen Spiele
festsetzte. Dasselbe kam, und Caligula präsidirte dabei. Schon waren vier
Tage der Feier verflossen, ohne daß Etwas geschehen war. Da, am fünften
und letzten. Mittags nach ein Uhr, während einer Pause, erhob sich der Kaiser,
der mit einem schweren Katzenjammer vom Zechgelage der letztvergangenen
Nacht zu kämpfen hatte, und deshalb unschlüssig war, ob er zum Frühstück


Mitglieder desselben sämtlich hinrichten zu lassen, weil die Ehrenbezeugungen,
die man ihm für seine Leistungen auf dem Feldzuge zuerkannt, „so ganz
menschlich wären". Siebenmal, so erklärte er, hätte das Heer ihn als Im¬
perator begrüßt und seine Siege anerkannt; er hätte seinen Fuß dem Ocean
auf den Nacken gelegt und ihn für alle Zeit überwunden und zur Abhängig¬
keit gebracht.

Caligula war durch die geschilderten Borgänge allmählich allen Ständen
Roms verhaßt und verächtlich geworden. Gegen die Reichen und Vornehmen
war er mit Plünderung und Mord vorgegangen, auch hatte er sich durch
Anlegung des Diadems unverhüllt zum Alleinherrscher und Tyrannen erklärt,
was seine Vorgänger gewesen waren, aber der Form nach nicht sein gewollt
hatten. Das Heer hatte er durch das militärische Possenspiel in Gallien und
Germanien mit Verdruß und durch die beabsichtigte Niedermetzelung der vor
langer Zeit meuterisch gewesenen Legionen mit Unwillen erfüllt. Der Pöbel
war es überdrüßig, die Fortsetzung zu oft schon gesehener Schauspiele, Wett¬
rennen und Gladiatorenkämpfe durch schwere Besteuerung der Eßwaaren, der
Processe und des Betriebes der Gewerbe bis herab zu den Lastträgern und
Lustdirnen zu erkaufen. Aber bei der Niedertracht aller Klassen der damaligen
Gesellschaft hätte Caligula sich noch eine gute Weile aus dem Throne be¬
haupten können, wenn der Tyrann nicht endlich gewöhnlicher Privatrache
zum Opfer gefallen wäre.

Selbst unter den Prätorianern rief Caligula zuletzt durch die ausgesucht
kränkende Behandlung, die er angesehenen Officieren dieser Truppe wiederholt
widerfahren ließ, tiefe Verstimmung hervor. Cassius Chärea, einer ihrer
Tribunen hatte das Mißgeschick, eine grelltönende Weiberstimme, die oft in
den höchsten Fisteltönen sich bewegte, zu besitzen. Der Kaiser verspottete ihn
deshalb, indem er ihn für einen weibischen Lüstling hielt. Wenn Chärea die
Parole für die Nacht holte, so bekam er Worte wie „Priapus" oder „Venus",
und wenn er sich für etwas zu bedanken kam, so reichte ihm sein Herr die
Hand mit einer unzüchtigen Geberde und Bewegung. Lange hatte der bereits
bejahrte Gardeoberst diese immer wiederkehrenden Beleidigungen mit Geduld
ertragen. Endlich aber übermannte ihn der Zorn, und er verabredete sich
mit Kameraden, die wegen ähnlicher Behandlung dem Kaiser grollten, seinen
Schimpf im Blute desselben abzuwaschen. Die Ausführung dieser Absicht
verzögerte sich einige Zeit, bis man sie auf das Fest der palatinischen Spiele
festsetzte. Dasselbe kam, und Caligula präsidirte dabei. Schon waren vier
Tage der Feier verflossen, ohne daß Etwas geschehen war. Da, am fünften
und letzten. Mittags nach ein Uhr, während einer Pause, erhob sich der Kaiser,
der mit einem schweren Katzenjammer vom Zechgelage der letztvergangenen
Nacht zu kämpfen hatte, und deshalb unschlüssig war, ob er zum Frühstück


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[0254] Mitglieder desselben sämtlich hinrichten zu lassen, weil die Ehrenbezeugungen, die man ihm für seine Leistungen auf dem Feldzuge zuerkannt, „so ganz menschlich wären". Siebenmal, so erklärte er, hätte das Heer ihn als Im¬ perator begrüßt und seine Siege anerkannt; er hätte seinen Fuß dem Ocean auf den Nacken gelegt und ihn für alle Zeit überwunden und zur Abhängig¬ keit gebracht. Caligula war durch die geschilderten Borgänge allmählich allen Ständen Roms verhaßt und verächtlich geworden. Gegen die Reichen und Vornehmen war er mit Plünderung und Mord vorgegangen, auch hatte er sich durch Anlegung des Diadems unverhüllt zum Alleinherrscher und Tyrannen erklärt, was seine Vorgänger gewesen waren, aber der Form nach nicht sein gewollt hatten. Das Heer hatte er durch das militärische Possenspiel in Gallien und Germanien mit Verdruß und durch die beabsichtigte Niedermetzelung der vor langer Zeit meuterisch gewesenen Legionen mit Unwillen erfüllt. Der Pöbel war es überdrüßig, die Fortsetzung zu oft schon gesehener Schauspiele, Wett¬ rennen und Gladiatorenkämpfe durch schwere Besteuerung der Eßwaaren, der Processe und des Betriebes der Gewerbe bis herab zu den Lastträgern und Lustdirnen zu erkaufen. Aber bei der Niedertracht aller Klassen der damaligen Gesellschaft hätte Caligula sich noch eine gute Weile aus dem Throne be¬ haupten können, wenn der Tyrann nicht endlich gewöhnlicher Privatrache zum Opfer gefallen wäre. Selbst unter den Prätorianern rief Caligula zuletzt durch die ausgesucht kränkende Behandlung, die er angesehenen Officieren dieser Truppe wiederholt widerfahren ließ, tiefe Verstimmung hervor. Cassius Chärea, einer ihrer Tribunen hatte das Mißgeschick, eine grelltönende Weiberstimme, die oft in den höchsten Fisteltönen sich bewegte, zu besitzen. Der Kaiser verspottete ihn deshalb, indem er ihn für einen weibischen Lüstling hielt. Wenn Chärea die Parole für die Nacht holte, so bekam er Worte wie „Priapus" oder „Venus", und wenn er sich für etwas zu bedanken kam, so reichte ihm sein Herr die Hand mit einer unzüchtigen Geberde und Bewegung. Lange hatte der bereits bejahrte Gardeoberst diese immer wiederkehrenden Beleidigungen mit Geduld ertragen. Endlich aber übermannte ihn der Zorn, und er verabredete sich mit Kameraden, die wegen ähnlicher Behandlung dem Kaiser grollten, seinen Schimpf im Blute desselben abzuwaschen. Die Ausführung dieser Absicht verzögerte sich einige Zeit, bis man sie auf das Fest der palatinischen Spiele festsetzte. Dasselbe kam, und Caligula präsidirte dabei. Schon waren vier Tage der Feier verflossen, ohne daß Etwas geschehen war. Da, am fünften und letzten. Mittags nach ein Uhr, während einer Pause, erhob sich der Kaiser, der mit einem schweren Katzenjammer vom Zechgelage der letztvergangenen Nacht zu kämpfen hatte, und deshalb unschlüssig war, ob er zum Frühstück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/254>, abgerufen am 22.07.2024.