Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von den klerikalen Agitatoren vorgesagt werden; ob sich namentlich die Be¬
amten und Staatsdiener in der Kammer besinnen werden, ob es mit der in
jedem geordneten Staate unabweisbar nothwendigen Disziplin vereinbar sei,
sich weiter in offenbar auflehnenden Widerspruch mit einer Regierung zu
setzen, die so deutlich des königlichen Vertrauens würdig bezeichnet worden ist.
Weil sich das bald zeigen wird und muß, deshalb hat man wohl auch die
Kammer nur vertagt, nicht, wie es von manchen Seiten angerathen wurde,
aufgelöst. Bis zum Januar, wenn der Schluß des Reichstages die Wider¬
berufung der Abgeordneten ermöglichen wird, wird man dafür sichere Fühlung
haben. Bis dahin muß ein proviforisches Steuergesetz vorgelegt werden. Ver¬
weigern dann, wie die Extremen wollen, die "Patrioten" die Forterhebung
der Steuern, dann freilich muß die Auflösung eintreten. "Aber", sagt das
Organ des Pfarrer Lucas, des größten Antipoden Jörg's im eignen ultramon¬
tanen Lager, die "Donauzeitung", "das", nämlich das Budget, nicht zu bewilligen,
"trauen sich die Patrioten nicht zu thun; nur nichts erwarten, was an
hundert Meilen einer Aktion gleich käme. Die Minister wären allerdings
entschlossen, an das Land zu appelliren, aber -- wir sagen es mit aller Be¬
stimmtheit voraus -- sie werden es nicht nöthig haben." Herr Lucas war
bisher nie ein so schlechter Prophet, als wie sich stets Jörg erwiesen -- und
er wird auch diesmal Recht behalten.

Vorderhand ist der Vorhang über dem Theater der Prcmnersgasse zu
München gefallen. Wenn er wieder aufgeht, wird uns wohl manch ein
"andres Bild" gezeigt werden. Als salir- oder Zwischenspiel nach antiker
Weise wird inzwischen die Fehde zwischen dem Cultusminister v. Lutz und
dem Bischof von Regensburg, Ignatius von Senestrey agirt. Ersterer hatte
bekanntlich in seiner Adreßdebatte-Rede den würdigen Kirchenfürsten beschuldigt,
daß er an seine Diözesanen eine Weisung habe ergehen lassen, "daß der Clerus
seine kirchliche Gesinnung dadurch bethätigen möge, daß er unter Benutzung
der Unzufriedenheit der Bevölkerung über die in Folge der neuen Erschei¬
nungen aus dem socialen und polirischen Gebiete eingetretenen Mißstände in
Handel und Wandel die Leute zur Wahl von solchen Vertretern anzuleiten
suche, deren echt kirchliche Gesinnung die nöthige Bürgschaft gibt." Herr von
Senestrey ließ diese Insinuation erst durch ein in öffentlicher Sitzung der Kam¬
mer verlesenes Telegramm ableugnen und forderte dann in einem für solche
Zwecke nicht mehr ungewöhnlichen, "offenen Briefe" den "Minister zum Be¬
weise oder zum Widerrufe" auf. In einer, ebenfalls in offene Briefform ge¬
kleideten Antwort tritt nun Herr v. Lutz den erstern an, und bezeichnet als
"Zeugen der Nachricht seiner Behauptung" sämmtliche Mitglieder des
bischöflichen Ordinariats, die Dekane und Pfarrer des Bisthums, und fordert
den Bischof auf. diese alle vor einem zu bestellenden Schiedsgericht vernehmen


von den klerikalen Agitatoren vorgesagt werden; ob sich namentlich die Be¬
amten und Staatsdiener in der Kammer besinnen werden, ob es mit der in
jedem geordneten Staate unabweisbar nothwendigen Disziplin vereinbar sei,
sich weiter in offenbar auflehnenden Widerspruch mit einer Regierung zu
setzen, die so deutlich des königlichen Vertrauens würdig bezeichnet worden ist.
Weil sich das bald zeigen wird und muß, deshalb hat man wohl auch die
Kammer nur vertagt, nicht, wie es von manchen Seiten angerathen wurde,
aufgelöst. Bis zum Januar, wenn der Schluß des Reichstages die Wider¬
berufung der Abgeordneten ermöglichen wird, wird man dafür sichere Fühlung
haben. Bis dahin muß ein proviforisches Steuergesetz vorgelegt werden. Ver¬
weigern dann, wie die Extremen wollen, die „Patrioten" die Forterhebung
der Steuern, dann freilich muß die Auflösung eintreten. „Aber", sagt das
Organ des Pfarrer Lucas, des größten Antipoden Jörg's im eignen ultramon¬
tanen Lager, die „Donauzeitung", „das", nämlich das Budget, nicht zu bewilligen,
„trauen sich die Patrioten nicht zu thun; nur nichts erwarten, was an
hundert Meilen einer Aktion gleich käme. Die Minister wären allerdings
entschlossen, an das Land zu appelliren, aber — wir sagen es mit aller Be¬
stimmtheit voraus — sie werden es nicht nöthig haben." Herr Lucas war
bisher nie ein so schlechter Prophet, als wie sich stets Jörg erwiesen — und
er wird auch diesmal Recht behalten.

