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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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weidete sich der Wahnsinn des Kaisers mit höchstem Behagen, und bei Mar¬
tern und fließendem Blute keine anderen als wohlthuende Gefühle zu em¬
pfinden, hielt er für den größten Vorzug seines Charakters. Er nannte diese
mitleidlose Gleichgültigkeit gegen die Leiden andrer Menschen mit einem Schül-
ausdrucke der Stoiker "Adiatrepsie", unerschütterliche Standhaftigkeit. Er
war überhaupt, wie viele Wahnsinnige, nicht ohne grausamen Witz und cy-
nische Ironie. Einen Mann Prätorischen Ranges, der sich seiner Gesundheit
wegen nach Anticyra begeben hatte, um eine Nießwurzeur zu brauchen, und
der von dort aus mehrmals um Verlängerung seines Urlaubes nachsuchte,
ließ er tödten, "weil ein Aderlaß nöthig sei, wo die Nießwurz nicht anschlagen
wolle." So oft er alle zehn Tage die Liste der hinzurichtenden Gefangnen
unterschrieb, pflegte er zu sagen, er "bringe seine Rechnung ins Reine".
Wenn er seiner Gemahlin oder einer andern Dame seines Harems den Hals
küßte, fügte er hinzu: "Ein schöner Nacken, aber sobald ich befehle, wird er
durchgeschnitten." Einmal brach er bei einem fröhlichen Gelage plötzlich in
wildes Lachen aus, und als die beiden neben ihm sitzenden Consuln nach der
Ursache fragten, erwiderte Majestät: "Worüber sollt ich lachen, als darüber,
daß ich nur zu winken brauche, um Euch auf der Stelle abkehlen zu lassen."
Im Grimm über das Publikum, das einst beim Wettrennen einer andern
Partei als er Beifall zurief, schrie er: "Ich wollte doch, daß Ihr allesammt
nur eine Gurgel hättet!"

Ganz offen und ungescheut, pflegte Caligula sich zu beklagen, daß es
unter seiner Regierung gar keine großen Unglücksfälle geben wolle. Die des
Augustus sei durch die Niederlage des Barus. die des Tiberius durch den
Einsturz des Theaters in Fidenä, bei dem gegen zwanzigtausend Menschen
umkamen, denkwürdig geworden, die seine drohe, in Vergessenheit zu gerathen,
da überall Wohlergehen herrsche, und so wünschte er sich denn wiederholt
Verlust von Schlachten, Hungersnoth, Pest, Erdbeben und große Feuers¬
brünste herbei. Nicht leicht ließ er Jemand anders als mit vielen schwachen
Streichen köpfen, wobei seine Mahnung an den Scharfrichter lautete: "Triff
ihn so, daß er das Sterben auch fühlt." Einmal, als bei einem Opfer das
Thier, welches dargebracht werden sollte, bereits vor dem Altare stand, erschien
er in der Tracht des Opferschlächters (poxg,). schwang die Axt und schlug
damit nicht das Thier, sondern den Opferstecher (eultrarlus) nieder. Selbst
in den Stunden des Mahles, der Erholung und des Spieles war ihm das
Ergötzen an den Qualen von Menschen Bedürfniß. Oft wurden, wenn er
frühstückte oder bei einem Zechgelage saß. unter seinen Augen peinliche Ver¬
höre mit Anwendung der verschiedenen damals gebräuchlichen Folterwerkzeuge
der Stricke, der Druckbreter, des Marterpferdes, des glühenden Eisens u. d.
angestellt, oder ein Soldat mußte etlichen Gefangnen den Kopf abschlagen.


weidete sich der Wahnsinn des Kaisers mit höchstem Behagen, und bei Mar¬
tern und fließendem Blute keine anderen als wohlthuende Gefühle zu em¬
pfinden, hielt er für den größten Vorzug seines Charakters. Er nannte diese
mitleidlose Gleichgültigkeit gegen die Leiden andrer Menschen mit einem Schül-
ausdrucke der Stoiker „Adiatrepsie", unerschütterliche Standhaftigkeit. Er
war überhaupt, wie viele Wahnsinnige, nicht ohne grausamen Witz und cy-
nische Ironie. Einen Mann Prätorischen Ranges, der sich seiner Gesundheit
wegen nach Anticyra begeben hatte, um eine Nießwurzeur zu brauchen, und
der von dort aus mehrmals um Verlängerung seines Urlaubes nachsuchte,
ließ er tödten, „weil ein Aderlaß nöthig sei, wo die Nießwurz nicht anschlagen
wolle." So oft er alle zehn Tage die Liste der hinzurichtenden Gefangnen
unterschrieb, pflegte er zu sagen, er „bringe seine Rechnung ins Reine".
Wenn er seiner Gemahlin oder einer andern Dame seines Harems den Hals
küßte, fügte er hinzu: „Ein schöner Nacken, aber sobald ich befehle, wird er
durchgeschnitten." Einmal brach er bei einem fröhlichen Gelage plötzlich in
wildes Lachen aus, und als die beiden neben ihm sitzenden Consuln nach der
Ursache fragten, erwiderte Majestät: „Worüber sollt ich lachen, als darüber,
daß ich nur zu winken brauche, um Euch auf der Stelle abkehlen zu lassen."
Im Grimm über das Publikum, das einst beim Wettrennen einer andern
Partei als er Beifall zurief, schrie er: „Ich wollte doch, daß Ihr allesammt
nur eine Gurgel hättet!"

