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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gente Kampf zwischen Ultramonianismus und Liberalismus, zwischen Rom
und Deutschland, der Kammer und Land in zwei Hälften theilt, hat innerhalb
dieser ganzen Zeit keinen so entschiedenen Standpunkt genommen, als wie in
diesen Wochen, in den letzten Tagen. Bisher konnten wenigstens die Kleri¬
kalen glauben, es sei ihnen, bei nur irgend wie ihnen günstigen Chancen,
möglich, an die Spitze der Regierung zu gelangen oder doch dem Könige die
Ueberzeugung beizubringen, daß die Majorität des Volkes wirklich eine solche
Regierung brauche und ersehne -- heute liegt alles anders, alle ultramontanen
Träume sind verflattert, alle die schönen Hoffnungen der Herren Jörg und Ge¬
nossen begraben. Und das durch Ein Wort, ein Königswort, das zur rechten
Stunde, im Augenblick der größten Verwirrung und höchsten Noth gesprochen
worden ist.

Es ist bekannt, wie die Abgeordnetenwahlen dieses Sommers aus¬
gefallen sind. Beide Parteien hatten das Möglichste ausgeboten, das alte
Terrain zu behalten und neues zu gewinnen. In ersterer Beziehung war es
den Liberalen in der Pfalz, Mittelfranken und fast allen großen und größeren
Städten gelungen, in letzterer konnten sie neue Siege in Schwaben, Unter-und
Oberfranken verzeichnen und sogar die ultramontane Oberpfalz hatte sich, in¬
dem dort zwei freiheitliche Wahlkandidaten durchgingen, um den Ruhm ihrer
klerikalen Jungfräulichkeit gebracht. Aber doch standen den 77 liberalen Ab¬
geordneten 79 ultramontane gegenüber, eine streng geschlossene Schaar, von
der Herr Jörg, ihr bis an die Zähne gewappneter Führer, in der Adreß-
debatte zu behaupten sich vermaß, daß diesmal kein wurmstichiger Apfel "unter ihr
erfunden" werden würde, womit er in sehr collegialer Erinnerung auf die "An¬
gefallenen" der letzten Session zielte, d. h. die in den Stunden nationaler Ent¬
scheidung das Herz gehabt hatten, von der Seite Roms auf die Seite Deutsch¬
lands zu treten. Man war in den klerikalen Reihen sicher, diesmal nur "Ent¬
schiedene" gewählt zu haben, die diesem Ministerium, dieser Regierung
keinen Tag mehr gönnen würden, deren erste Handlung sein müsse, die rothen
Fauteuils von diesen "Friedensstörern", diesen "Verfolgern der Kirche", und welche
Epitheta man sonst für Herrn v. Lutz und seine Kollegen hatte, zu säubern und
sie mit würdigern Männern zu besetzen. Es war wahr: alle gemäßigten
Elemente der Rechten der letzten Kammer, mit denen im Laufe der Zeit we¬
nigstens für praktische Fragen ein ganz erträglicher moclus vivendi hergestellt
worden war, hatte man ausgemerzt: was auf jener Seite am 27. September
den Eid in die Hände des Stellvertreters des Königs ablegte, war schwarz,
kohlschwarz, untadelig vor den Augen der Führer des patriotischen Clubs und
des Nuntius in München. Man konnte sich auf die schönsten Reden gefaßt
machen, wenn Redakteure der extremsten Blätter, wie Kittler und Ratzinger,
Hetzkapläm- wie Hennemann, klerikale Beamte, wie Kopp und Schelo, fana-


gente Kampf zwischen Ultramonianismus und Liberalismus, zwischen Rom
und Deutschland, der Kammer und Land in zwei Hälften theilt, hat innerhalb
dieser ganzen Zeit keinen so entschiedenen Standpunkt genommen, als wie in
diesen Wochen, in den letzten Tagen. Bisher konnten wenigstens die Kleri¬
kalen glauben, es sei ihnen, bei nur irgend wie ihnen günstigen Chancen,
möglich, an die Spitze der Regierung zu gelangen oder doch dem Könige die
Ueberzeugung beizubringen, daß die Majorität des Volkes wirklich eine solche
Regierung brauche und ersehne — heute liegt alles anders, alle ultramontanen
Träume sind verflattert, alle die schönen Hoffnungen der Herren Jörg und Ge¬
nossen begraben. Und das durch Ein Wort, ein Königswort, das zur rechten
Stunde, im Augenblick der größten Verwirrung und höchsten Noth gesprochen
worden ist.

