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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Stauffenberg in schönster Oberpfälzer Manier und schließlich der catilinarische
Ruf: "hinaus mit den Wahlkreisgeometern aus dem Ministerium!" Aber
nicht Herrn Rußwurm sollte die Palme oratorischen Talents gebühren; seine
Lorbeern ihm vielmehr streitig gemacht werden von dem k. Bezirksgerichtsrathe
Herrn Schels zu Regensburg. Dieser brachte es zu einer Scene, wie sie die
bayrische Abgeordnetenkammer niemals, eine andere parlamentarische Versamm¬
lung selten erlebt hat. Gleich der Anfang seines sermons gipfelte in den
höflichsten Verdächtigungen und Verläumdungen der liberalen Partei ; als
jene sich aber bis dahin verstiegen, daß diese für gemeine Ausfälle fremder
Witzblätter auf den König von Bayern verantwortlich gemacht und des An-
strebens des Einheitsstaates begünstigt wurde, da war's mit der Geduld der
Linken zu Ende. Unter dem rauschenden Beifall der Tribünen, welche bis
auf den letzten Winkel hinein besetzt waren, verließ sie, wie Ein Mann, den
Saal, in welchem bei solchen Vorkommnissen länger zu bleiben ihre Ehre ihr
verbot. Der Präsident schien weniger feinfühlig zu sein, denn erst, nachdem
der Ministerpräsident das Wort ergrissen und unter dem Ausdruck der tiefsten
Entrüstung sein Bedauern ausgesprochen hatte, daß das Ministerium nicht
dem eben gegebenen Beispiele folgen könne, raffte er sich auf und ertheilte
dem frivolen Redner den, allerdings dann ziemlich scharf gefaßten Ordnungs¬
ruf. Aber es war geschehen: das ""taut tsrridls hatte der ultramontanen
Partei die schwerste Wunde geschlagen. Sprach auch noch der klerikale Ab¬
geordnete Freytag in der Richtung nach Ausgleich und Versöhnung hin,
kamen auch die Liberalen nach ausdrücklichen Protest gegen die Wiederholung
solcher Scenen wieder in den Saal zurück, -- der Bankerott der Aoreßdebatte
war doch entschieden. Noch vertheidigte ver Minister des Innern v. Pfeuffer
sehr geschickt die Gesetzlichkeit seiner Wahlkreiseintheilung, dann kam es zur
Abstimmung, die freilich, da keine von den zwei Millionen repräsentirenden
Mehrheitsstimmen fehlte, die Annahme der Adresse entschied. "Wir flehen
Ew. Majestät an, geben Sie uns ein Ministerium, das den Frieden
sucht", hatte Jörg seine Schlußreplik geendet. Es kam nun darauf an,
ob dies patriotisch-klerikale Flehen den Weg in die Bergeinsamkeit des
Königs fand.

Das Entlassungsgesuch der Minister, die diesmal, im Gegensatz zu 1870,
doch solidarisch zusammenhielten, eilte dorthin, dem Gesuch des Kammerpräsi¬
diums um eine Audienz für die Adreßdeputation voraus. Sieben bange,
ungewisse Tage folgten. Die unbestimmtesten, sich widersprechendsten Gerüchte
durchbrausten die Residenz. Bald sollte jene Entlassung bewilligt sein und
man sah die Herren des katholischen Casinos, in welchen die patriotische
Kammerfraktion ihren Sitz hat, sehr gehobenen Hauptes herumgehen, bald
hieß es wieder dagegen, daß der Monarch gar nicht besonders gut auf die


Stauffenberg in schönster Oberpfälzer Manier und schließlich der catilinarische
Ruf: „hinaus mit den Wahlkreisgeometern aus dem Ministerium!" Aber
nicht Herrn Rußwurm sollte die Palme oratorischen Talents gebühren; seine
Lorbeern ihm vielmehr streitig gemacht werden von dem k. Bezirksgerichtsrathe
Herrn Schels zu Regensburg. Dieser brachte es zu einer Scene, wie sie die
bayrische Abgeordnetenkammer niemals, eine andere parlamentarische Versamm¬
lung selten erlebt hat. Gleich der Anfang seines sermons gipfelte in den
höflichsten Verdächtigungen und Verläumdungen der liberalen Partei ; als
jene sich aber bis dahin verstiegen, daß diese für gemeine Ausfälle fremder
Witzblätter auf den König von Bayern verantwortlich gemacht und des An-
strebens des Einheitsstaates begünstigt wurde, da war's mit der Geduld der
Linken zu Ende. Unter dem rauschenden Beifall der Tribünen, welche bis
auf den letzten Winkel hinein besetzt waren, verließ sie, wie Ein Mann, den
Saal, in welchem bei solchen Vorkommnissen länger zu bleiben ihre Ehre ihr
verbot. Der Präsident schien weniger feinfühlig zu sein, denn erst, nachdem
der Ministerpräsident das Wort ergrissen und unter dem Ausdruck der tiefsten
Entrüstung sein Bedauern ausgesprochen hatte, daß das Ministerium nicht
dem eben gegebenen Beispiele folgen könne, raffte er sich auf und ertheilte
dem frivolen Redner den, allerdings dann ziemlich scharf gefaßten Ordnungs¬
ruf. Aber es war geschehen: das «»taut tsrridls hatte der ultramontanen
Partei die schwerste Wunde geschlagen. Sprach auch noch der klerikale Ab¬
geordnete Freytag in der Richtung nach Ausgleich und Versöhnung hin,
kamen auch die Liberalen nach ausdrücklichen Protest gegen die Wiederholung
solcher Scenen wieder in den Saal zurück, — der Bankerott der Aoreßdebatte
war doch entschieden. Noch vertheidigte ver Minister des Innern v. Pfeuffer
sehr geschickt die Gesetzlichkeit seiner Wahlkreiseintheilung, dann kam es zur
Abstimmung, die freilich, da keine von den zwei Millionen repräsentirenden
Mehrheitsstimmen fehlte, die Annahme der Adresse entschied. „Wir flehen
Ew. Majestät an, geben Sie uns ein Ministerium, das den Frieden
sucht", hatte Jörg seine Schlußreplik geendet. Es kam nun darauf an,
ob dies patriotisch-klerikale Flehen den Weg in die Bergeinsamkeit des
Königs fand.