Ganz offen und ungescheut, pflegte Caligula sich zu beklagen, daß es
unter seiner Regierung gar keine großen Unglücksfälle geben wolle. Die des
Augustus sei durch die Niederlage des Barus. die des Tiberius durch den
Einsturz des Theaters in Fidenä, bei dem gegen zwanzigtausend Menschen
umkamen, denkwürdig geworden, die seine drohe, in Vergessenheit zu gerathen,
da überall Wohlergehen herrsche, und so wünschte er sich denn wiederholt
Verlust von Schlachten, Hungersnoth, Pest, Erdbeben und große Feuers¬
brünste herbei. Nicht leicht ließ er Jemand anders als mit vielen schwachen
Streichen köpfen, wobei seine Mahnung an den Scharfrichter lautete: „Triff
ihn so, daß er das Sterben auch fühlt." Einmal, als bei einem Opfer das
Thier, welches dargebracht werden sollte, bereits vor dem Altare stand, erschien
er in der Tracht des Opferschlächters (poxg,). schwang die Axt und schlug
damit nicht das Thier, sondern den Opferstecher (eultrarlus) nieder. Selbst
in den Stunden des Mahles, der Erholung und des Spieles war ihm das
Ergötzen an den Qualen von Menschen Bedürfniß. Oft wurden, wenn er
frühstückte oder bei einem Zechgelage saß. unter seinen Augen peinliche Ver¬
höre mit Anwendung der verschiedenen damals gebräuchlichen Folterwerkzeuge
der Stricke, der Druckbreter, des Marterpferdes, des glühenden Eisens u. d.
angestellt, oder ein Soldat mußte etlichen Gefangnen den Kopf abschlagen.


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[0251] weidete sich der Wahnsinn des Kaisers mit höchstem Behagen, und bei Mar¬ tern und fließendem Blute keine anderen als wohlthuende Gefühle zu em¬ pfinden, hielt er für den größten Vorzug seines Charakters. Er nannte diese mitleidlose Gleichgültigkeit gegen die Leiden andrer Menschen mit einem Schül- ausdrucke der Stoiker „Adiatrepsie", unerschütterliche Standhaftigkeit. Er war überhaupt, wie viele Wahnsinnige, nicht ohne grausamen Witz und cy- nische Ironie. Einen Mann Prätorischen Ranges, der sich seiner Gesundheit wegen nach Anticyra begeben hatte, um eine Nießwurzeur zu brauchen, und der von dort aus mehrmals um Verlängerung seines Urlaubes nachsuchte, ließ er tödten, „weil ein Aderlaß nöthig sei, wo die Nießwurz nicht anschlagen wolle." So oft er alle zehn Tage die Liste der hinzurichtenden Gefangnen unterschrieb, pflegte er zu sagen, er „bringe seine Rechnung ins Reine". Wenn er seiner Gemahlin oder einer andern Dame seines Harems den Hals küßte, fügte er hinzu: „Ein schöner Nacken, aber sobald ich befehle, wird er durchgeschnitten." Einmal brach er bei einem fröhlichen Gelage plötzlich in wildes Lachen aus, und als die beiden neben ihm sitzenden Consuln nach der Ursache fragten, erwiderte Majestät: „Worüber sollt ich lachen, als darüber, daß ich nur zu winken brauche, um Euch auf der Stelle abkehlen zu lassen." Im Grimm über das Publikum, das einst beim Wettrennen einer andern Partei als er Beifall zurief, schrie er: „Ich wollte doch, daß Ihr allesammt nur eine Gurgel hättet!" Ganz offen und ungescheut, pflegte Caligula sich zu beklagen, daß es unter seiner Regierung gar keine großen Unglücksfälle geben wolle. Die des Augustus sei durch die Niederlage des Barus. die des Tiberius durch den Einsturz des Theaters in Fidenä, bei dem gegen zwanzigtausend Menschen umkamen, denkwürdig geworden, die seine drohe, in Vergessenheit zu gerathen, da überall Wohlergehen herrsche, und so wünschte er sich denn wiederholt Verlust von Schlachten, Hungersnoth, Pest, Erdbeben und große Feuers¬ brünste herbei. Nicht leicht ließ er Jemand anders als mit vielen schwachen Streichen köpfen, wobei seine Mahnung an den Scharfrichter lautete: „Triff ihn so, daß er das Sterben auch fühlt." Einmal, als bei einem Opfer das Thier, welches dargebracht werden sollte, bereits vor dem Altare stand, erschien er in der Tracht des Opferschlächters (poxg,). schwang die Axt und schlug damit nicht das Thier, sondern den Opferstecher (eultrarlus) nieder. Selbst in den Stunden des Mahles, der Erholung und des Spieles war ihm das Ergötzen an den Qualen von Menschen Bedürfniß. Oft wurden, wenn er frühstückte oder bei einem Zechgelage saß. unter seinen Augen peinliche Ver¬ höre mit Anwendung der verschiedenen damals gebräuchlichen Folterwerkzeuge der Stricke, der Druckbreter, des Marterpferdes, des glühenden Eisens u. d. angestellt, oder ein Soldat mußte etlichen Gefangnen den Kopf abschlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/251>, abgerufen am 22.07.2024.