Es ist bekannt, wie die Abgeordnetenwahlen dieses Sommers aus¬
gefallen sind. Beide Parteien hatten das Möglichste ausgeboten, das alte
Terrain zu behalten und neues zu gewinnen. In ersterer Beziehung war es
den Liberalen in der Pfalz, Mittelfranken und fast allen großen und größeren
Städten gelungen, in letzterer konnten sie neue Siege in Schwaben, Unter-und
Oberfranken verzeichnen und sogar die ultramontane Oberpfalz hatte sich, in¬
dem dort zwei freiheitliche Wahlkandidaten durchgingen, um den Ruhm ihrer
klerikalen Jungfräulichkeit gebracht. Aber doch standen den 77 liberalen Ab¬
geordneten 79 ultramontane gegenüber, eine streng geschlossene Schaar, von
der Herr Jörg, ihr bis an die Zähne gewappneter Führer, in der Adreß-
debatte zu behaupten sich vermaß, daß diesmal kein wurmstichiger Apfel „unter ihr
erfunden" werden würde, womit er in sehr collegialer Erinnerung auf die „An¬
gefallenen" der letzten Session zielte, d. h. die in den Stunden nationaler Ent¬
scheidung das Herz gehabt hatten, von der Seite Roms auf die Seite Deutsch¬
lands zu treten. Man war in den klerikalen Reihen sicher, diesmal nur „Ent¬
schiedene" gewählt zu haben, die diesem Ministerium, dieser Regierung
keinen Tag mehr gönnen würden, deren erste Handlung sein müsse, die rothen
Fauteuils von diesen „Friedensstörern", diesen „Verfolgern der Kirche", und welche
Epitheta man sonst für Herrn v. Lutz und seine Kollegen hatte, zu säubern und
sie mit würdigern Männern zu besetzen. Es war wahr: alle gemäßigten
Elemente der Rechten der letzten Kammer, mit denen im Laufe der Zeit we¬
nigstens für praktische Fragen ein ganz erträglicher moclus vivendi hergestellt
worden war, hatte man ausgemerzt: was auf jener Seite am 27. September
den Eid in die Hände des Stellvertreters des Königs ablegte, war schwarz,
kohlschwarz, untadelig vor den Augen der Führer des patriotischen Clubs und
des Nuntius in München. Man konnte sich auf die schönsten Reden gefaßt
machen, wenn Redakteure der extremsten Blätter, wie Kittler und Ratzinger,
Hetzkapläm- wie Hennemann, klerikale Beamte, wie Kopp und Schelo, fana-


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[0234] gente Kampf zwischen Ultramonianismus und Liberalismus, zwischen Rom und Deutschland, der Kammer und Land in zwei Hälften theilt, hat innerhalb dieser ganzen Zeit keinen so entschiedenen Standpunkt genommen, als wie in diesen Wochen, in den letzten Tagen. Bisher konnten wenigstens die Kleri¬ kalen glauben, es sei ihnen, bei nur irgend wie ihnen günstigen Chancen, möglich, an die Spitze der Regierung zu gelangen oder doch dem Könige die Ueberzeugung beizubringen, daß die Majorität des Volkes wirklich eine solche Regierung brauche und ersehne — heute liegt alles anders, alle ultramontanen Träume sind verflattert, alle die schönen Hoffnungen der Herren Jörg und Ge¬ nossen begraben. Und das durch Ein Wort, ein Königswort, das zur rechten Stunde, im Augenblick der größten Verwirrung und höchsten Noth gesprochen worden ist. Es ist bekannt, wie die Abgeordnetenwahlen dieses Sommers aus¬ gefallen sind. Beide Parteien hatten das Möglichste ausgeboten, das alte Terrain zu behalten und neues zu gewinnen. In ersterer Beziehung war es den Liberalen in der Pfalz, Mittelfranken und fast allen großen und größeren Städten gelungen, in letzterer konnten sie neue Siege in Schwaben, Unter-und Oberfranken verzeichnen und sogar die ultramontane Oberpfalz hatte sich, in¬ dem dort zwei freiheitliche Wahlkandidaten durchgingen, um den Ruhm ihrer klerikalen Jungfräulichkeit gebracht. Aber doch standen den 77 liberalen Ab¬ geordneten 79 ultramontane gegenüber, eine streng geschlossene Schaar, von der Herr Jörg, ihr bis an die Zähne gewappneter Führer, in der Adreß- debatte zu behaupten sich vermaß, daß diesmal kein wurmstichiger Apfel „unter ihr erfunden" werden würde, womit er in sehr collegialer Erinnerung auf die „An¬ gefallenen" der letzten Session zielte, d. h. die in den Stunden nationaler Ent¬ scheidung das Herz gehabt hatten, von der Seite Roms auf die Seite Deutsch¬ lands zu treten. Man war in den klerikalen Reihen sicher, diesmal nur „Ent¬ schiedene" gewählt zu haben, die diesem Ministerium, dieser Regierung keinen Tag mehr gönnen würden, deren erste Handlung sein müsse, die rothen Fauteuils von diesen „Friedensstörern", diesen „Verfolgern der Kirche", und welche Epitheta man sonst für Herrn v. Lutz und seine Kollegen hatte, zu säubern und sie mit würdigern Männern zu besetzen. Es war wahr: alle gemäßigten Elemente der Rechten der letzten Kammer, mit denen im Laufe der Zeit we¬ nigstens für praktische Fragen ein ganz erträglicher moclus vivendi hergestellt worden war, hatte man ausgemerzt: was auf jener Seite am 27. September den Eid in die Hände des Stellvertreters des Königs ablegte, war schwarz, kohlschwarz, untadelig vor den Augen der Führer des patriotischen Clubs und des Nuntius in München. Man konnte sich auf die schönsten Reden gefaßt machen, wenn Redakteure der extremsten Blätter, wie Kittler und Ratzinger, Hetzkapläm- wie Hennemann, klerikale Beamte, wie Kopp und Schelo, fana-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/234>, abgerufen am 22.07.2024.