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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Die Verbindung zwischen den hiesigen Arbeitern und jenen des Deutschen
Reiches, insoweit es sich um die gemäßigten Elemente hier wie dort han¬
delt, entsprang der Erkenntniß der Gemeinsamkeit der Interessen und der
Strebungen. Der Autor der genannten Schrift war als Vertreter der öster¬
reichischen Arbeiterschaft auf den Congressen zu Basel, im Haag !c. anwesend,
und da sah er einerseits, daß die französischen, belgischen, italienischen und
selbst die englischen Arbeiter zum größten Theil destruktiven Tendenzen hul¬
digten, während unter allen den Arbeitervertretern der europäischen Staaten
lediglich der Deutsche im Stande war, einen höheren Standpunkt einzunehmen und
mit großem Blicke die Aufgabe der Arbeiter in der Zukunft zu ermessen, ohne
damit irgend welche Umsturzideen um jeden Preis zu verbinden. Allerdings
waren auch schon früher Berührungspunkte vorhanden, ja Heinrich Oberwin-
der war schon im Jahre 1866 Mitglied des Fünfer-Ausschusses des Frankfurter
Volksvereines, welcher damals die Eventualität eines Sieges Oesterreichs über
Preußen berieth, in welchem Falle in Oesterreich eine Revolution hätte statt¬
finden sollen, um die voraussichtlich zu erwartenden reaktionären Experimente
zu Paralysiren. Indessen fand, wie gesagt, der eigentliche Anschluß der österrei¬
chischen Arbeiter an die deutschen erst nach den erwähnten Congressen statt. Ihre
Tendenz lautete: wissenschaftliche Ausbildung der Arbeiter in deutschem Sinne,
Erstrebung allgemeinen Stimmrechtes auf legalem Wege und Bekämpfung des
Föderalismus und des Ultramontanismus.

Während nun die hiesigen Arbeiter ihre in das "Bürgerministerium"
gesetzten Hoffnungen scheitern sahen und von demselben sogar Verfolgungen
erfuhren, vereinigten sich wiederum die Hoffnungen und Sympathien der Ar¬
beiterparteien hier und in Deutschland, als der Krieg im Jahre 1870 aus¬
brach. Oberwinder erzählt, daß die Arbeiter sofort auf den Sturz Napoleon's
rechneten und sich von demselben sehr viel versprachen. Wie sie den Födera¬
lismus als ihren Interessen entgegenstehend betrachteten, ebenso mußten sie
wünschen, daß die Kleinstaaterei in Deutschland aufhöre, welche für die In-
dustrie nachtheilig war, und nur England und Frankreich zu Gute kam-
Gleichwohl schlug für eine kurze Weile die Sympathie der Arbeiter für
Deutschland in ihr Gegentheil um, als in Frankreich die Republik proklamirt
ward. Das Wort allein machte auf die Massen einen bedeutenden Eindruck,
und die Arbeiter gingen bekanntlich in ihrem Idealismus so weit, gegen die
Annektirung Elsaß-Lothringens eine Resolution zu fassen.

Allein dieser Umschwung der Meinungen sollte nicht lange vorhalten.
Man sah in Frankreich die ultramontanen Elemente an die Oberfläche treten
und in Oesterreich ein föderalistisches Cabinet (Graf Hohenwart. Februar 1871)
ans Ruder gelangen, während die Deutschen Armeen sichtlich den Grundstein
zur Einheit des Reiches noch auf den französischen Schlachtfeldern legten.


Die Verbindung zwischen den hiesigen Arbeitern und jenen des Deutschen
Reiches, insoweit es sich um die gemäßigten Elemente hier wie dort han¬
delt, entsprang der Erkenntniß der Gemeinsamkeit der Interessen und der
Strebungen. Der Autor der genannten Schrift war als Vertreter der öster¬
reichischen Arbeiterschaft auf den Congressen zu Basel, im Haag !c. anwesend,
und da sah er einerseits, daß die französischen, belgischen, italienischen und
selbst die englischen Arbeiter zum größten Theil destruktiven Tendenzen hul¬
digten, während unter allen den Arbeitervertretern der europäischen Staaten
lediglich der Deutsche im Stande war, einen höheren Standpunkt einzunehmen und
mit großem Blicke die Aufgabe der Arbeiter in der Zukunft zu ermessen, ohne
damit irgend welche Umsturzideen um jeden Preis zu verbinden. Allerdings
waren auch schon früher Berührungspunkte vorhanden, ja Heinrich Oberwin-
der war schon im Jahre 1866 Mitglied des Fünfer-Ausschusses des Frankfurter
Volksvereines, welcher damals die Eventualität eines Sieges Oesterreichs über
Preußen berieth, in welchem Falle in Oesterreich eine Revolution hätte statt¬
finden sollen, um die voraussichtlich zu erwartenden reaktionären Experimente
zu Paralysiren. Indessen fand, wie gesagt, der eigentliche Anschluß der österrei¬
chischen Arbeiter an die deutschen erst nach den erwähnten Congressen statt. Ihre
Tendenz lautete: wissenschaftliche Ausbildung der Arbeiter in deutschem Sinne,
Erstrebung allgemeinen Stimmrechtes auf legalem Wege und Bekämpfung des
Föderalismus und des Ultramontanismus.