Vorderhand ist der Vorhang über dem Theater der Prcmnersgasse zu
München gefallen. Wenn er wieder aufgeht, wird uns wohl manch ein
„andres Bild" gezeigt werden. Als salir- oder Zwischenspiel nach antiker
Weise wird inzwischen die Fehde zwischen dem Cultusminister v. Lutz und
dem Bischof von Regensburg, Ignatius von Senestrey agirt. Ersterer hatte
bekanntlich in seiner Adreßdebatte-Rede den würdigen Kirchenfürsten beschuldigt,
daß er an seine Diözesanen eine Weisung habe ergehen lassen, „daß der Clerus
seine kirchliche Gesinnung dadurch bethätigen möge, daß er unter Benutzung
der Unzufriedenheit der Bevölkerung über die in Folge der neuen Erschei¬
nungen aus dem socialen und polirischen Gebiete eingetretenen Mißstände in
Handel und Wandel die Leute zur Wahl von solchen Vertretern anzuleiten
suche, deren echt kirchliche Gesinnung die nöthige Bürgschaft gibt." Herr von
Senestrey ließ diese Insinuation erst durch ein in öffentlicher Sitzung der Kam¬
mer verlesenes Telegramm ableugnen und forderte dann in einem für solche
Zwecke nicht mehr ungewöhnlichen, „offenen Briefe" den „Minister zum Be¬
weise oder zum Widerrufe" auf. In einer, ebenfalls in offene Briefform ge¬
kleideten Antwort tritt nun Herr v. Lutz den erstern an, und bezeichnet als
„Zeugen der Nachricht seiner Behauptung" sämmtliche Mitglieder des
bischöflichen Ordinariats, die Dekane und Pfarrer des Bisthums, und fordert
den Bischof auf. diese alle vor einem zu bestellenden Schiedsgericht vernehmen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134586"/>
          <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> von den klerikalen Agitatoren vorgesagt werden; ob sich namentlich die Be¬<lb/>
amten und Staatsdiener in der Kammer besinnen werden, ob es mit der in<lb/>
jedem geordneten Staate unabweisbar nothwendigen Disziplin vereinbar sei,<lb/>
sich weiter in offenbar auflehnenden Widerspruch mit einer Regierung zu<lb/>
setzen, die so deutlich des königlichen Vertrauens würdig bezeichnet worden ist.<lb/>
Weil sich das bald zeigen wird und muß, deshalb hat man wohl auch die<lb/>
Kammer nur vertagt, nicht, wie es von manchen Seiten angerathen wurde,<lb/>
aufgelöst. Bis zum Januar, wenn der Schluß des Reichstages die Wider¬<lb/>
berufung der Abgeordneten ermöglichen wird, wird man dafür sichere Fühlung<lb/>
haben. Bis dahin muß ein proviforisches Steuergesetz vorgelegt werden. Ver¬<lb/>
weigern dann, wie die Extremen wollen, die &#x201E;Patrioten" die Forterhebung<lb/>
der Steuern, dann freilich muß die Auflösung eintreten. &#x201E;Aber", sagt das<lb/>
Organ des Pfarrer Lucas, des größten Antipoden Jörg's im eignen ultramon¬<lb/>
tanen Lager, die &#x201E;Donauzeitung", &#x201E;das", nämlich das Budget, nicht zu bewilligen,<lb/>
&#x201E;trauen sich die Patrioten nicht zu thun; nur nichts erwarten, was an<lb/>
hundert Meilen einer Aktion gleich käme. Die Minister wären allerdings<lb/>
entschlossen, an das Land zu appelliren, aber &#x2014; wir sagen es mit aller Be¬<lb/>
stimmtheit voraus &#x2014; sie werden es nicht nöthig haben." Herr Lucas war<lb/>
bisher nie ein so schlechter Prophet, als wie sich stets Jörg erwiesen &#x2014; und<lb/>
er wird auch diesmal Recht behalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_723" next="#ID_724"> Vorderhand ist der Vorhang über dem Theater der Prcmnersgasse zu<lb/>
München gefallen. Wenn er wieder aufgeht, wird uns wohl manch ein<lb/>
&#x201E;andres Bild" gezeigt werden. Als salir- oder Zwischenspiel nach antiker<lb/>
Weise wird inzwischen die Fehde zwischen dem Cultusminister v. Lutz und<lb/>
dem Bischof von Regensburg, Ignatius von Senestrey agirt. Ersterer hatte<lb/>
bekanntlich in seiner Adreßdebatte-Rede den würdigen Kirchenfürsten beschuldigt,<lb/>
daß er an seine Diözesanen eine Weisung habe ergehen lassen, &#x201E;daß der Clerus<lb/>
seine kirchliche Gesinnung dadurch bethätigen möge, daß er unter Benutzung<lb/>
der Unzufriedenheit der Bevölkerung über die in Folge der neuen Erschei¬<lb/>
