Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Bild einer Persönlichkeit, die abstoßend genug war. Die Epilepsie, an
der er litt, bewirkt bei den meisten Menschen Schwäche des Verstandes,
tückische Gemüthsart, wilde, unnatürliche Triebe, besonders aus geschlechtlichem
Gebiete, und Caligula war davon keine Ausnahme. Er hat es nie zu selb¬
ständigem Denken, nie zu irgend welchem Interesse an Staatsangelegenheiten
gebracht, Sinn für andere ernste Beschäftigung lag ihm fern, nur in der
Beredsamkeit hatte er sich einige Fertigkeit erworben, als er Kaiser wurde.

In den ersten sieben Monaten seiner Regierung trat nur die erträgliche
Seite seines Charakters hervor, er lebte dem Vergnügen und verschwendete
viel Geld, auch mit Geschenken. Dann aber befiel ihn infolge seines zügel¬
losen und ungeregelten Lebens eine schwere Krankheit, aus der er als Scheusal
und Unmensch hervorging.

Sein Vetter Tiberius Gemellus, ein harmloser, geistig und körperlich
schwächlicher Mensch, war der Erste, der ihm zum Opfer fiel. Er sollte gesagt
haben, Caligula wolle ihn vergiften, auch sollte er dem Kaiser nach dem
Leben trachten. Der Zweite, dessen der Tyrann sich entledigte, war sein
Lehrer Maero, der ihn drei Mal vor der Mordlust des Tiberius gerettet
hatte, ihm aber verhaßt war, weil er ihn wiederholt zu anständigem Betragen
ermahnt und versucht, ihm das Regieren zu lehren. "Er will, daß ein Kaiser
seinen Unterthanen gehorchen soll," sagte Caligula. "Er will sich zum Lehrer
aufwerfen; von wem er aber die Kunst, zu regieren, gelernt hat, weiß ich
nicht. Ich habe von meiner Kindheit an sehr viele Lehrer gehabt; Väter,
Brüder, Oheime, Vettern, Großväter und Urgroßväter bis hinauf zu den
Stiftern unserer Familie haben mich unterrichtet, ganz abgesehen davon, daß
die erhabenen Vorzüge der Regenten durch die Geburt von den Ahnen aus
die Nachkommen übertragen werden. Mir ist die Kunst, zu regieren, ange"
boren, ich bin schon im Mutterleibe zum Regenten gebildet worden." Aus
einem ähnlichen Grunde zum Theil ließ er seinen Schwiegervater, den tapferen
und klugen Silanus, umbringen. Derselbe hatte dem Kaiser Borstellungen
wegen seines ungebührlichen Auftretens gemacht, die jener als Beschimpfungen
auffaßte; außerdem aber sollte er nach dem Throne streben. Wir sehen, Ca¬
ligula mordete jetzt noch nicht, wie später, aus reinem Blutdurst, sondern aus
krankhaftem Hochmuth und weil der Verfolgungswahn ihn dazu trieb. Jeder
hervorragende Mensch war ihm verhaßt, auf jeden, der sich einiger Beliebtheit
beim Volke erfreute, blickte er mit neidischen und mißtrauischen Augen, fort¬
während meinte er, von Nachstellungen und Gefahren umgeben zu sein.

Sein Hochmuth entwickelte sich allmählich zum Größenwahnsinn und
während er anfangs nur der weiseste, würdigste und gerechteste der Menschen
zu sein geglaubt hatte, genügte ihm dies jetzt nicht mehr, und seine kranke
Phantasie gaukelte ihm vor. er sei ein Gott. Er gelangte dahin durch sol-


das Bild einer Persönlichkeit, die abstoßend genug war. Die Epilepsie, an
der er litt, bewirkt bei den meisten Menschen Schwäche des Verstandes,
tückische Gemüthsart, wilde, unnatürliche Triebe, besonders aus geschlechtlichem
Gebiete, und Caligula war davon keine Ausnahme. Er hat es nie zu selb¬
ständigem Denken, nie zu irgend welchem Interesse an Staatsangelegenheiten
gebracht, Sinn für andere ernste Beschäftigung lag ihm fern, nur in der
Beredsamkeit hatte er sich einige Fertigkeit erworben, als er Kaiser wurde.

In den ersten sieben Monaten seiner Regierung trat nur die erträgliche
Seite seines Charakters hervor, er lebte dem Vergnügen und verschwendete
viel Geld, auch mit Geschenken. Dann aber befiel ihn infolge seines zügel¬
losen und ungeregelten Lebens eine schwere Krankheit, aus der er als Scheusal
und Unmensch hervorging.