Während nun die hiesigen Arbeiter ihre in das „Bürgerministerium"
gesetzten Hoffnungen scheitern sahen und von demselben sogar Verfolgungen
erfuhren, vereinigten sich wiederum die Hoffnungen und Sympathien der Ar¬
beiterparteien hier und in Deutschland, als der Krieg im Jahre 1870 aus¬
brach. Oberwinder erzählt, daß die Arbeiter sofort auf den Sturz Napoleon's
rechneten und sich von demselben sehr viel versprachen. Wie sie den Födera¬
lismus als ihren Interessen entgegenstehend betrachteten, ebenso mußten sie
wünschen, daß die Kleinstaaterei in Deutschland aufhöre, welche für die In-
dustrie nachtheilig war, und nur England und Frankreich zu Gute kam-
Gleichwohl schlug für eine kurze Weile die Sympathie der Arbeiter für
Deutschland in ihr Gegentheil um, als in Frankreich die Republik proklamirt
ward. Das Wort allein machte auf die Massen einen bedeutenden Eindruck,
und die Arbeiter gingen bekanntlich in ihrem Idealismus so weit, gegen die
Annektirung Elsaß-Lothringens eine Resolution zu fassen.

Allein dieser Umschwung der Meinungen sollte nicht lange vorhalten.
Man sah in Frankreich die ultramontanen Elemente an die Oberfläche treten
und in Oesterreich ein föderalistisches Cabinet (Graf Hohenwart. Februar 1871)
ans Ruder gelangen, während die Deutschen Armeen sichtlich den Grundstein
zur Einheit des Reiches noch auf den französischen Schlachtfeldern legten.


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[0242] Die Verbindung zwischen den hiesigen Arbeitern und jenen des Deutschen Reiches, insoweit es sich um die gemäßigten Elemente hier wie dort han¬ delt, entsprang der Erkenntniß der Gemeinsamkeit der Interessen und der Strebungen. Der Autor der genannten Schrift war als Vertreter der öster¬ reichischen Arbeiterschaft auf den Congressen zu Basel, im Haag !c. anwesend, und da sah er einerseits, daß die französischen, belgischen, italienischen und selbst die englischen Arbeiter zum größten Theil destruktiven Tendenzen hul¬ digten, während unter allen den Arbeitervertretern der europäischen Staaten lediglich der Deutsche im Stande war, einen höheren Standpunkt einzunehmen und mit großem Blicke die Aufgabe der Arbeiter in der Zukunft zu ermessen, ohne damit irgend welche Umsturzideen um jeden Preis zu verbinden. Allerdings waren auch schon früher Berührungspunkte vorhanden, ja Heinrich Oberwin- der war schon im Jahre 1866 Mitglied des Fünfer-Ausschusses des Frankfurter Volksvereines, welcher damals die Eventualität eines Sieges Oesterreichs über Preußen berieth, in welchem Falle in Oesterreich eine Revolution hätte statt¬ finden sollen, um die voraussichtlich zu erwartenden reaktionären Experimente zu Paralysiren. Indessen fand, wie gesagt, der eigentliche Anschluß der österrei¬ chischen Arbeiter an die deutschen erst nach den erwähnten Congressen statt. Ihre Tendenz lautete: wissenschaftliche Ausbildung der Arbeiter in deutschem Sinne, Erstrebung allgemeinen Stimmrechtes auf legalem Wege und Bekämpfung des Föderalismus und des Ultramontanismus. Während nun die hiesigen Arbeiter ihre in das „Bürgerministerium" gesetzten Hoffnungen scheitern sahen und von demselben sogar Verfolgungen erfuhren, vereinigten sich wiederum die Hoffnungen und Sympathien der Ar¬ beiterparteien hier und in Deutschland, als der Krieg im Jahre 1870 aus¬ brach. Oberwinder erzählt, daß die Arbeiter sofort auf den Sturz Napoleon's rechneten und sich von demselben sehr viel versprachen. Wie sie den Födera¬ lismus als ihren Interessen entgegenstehend betrachteten, ebenso mußten sie wünschen, daß die Kleinstaaterei in Deutschland aufhöre, welche für die In- dustrie nachtheilig war, und nur England und Frankreich zu Gute kam- Gleichwohl schlug für eine kurze Weile die Sympathie der Arbeiter für Deutschland in ihr Gegentheil um, als in Frankreich die Republik proklamirt ward. Das Wort allein machte auf die Massen einen bedeutenden Eindruck, und die Arbeiter gingen bekanntlich in ihrem Idealismus so weit, gegen die Annektirung Elsaß-Lothringens eine Resolution zu fassen. Allein dieser Umschwung der Meinungen sollte nicht lange vorhalten. Man sah in Frankreich die ultramontanen Elemente an die Oberfläche treten und in Oesterreich ein föderalistisches Cabinet (Graf Hohenwart. Februar 1871) ans Ruder gelangen, während die Deutschen Armeen sichtlich den Grundstein zur Einheit des Reiches noch auf den französischen Schlachtfeldern legten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/242>, abgerufen am 22.07.2024.