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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gewirbelt, es mußte der lang verhaltene patriotische Schmerzensschrei an den
Stufen des Thrones zu Gehör gebracht werden. Die zwei Stimmen Majori¬
tät thaten ihre Schuldigkeit: Die Erlassung einer Adresse ward beschlossen
und der Ausschuß von Is Mitgliedern für die Berathung derselben gewählt,
Herr Jörg von diesem zu seinem Referenten ernannt. Als solcher schlug nun
dieser wiederum ein ganz eigenes, bisher unerhörtes Verfahren ein. Ohne,
wie er auf sein Wort behauptete, mit seinen Fraktionsgenossen in irgend welche
Communication zu treten, entwarf er ganz nach eigenen "historisch-politischen"
Heften die Adresse, ließ dieselbe unter höchsteigener Verantwortung autographiren,
ohne aber zuzugeben, daß diese Entwurfsexemplare an die einzelnen Ausschu߬
mitglieder zur Kenntnißnahme vertheilt würden, sondern muthete vielmehr
den Ministern, wie den liberalen Commissionsmitgliedern zu, sich einfach das
Aktenstück vorlesen zu lassen und dann sofort in die Discussion desselben ein¬
zutreten. Auf solche Ungeheuerlichkeit sich eine Anklage dieser Art, wie Jörg's
Adreßentwurf gegen die Regierung sowohl als gegen die andere Hälfte
der Kammer eine war, einfach zur Kenntnißnahme bringen zu lassen und
keine Minute Zwischenzeit zur Antwort haben zu sollen, ging man denn
doch nicht ein. Eine zweite Ausschußsitzung, bei welcher auch für die Mit¬
glieder des Hauses die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, folgte, und in dieser
kramte schon der päpstliche Schildknappe von der Trausnitz alles aus, was
in verschärfter Weise gegen dies unheilvolle Ministerium in öffentlicher Sitzung
gesagt werden sollte. Die Minister, wie die Liberalen verhielten sich schwei¬
gend, schon dadurch die Hoffnungen der Gegner auf eine leidenschaftliche Aus¬
schußdebatte enttäuschend.

Aber diese Enttäuschungen sollten noch bitterer kommen. Was sollten
die Liberalen sich mehr, als nur äußerst nothwendig an der Verhandlung
über eine Adresse betheiligen, deren Inhalt und Ton über alles bis daher
Dagewesene und Erlaubte hinausging? Wenn sie durch einen einzigen Redner
nur scharf und präcis ihren negativen Standpunkt zu dem Jörgischen Ent¬
wurf bezeichnen ließen, so war das genug. Und dieser Einzige -- einzig in
jeder Beziehung -- war Freiherr v. Stauffenberg. Vom Präsidentenstuhl
wieder an die Spitze der liberalen Fraktion getreten, ist dieser unübertreffliche
Mann wieder an seiner alten, rechten Stelle, an welcher er selner Partei mehr
nützen kann, denn selbst als Leiter der parlamentarischen Verhandlungen. Das
bewies wieder schlagend seine Rede am 13. d. M. Nachdem Jörg die Be¬
gründung seiner Adresse mit den heftigsten Angriffen auf die Wahlkreisein¬
theilung des Ministeriums, das trotz seiner in der Wahlschlacht erlittenen
Niederlage ganz ungenirt vor der Kammer erscheine, begonnen und die kühne
Behauptung aufgestellt, daß die zwei Stimmen ultramontaner Majorität nach
seinen statistischen Berechnungen 2 Millionen Bayern repräsentirten, daß das


gewirbelt, es mußte der lang verhaltene patriotische Schmerzensschrei an den
Stufen des Thrones zu Gehör gebracht werden. Die zwei Stimmen Majori¬
tät thaten ihre Schuldigkeit: Die Erlassung einer Adresse ward beschlossen
und der Ausschuß von Is Mitgliedern für die Berathung derselben gewählt,
Herr Jörg von diesem zu seinem Referenten ernannt. Als solcher schlug nun
dieser wiederum ein ganz eigenes, bisher unerhörtes Verfahren ein. Ohne,
wie er auf sein Wort behauptete, mit seinen Fraktionsgenossen in irgend welche
Communication zu treten, entwarf er ganz nach eigenen „historisch-politischen"
Heften die Adresse, ließ dieselbe unter höchsteigener Verantwortung autographiren,
ohne aber zuzugeben, daß diese Entwurfsexemplare an die einzelnen Ausschu߬
mitglieder zur Kenntnißnahme vertheilt würden, sondern muthete vielmehr
den Ministern, wie den liberalen Commissionsmitgliedern zu, sich einfach das
Aktenstück vorlesen zu lassen und dann sofort in die Discussion desselben ein¬
zutreten. Auf solche Ungeheuerlichkeit sich eine Anklage dieser Art, wie Jörg's
Adreßentwurf gegen die Regierung sowohl als gegen die andere Hälfte
der Kammer eine war, einfach zur Kenntnißnahme bringen zu lassen und
keine Minute Zwischenzeit zur Antwort haben zu sollen, ging man denn
doch nicht ein. Eine zweite Ausschußsitzung, bei welcher auch für die Mit¬
glieder des Hauses die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, folgte, und in dieser
kramte schon der päpstliche Schildknappe von der Trausnitz alles aus, was
in verschärfter Weise gegen dies unheilvolle Ministerium in öffentlicher Sitzung
gesagt werden sollte. Die Minister, wie die Liberalen verhielten sich schwei¬
gend, schon dadurch die Hoffnungen der Gegner auf eine leidenschaftliche Aus¬
schußdebatte enttäuschend.

Aber diese Enttäuschungen sollten noch bitterer kommen. Was sollten
die Liberalen sich mehr, als nur äußerst nothwendig an der Verhandlung
über eine Adresse betheiligen, deren Inhalt und Ton über alles bis daher
Dagewesene und Erlaubte hinausging? Wenn sie durch einen einzigen Redner
nur scharf und präcis ihren negativen Standpunkt zu dem Jörgischen Ent¬
wurf bezeichnen ließen, so war das genug. Und dieser Einzige — einzig in
jeder Beziehung — war Freiherr v. Stauffenberg. Vom Präsidentenstuhl
wieder an die Spitze der liberalen Fraktion getreten, ist dieser unübertreffliche
Mann wieder an seiner alten, rechten Stelle, an welcher er selner Partei mehr
nützen kann, denn selbst als Leiter der parlamentarischen Verhandlungen. Das
bewies wieder schlagend seine Rede am 13. d. M. Nachdem Jörg die Be¬
gründung seiner Adresse mit den heftigsten Angriffen auf die Wahlkreisein¬
theilung des Ministeriums, das trotz seiner in der Wahlschlacht erlittenen
Niederlage ganz ungenirt vor der Kammer erscheine, begonnen und die kühne
Behauptung aufgestellt, daß die zwei Stimmen ultramontaner Majorität nach
seinen statistischen Berechnungen 2 Millionen Bayern repräsentirten, daß das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/236>, abgerufen am 22.07.2024.