Sein Vetter Tiberius Gemellus, ein harmloser, geistig und körperlich
schwächlicher Mensch, war der Erste, der ihm zum Opfer fiel. Er sollte gesagt
haben, Caligula wolle ihn vergiften, auch sollte er dem Kaiser nach dem
Leben trachten. Der Zweite, dessen der Tyrann sich entledigte, war sein
Lehrer Maero, der ihn drei Mal vor der Mordlust des Tiberius gerettet
hatte, ihm aber verhaßt war, weil er ihn wiederholt zu anständigem Betragen
ermahnt und versucht, ihm das Regieren zu lehren. „Er will, daß ein Kaiser
seinen Unterthanen gehorchen soll," sagte Caligula. „Er will sich zum Lehrer
aufwerfen; von wem er aber die Kunst, zu regieren, gelernt hat, weiß ich
nicht. Ich habe von meiner Kindheit an sehr viele Lehrer gehabt; Väter,
Brüder, Oheime, Vettern, Großväter und Urgroßväter bis hinauf zu den
Stiftern unserer Familie haben mich unterrichtet, ganz abgesehen davon, daß
die erhabenen Vorzüge der Regenten durch die Geburt von den Ahnen aus
die Nachkommen übertragen werden. Mir ist die Kunst, zu regieren, ange"
boren, ich bin schon im Mutterleibe zum Regenten gebildet worden." Aus
einem ähnlichen Grunde zum Theil ließ er seinen Schwiegervater, den tapferen
und klugen Silanus, umbringen. Derselbe hatte dem Kaiser Borstellungen
wegen seines ungebührlichen Auftretens gemacht, die jener als Beschimpfungen
auffaßte; außerdem aber sollte er nach dem Throne streben. Wir sehen, Ca¬
ligula mordete jetzt noch nicht, wie später, aus reinem Blutdurst, sondern aus
krankhaftem Hochmuth und weil der Verfolgungswahn ihn dazu trieb. Jeder
hervorragende Mensch war ihm verhaßt, auf jeden, der sich einiger Beliebtheit
beim Volke erfreute, blickte er mit neidischen und mißtrauischen Augen, fort¬
während meinte er, von Nachstellungen und Gefahren umgeben zu sein.

