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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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durch freundliches Benehmen den Trotz des alten Gegners in unbedingte Er¬
gebung zu verwandeln. Als derselbe am 11, Januar 384 sich der Haupt¬
stadt näherte, eilte ihm der Kaiser ein gutes Stück entgegen und führte den
Gast in festlicher Weise an seinen Hof.

Nicht lange freilich genoß er solche Ehrenbezeugungen. Wenige Wochen
später verschied er; aber das änderte nichts an dem unverhofft großen Er¬
folge des Kaisers. Abgesehen von vereinzelten Schwärmen erkannte das
Gothenvolk die kaiserliche Obmacht an und der Arianismus der meisten unter
ihnen, die bet der Freundschaft ihrer Fürsten mit dem Hofe zu Konstantinopel
auf ihre Verschiedenheit im Glauben kein großes Gewicht legten, erregte nach
dem Tode des Ulfilas keine Besorgnis mehr. Bereits den Tag vor der An¬
kunft Athanarich's war daher Theodosius wenigstens in Bezug auf die römi¬
schen Bürger auf seine früheren Pläne zurückgekommen und hatte in der gegen
Häretiker üblichen Sprache gegen das Gift der arianischen Kirchenschändung
und das Verbrechen der eunomianischen Gottlosigkeit ein Gesetz erlassen, in
dem das gegebene Versprechen eines Concils zurückgenommen, die nicänische
Lehre als katholische Rechtgläubigkeit anerkannt und die bereits angeordnete
Vertreibung der Ketzer aus den Kirchen bestätigt wurde, Damit war das
Verhältnis der Bekenntnisse für die Zukunft entschieden und der Arianismus
verlor sich allmählich unter den Völkern römischer Herrschaft, ohne daß jenes
Gesetz namentlich den Gothen gegenüber mit rücksichtsloser Härte angewendet
worden wäre. Unter diesen aber wirkte der Geist ihres großen Apostels
mächtig fort und sein Glaube, jenes Vermächtnis seiner letzten Stunde, wurde
von ihnen und ihren Stammverwandten als theure Erbschaft hochgehalten.
Ostgothen und Vandalen blieben bis zu ihrem Untergang seinem Be¬
kenntnis treu. Die Westgothen traten unter Reccared auf der Kirchen¬
versammlung zu Toledo und die Burgunden unter ihrem König Siegmund
kurz vor der Unterwerfung ihres Reichs durch die Franken zum Katholicis¬
mus über. Bei den Longobarden fand derselbe Eingang, als um S90 der
König Authari die bairische Königstochter Theudelinda heimführte. Erst
744 aber unter König Liutprand wurde unter jenen norditalienischen Ger¬
manen das nicänische Bekenntnis herrschend.

Es hat so sein sollen, daß sich während des Mittelalters die deutschen
Völker eine Zeitlang unter den geistigen Einfluß Roms stellten und sich in
der strengen Schule der lateinischen Literatur bildeten. Doch als sich ihnen
das volle Verständnis der altclasstschen Humanität eröffnete, da war es aus
mit dieser zweiten Römerherrschaft und der Sturmwind der Reformation
wehte neues Leben in die gefesselten Geister. Die Deutschen Nordeuropas
sagten sich vom Katholicismus los. ganz ähnlich wie der erste Deutsche, der
seinen Wissensdurst stillte aus den reineren Quellen der griechischen Kultur.


durch freundliches Benehmen den Trotz des alten Gegners in unbedingte Er¬
gebung zu verwandeln. Als derselbe am 11, Januar 384 sich der Haupt¬
stadt näherte, eilte ihm der Kaiser ein gutes Stück entgegen und führte den
Gast in festlicher Weise an seinen Hof.

Nicht lange freilich genoß er solche Ehrenbezeugungen. Wenige Wochen
später verschied er; aber das änderte nichts an dem unverhofft großen Er¬
folge des Kaisers. Abgesehen von vereinzelten Schwärmen erkannte das
Gothenvolk die kaiserliche Obmacht an und der Arianismus der meisten unter
ihnen, die bet der Freundschaft ihrer Fürsten mit dem Hofe zu Konstantinopel
auf ihre Verschiedenheit im Glauben kein großes Gewicht legten, erregte nach
dem Tode des Ulfilas keine Besorgnis mehr. Bereits den Tag vor der An¬
kunft Athanarich's war daher Theodosius wenigstens in Bezug auf die römi¬
schen Bürger auf seine früheren Pläne zurückgekommen und hatte in der gegen
Häretiker üblichen Sprache gegen das Gift der arianischen Kirchenschändung
und das Verbrechen der eunomianischen Gottlosigkeit ein Gesetz erlassen, in
dem das gegebene Versprechen eines Concils zurückgenommen, die nicänische
Lehre als katholische Rechtgläubigkeit anerkannt und die bereits angeordnete
Vertreibung der Ketzer aus den Kirchen bestätigt wurde, Damit war das
Verhältnis der Bekenntnisse für die Zukunft entschieden und der Arianismus
verlor sich allmählich unter den Völkern römischer Herrschaft, ohne daß jenes
Gesetz namentlich den Gothen gegenüber mit rücksichtsloser Härte angewendet
worden wäre. Unter diesen aber wirkte der Geist ihres großen Apostels
mächtig fort und sein Glaube, jenes Vermächtnis seiner letzten Stunde, wurde
von ihnen und ihren Stammverwandten als theure Erbschaft hochgehalten.
Ostgothen und Vandalen blieben bis zu ihrem Untergang seinem Be¬
kenntnis treu. Die Westgothen traten unter Reccared auf der Kirchen¬
versammlung zu Toledo und die Burgunden unter ihrem König Siegmund
kurz vor der Unterwerfung ihres Reichs durch die Franken zum Katholicis¬
mus über. Bei den Longobarden fand derselbe Eingang, als um S90 der
König Authari die bairische Königstochter Theudelinda heimführte. Erst
744 aber unter König Liutprand wurde unter jenen norditalienischen Ger¬
manen das nicänische Bekenntnis herrschend.

Es hat so sein sollen, daß sich während des Mittelalters die deutschen
Völker eine Zeitlang unter den geistigen Einfluß Roms stellten und sich in
der strengen Schule der lateinischen Literatur bildeten. Doch als sich ihnen
das volle Verständnis der altclasstschen Humanität eröffnete, da war es aus
mit dieser zweiten Römerherrschaft und der Sturmwind der Reformation
wehte neues Leben in die gefesselten Geister. Die Deutschen Nordeuropas
sagten sich vom Katholicismus los. ganz ähnlich wie der erste Deutsche, der
seinen Wissensdurst stillte aus den reineren Quellen der griechischen Kultur.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/24>, abgerufen am 02.10.2024.