nungen aus dem socialen und polirischen Gebiete eingetretenen Mißstände in<lb/>
Handel und Wandel die Leute zur Wahl von solchen Vertretern anzuleiten<lb/>
suche, deren echt kirchliche Gesinnung die nöthige Bürgschaft gibt." Herr von<lb/>
Senestrey ließ diese Insinuation erst durch ein in öffentlicher Sitzung der Kam¬<lb/>
mer verlesenes Telegramm ableugnen und forderte dann in einem für solche<lb/>
Zwecke nicht mehr ungewöhnlichen, &#x201E;offenen Briefe" den &#x201E;Minister zum Be¬<lb/>
weise oder zum Widerrufe" auf. In einer, ebenfalls in offene Briefform ge¬<lb/>
kleideten Antwort tritt nun Herr v. Lutz den erstern an, und bezeichnet als<lb/>
&#x201E;Zeugen der Nachricht seiner Behauptung" sämmtliche Mitglieder des<lb/>
bischöflichen Ordinariats, die Dekane und Pfarrer des Bisthums, und fordert<lb/>
den Bischof auf. diese alle vor einem zu bestellenden Schiedsgericht vernehmen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] von den klerikalen Agitatoren vorgesagt werden; ob sich namentlich die Be¬ amten und Staatsdiener in der Kammer besinnen werden, ob es mit der in jedem geordneten Staate unabweisbar nothwendigen Disziplin vereinbar sei, sich weiter in offenbar auflehnenden Widerspruch mit einer Regierung zu setzen, die so deutlich des königlichen Vertrauens würdig bezeichnet worden ist. Weil sich das bald zeigen wird und muß, deshalb hat man wohl auch die Kammer nur vertagt, nicht, wie es von manchen Seiten angerathen wurde, aufgelöst. Bis zum Januar, wenn der Schluß des Reichstages die Wider¬ berufung der Abgeordneten ermöglichen wird, wird man dafür sichere Fühlung haben. Bis dahin muß ein proviforisches Steuergesetz vorgelegt werden. Ver¬ weigern dann, wie die Extremen wollen, die „Patrioten" die Forterhebung der Steuern, dann freilich muß die Auflösung eintreten. „Aber", sagt das Organ des Pfarrer Lucas, des größten Antipoden Jörg's im eignen ultramon¬ tanen Lager, die „Donauzeitung", „das", nämlich das Budget, nicht zu bewilligen, „trauen sich die Patrioten nicht zu thun; nur nichts erwarten, was an hundert Meilen einer Aktion gleich käme. Die Minister wären allerdings entschlossen, an das Land zu appelliren, aber — wir sagen es mit aller Be¬ stimmtheit voraus — sie werden es nicht nöthig haben." Herr Lucas war bisher nie ein so schlechter Prophet, als wie sich stets Jörg erwiesen — und er wird auch diesmal Recht behalten. Vorderhand ist der Vorhang über dem Theater der Prcmnersgasse zu München gefallen. Wenn er wieder aufgeht, wird uns wohl manch ein „andres Bild" gezeigt werden. Als salir- oder Zwischenspiel nach antiker Weise wird inzwischen die Fehde zwischen dem Cultusminister v. Lutz und dem Bischof von Regensburg, Ignatius von Senestrey agirt. Ersterer hatte bekanntlich in seiner Adreßdebatte-Rede den würdigen Kirchenfürsten beschuldigt, daß er an seine Diözesanen eine Weisung habe ergehen lassen, „daß der Clerus seine kirchliche Gesinnung dadurch bethätigen möge, daß er unter Benutzung der Unzufriedenheit der Bevölkerung über die in Folge der neuen Erschei¬ nungen aus dem socialen und polirischen Gebiete eingetretenen Mißstände in Handel und Wandel die Leute zur Wahl von solchen Vertretern anzuleiten suche, deren echt kirchliche Gesinnung die nöthige Bürgschaft gibt." Herr von Senestrey ließ diese Insinuation erst durch ein in öffentlicher Sitzung der Kam¬ mer verlesenes Telegramm ableugnen und forderte dann in einem für solche Zwecke nicht mehr ungewöhnlichen, „offenen Briefe" den „Minister zum Be¬ weise oder zum Widerrufe" auf. In einer, ebenfalls in offene Briefform ge¬ kleideten Antwort tritt nun Herr v. Lutz den erstern an, und bezeichnet als „Zeugen der Nachricht seiner Behauptung" sämmtliche Mitglieder des bischöflichen Ordinariats, die Dekane und Pfarrer des Bisthums, und fordert den Bischof auf. diese alle vor einem zu bestellenden Schiedsgericht vernehmen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/240>, abgerufen am 25.08.2024.