Das Entlassungsgesuch der Minister, die diesmal, im Gegensatz zu 1870,
doch solidarisch zusammenhielten, eilte dorthin, dem Gesuch des Kammerpräsi¬
diums um eine Audienz für die Adreßdeputation voraus. Sieben bange,
ungewisse Tage folgten. Die unbestimmtesten, sich widersprechendsten Gerüchte
durchbrausten die Residenz. Bald sollte jene Entlassung bewilligt sein und
man sah die Herren des katholischen Casinos, in welchen die patriotische
Kammerfraktion ihren Sitz hat, sehr gehobenen Hauptes herumgehen, bald
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[0238] Stauffenberg in schönster Oberpfälzer Manier und schließlich der catilinarische Ruf: „hinaus mit den Wahlkreisgeometern aus dem Ministerium!" Aber nicht Herrn Rußwurm sollte die Palme oratorischen Talents gebühren; seine Lorbeern ihm vielmehr streitig gemacht werden von dem k. Bezirksgerichtsrathe Herrn Schels zu Regensburg. Dieser brachte es zu einer Scene, wie sie die bayrische Abgeordnetenkammer niemals, eine andere parlamentarische Versamm¬ lung selten erlebt hat. Gleich der Anfang seines sermons gipfelte in den höflichsten Verdächtigungen und Verläumdungen der liberalen Partei ; als jene sich aber bis dahin verstiegen, daß diese für gemeine Ausfälle fremder Witzblätter auf den König von Bayern verantwortlich gemacht und des An- strebens des Einheitsstaates begünstigt wurde, da war's mit der Geduld der Linken zu Ende. Unter dem rauschenden Beifall der Tribünen, welche bis auf den letzten Winkel hinein besetzt waren, verließ sie, wie Ein Mann, den Saal, in welchem bei solchen Vorkommnissen länger zu bleiben ihre Ehre ihr verbot. Der Präsident schien weniger feinfühlig zu sein, denn erst, nachdem der Ministerpräsident das Wort ergrissen und unter dem Ausdruck der tiefsten Entrüstung sein Bedauern ausgesprochen hatte, daß das Ministerium nicht dem eben gegebenen Beispiele folgen könne, raffte er sich auf und ertheilte dem frivolen Redner den, allerdings dann ziemlich scharf gefaßten Ordnungs¬ ruf. Aber es war geschehen: das «»taut tsrridls hatte der ultramontanen Partei die schwerste Wunde geschlagen. Sprach auch noch der klerikale Ab¬ geordnete Freytag in der Richtung nach Ausgleich und Versöhnung hin, kamen auch die Liberalen nach ausdrücklichen Protest gegen die Wiederholung solcher Scenen wieder in den Saal zurück, — der Bankerott der Aoreßdebatte war doch entschieden. Noch vertheidigte ver Minister des Innern v. Pfeuffer sehr geschickt die Gesetzlichkeit seiner Wahlkreiseintheilung, dann kam es zur Abstimmung, die freilich, da keine von den zwei Millionen repräsentirenden Mehrheitsstimmen fehlte, die Annahme der Adresse entschied. „Wir flehen Ew. Majestät an, geben Sie uns ein Ministerium, das den Frieden sucht", hatte Jörg seine Schlußreplik geendet. Es kam nun darauf an, ob dies patriotisch-klerikale Flehen den Weg in die Bergeinsamkeit des Königs fand. Das Entlassungsgesuch der Minister, die diesmal, im Gegensatz zu 1870, doch solidarisch zusammenhielten, eilte dorthin, dem Gesuch des Kammerpräsi¬ diums um eine Audienz für die Adreßdeputation voraus. Sieben bange, ungewisse Tage folgten. Die unbestimmtesten, sich widersprechendsten Gerüchte durchbrausten die Residenz. Bald sollte jene Entlassung bewilligt sein und man sah die Herren des katholischen Casinos, in welchen die patriotische Kammerfraktion ihren Sitz hat, sehr gehobenen Hauptes herumgehen, bald hieß es wieder dagegen, daß der Monarch gar nicht besonders gut auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/238>, abgerufen am 25.08.2024.