Sein Hochmuth entwickelte sich allmählich zum Größenwahnsinn und
während er anfangs nur der weiseste, würdigste und gerechteste der Menschen
zu sein geglaubt hatte, genügte ihm dies jetzt nicht mehr, und seine kranke
Phantasie gaukelte ihm vor. er sei ein Gott. Er gelangte dahin durch sol-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134592"/>
          <p xml:id="ID_737" prev="#ID_736"> das Bild einer Persönlichkeit, die abstoßend genug war. Die Epilepsie, an<lb/>
der er litt, bewirkt bei den meisten Menschen Schwäche des Verstandes,<lb/>
tückische Gemüthsart, wilde, unnatürliche Triebe, besonders aus geschlechtlichem<lb/>
Gebiete, und Caligula war davon keine Ausnahme. Er hat es nie zu selb¬<lb/>
ständigem Denken, nie zu irgend welchem Interesse an Staatsangelegenheiten<lb/>
gebracht, Sinn für andere ernste Beschäftigung lag ihm fern, nur in der<lb/>
Beredsamkeit hatte er sich einige Fertigkeit erworben, als er Kaiser wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738"> In den ersten sieben Monaten seiner Regierung trat nur die erträgliche<lb/>
Seite seines Charakters hervor, er lebte dem Vergnügen und verschwendete<lb/>
viel Geld, auch mit Geschenken. Dann aber befiel ihn infolge seines zügel¬<lb/>
losen und ungeregelten Lebens eine schwere Krankheit, aus der er als Scheusal<lb/>
und Unmensch hervorging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739"> Sein Vetter Tiberius Gemellus, ein harmloser, geistig und körperlich<lb/>
schwächlicher Mensch, war der Erste, der ihm zum Opfer fiel. Er sollte gesagt<lb/>
haben, Caligula wolle ihn vergiften, auch sollte er dem Kaiser nach dem<lb/>
Leben trachten. Der Zweite, dessen der Tyrann sich entledigte, war sein<lb/>
Lehrer Maero, der ihn drei Mal vor der Mordlust des Tiberius gerettet<lb/>
hatte, ihm aber verhaßt war, weil er ihn wiederholt zu anständigem Betragen<lb/>
ermahnt und versucht, ihm das Regieren zu lehren. &#x201E;Er will, daß ein Kaiser<lb/>
seinen Unterthanen gehorchen soll," sagte Caligula. &#x201E;Er will sich zum Lehrer<lb/>
aufwerfen; von wem er aber die Kunst, zu regieren, gelernt hat, weiß ich<lb/>
nicht. Ich habe von meiner Kindheit an sehr viele Lehrer gehabt; Väter,<lb/>
Brüder, Oheime, Vettern, Großväter und Urgroßväter bis hinauf zu den<lb/>
Stiftern unserer Familie haben mich unterrichtet, ganz abgesehen davon, daß<lb/>
die erhabenen Vorzüge der Regenten durch die Geburt von den Ahnen aus<lb/>
die Nachkommen übertragen werden. Mir ist die Kunst, zu regieren, ange"<lb/>
boren, ich bin schon im Mutterleibe zum Regenten gebildet worden." Aus<lb/>
einem ähnlichen Grunde zum Theil ließ er seinen Schwiegervater, den tapferen<lb/>
und klugen Silanus, umbringen. Derselbe hatte dem Kaiser Borstellungen<lb/>
wegen seines ungebührlichen Auftretens gemacht, die jener als Beschimpfungen<lb/>
auffaßte; außerdem aber sollte er nach dem Throne streben. Wir sehen, Ca¬<lb/>
ligula mordete jetzt noch nicht, wie später, aus reinem Blutdurst, sondern aus<lb/>
krankhaftem Hochmuth und weil der Verfolgungswahn ihn dazu trieb. Jeder<lb/>
hervorragende Mensch war ihm verhaßt, auf jeden, der sich einiger Beliebtheit<lb/>
beim Volke erfreute, blickte er mit neidischen und mißtrauischen Augen, fort¬<lb/>
während meinte er, von Nachstellungen und Gefahren umgeben zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_740" next="#ID_741"> Sein Hochmuth entwickelte sich allmählich zum Größenwahnsinn und<lb/>
während er anfangs nur der weiseste, würdigste und gerechteste der Menschen<lb/>
zu sein geglaubt hatte, genügte ihm dies jetzt nicht mehr, und seine kranke<lb/>
Phantasie gaukelte ihm vor. er sei ein Gott.  Er gelangte dahin durch sol-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] das Bild einer Persönlichkeit, die abstoßend genug war. Die Epilepsie, an der er litt, bewirkt bei den meisten Menschen Schwäche des Verstandes, tückische Gemüthsart, wilde, unnatürliche Triebe, besonders aus geschlechtlichem Gebiete, und Caligula war davon keine Ausnahme. Er hat es nie zu selb¬ ständigem Denken, nie zu irgend welchem Interesse an Staatsangelegenheiten gebracht, Sinn für andere ernste Beschäftigung lag ihm fern, nur in der Beredsamkeit hatte er sich einige Fertigkeit erworben, als er Kaiser wurde. In den ersten sieben Monaten seiner Regierung trat nur die erträgliche Seite seines Charakters hervor, er lebte dem Vergnügen und verschwendete viel Geld, auch mit Geschenken. Dann aber befiel ihn infolge seines zügel¬ losen und ungeregelten Lebens eine schwere Krankheit, aus der er als Scheusal und Unmensch hervorging. Sein Vetter Tiberius Gemellus, ein harmloser, geistig und körperlich schwächlicher Mensch, war der Erste, der ihm zum Opfer fiel. Er sollte gesagt haben, Caligula wolle ihn vergiften, auch sollte er dem Kaiser nach dem Leben trachten. Der Zweite, dessen der Tyrann sich entledigte, war sein Lehrer Maero, der ihn drei Mal vor der Mordlust des Tiberius gerettet hatte, ihm aber verhaßt war, weil er ihn wiederholt zu anständigem Betragen ermahnt und versucht, ihm das Regieren zu lehren. „Er will, daß ein Kaiser seinen Unterthanen gehorchen soll," sagte Caligula. „Er will sich zum Lehrer aufwerfen; von wem er aber die Kunst, zu regieren, gelernt hat, weiß ich nicht. Ich habe von meiner Kindheit an sehr viele Lehrer gehabt; Väter, Brüder, Oheime, Vettern, Großväter und Urgroßväter bis hinauf zu den Stiftern unserer Familie haben mich unterrichtet, ganz abgesehen davon, daß die erhabenen Vorzüge der Regenten durch die Geburt von den Ahnen aus die Nachkommen übertragen werden. Mir ist die Kunst, zu regieren, ange" boren, ich bin schon im Mutterleibe zum Regenten gebildet worden." Aus einem ähnlichen Grunde zum Theil ließ er seinen Schwiegervater, den tapferen und klugen Silanus, umbringen. Derselbe hatte dem Kaiser Borstellungen wegen seines ungebührlichen Auftretens gemacht, die jener als Beschimpfungen auffaßte; außerdem aber sollte er nach dem Throne streben. Wir sehen, Ca¬ ligula mordete jetzt noch nicht, wie später, aus reinem Blutdurst, sondern aus krankhaftem Hochmuth und weil der Verfolgungswahn ihn dazu trieb. Jeder hervorragende Mensch war ihm verhaßt, auf jeden, der sich einiger Beliebtheit beim Volke erfreute, blickte er mit neidischen und mißtrauischen Augen, fort¬ während meinte er, von Nachstellungen und Gefahren umgeben zu sein. Sein Hochmuth entwickelte sich allmählich zum Größenwahnsinn und während er anfangs nur der weiseste, würdigste und gerechteste der Menschen zu sein geglaubt hatte, genügte ihm dies jetzt nicht mehr, und seine kranke Phantasie gaukelte ihm vor. er sei ein Gott. Er gelangte dahin durch sol-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/246>, abgerufen am 22.07.2024.