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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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mit einer strengen Verwarnung entlassen. Als er aus dem Verhörzimmer trat,
schlug gerade eine Bombe am Fenster vorbei. Unser braver Schneider jauchzte
laut auf und rief dem Schließer zu: "Und wir kriegen's doch!" Seine Zu¬
versicht hat ihn nicht betrogen. Die unsrige aus die endliche moralische Ein¬
nahme der Festung wird es ebensowenig thun. --

Inzwischen muß ich gestehen: so wohlthuend es dem patriotischen Herzen
ist, an den zahlreichen unscheinbaren Symptomen zu bemerken, daß es vorwärts
geht in dem theuer erkauften Lande. -- ich athmete doch neu auf, als ich vom
Eisenbahnwagen aus den Bergen der bairischen Pfalz den Willkommengruß
zurufen konnte. Nach der ziemlich reizlosen Fahrt durch das nördliche Elsaß
ist der plötzliche Anblick der schöngeformten, imposanten Kegel des Trifels,
Rehberg u. f. w. doppelt wirksam. Und hat man erst die unter den Hammer
gebrachte Reichsfeste Landau im Rücken, und der Zug saust dahin durch die
unabsehbaren Nebgefilde, links die anmuthigen Höhen von Edenkoben und
darüber die ragende Kalan, dann aus herrlichem Waldesgrün sich erhebend
die wohlbekannte Burg Hambach, und endlich, am Fuße des schroff abfallen¬
den Rückens der Haardt, das immerfröhliche Neustadt mit dem unbeschreib¬
lichen Blick in das Thal des Scheierbachs -- wer wollte, wenn dies paradiesische
Land sich in den zarten Duft eines sonnigen Septembertages zu seinen Füßen
breitet, nicht von ganzem Herzen einstimmen in den Ruf: "Fröhlich Palz,
Gott erhalt's!"

Man hat die Pfälzer, ganz besonders die linksrheinischen, prosaisch und
"aß-materialistisch genannt. Richtig ist, daß sie von den Schätzen dieser Welt eine
sehr hohe Meinung haben, daß sie im Dienste des Bachus des Guten häufiger
Zuviel thun, als zu wenig, und daß ihre Freude sich meistens in recht kräftigen
Formen Luft macht. Aber wer dem Herzen dieses Volkes einmal bis auf den
Grund geschaut hat, der weiß, daß dasselbe doch noch sehr anderer Regungen
fähig ist, als egoistischer Gewinn- und Genußsucht. Ich.habe die Pfalz ge¬
sehen in jenen bangen Wochen des Jahres 1870, da plötzlich und unerwartet,
Wie ein Gewitter am sonnenhellen Morgen, der Krieg hereinbrach. Wehrlos
lag das Land dem Feinde offen, jeden Augenblick gewärtig, von einem aus
dem Elsaß heranrückenden Armeecorps überflutet zu werden. Wäre der
Pfälzer wirklich jeder idealen Schwungkraft baar, was hätte ihn damals hin¬
dern sollen, sich der "französischen Zeit" seiner Heimath zu erinnern und sich
mit dem Gedanken zu trösten, daß man sich den Wein zur Noth auch unter
den Fittigen des gallischen Hahns munden lassen könnte? Allein, außer
einem gott- und ehrvergessenen Pfaffen hat. soviel ich weiß, kein Mensch
eine ähnliche Niederträchtigkeit auch nur angedeutet; überall inmitten der
schweren Gefahr glühte echte deutsche Treue, loderte die helle Flamme patrio-


mit einer strengen Verwarnung entlassen. Als er aus dem Verhörzimmer trat,
schlug gerade eine Bombe am Fenster vorbei. Unser braver Schneider jauchzte
laut auf und rief dem Schließer zu: „Und wir kriegen's doch!" Seine Zu¬
versicht hat ihn nicht betrogen. Die unsrige aus die endliche moralische Ein¬
nahme der Festung wird es ebensowenig thun. —

Inzwischen muß ich gestehen: so wohlthuend es dem patriotischen Herzen
ist, an den zahlreichen unscheinbaren Symptomen zu bemerken, daß es vorwärts
geht in dem theuer erkauften Lande. — ich athmete doch neu auf, als ich vom
Eisenbahnwagen aus den Bergen der bairischen Pfalz den Willkommengruß
zurufen konnte. Nach der ziemlich reizlosen Fahrt durch das nördliche Elsaß
ist der plötzliche Anblick der schöngeformten, imposanten Kegel des Trifels,
Rehberg u. f. w. doppelt wirksam. Und hat man erst die unter den Hammer
gebrachte Reichsfeste Landau im Rücken, und der Zug saust dahin durch die
unabsehbaren Nebgefilde, links die anmuthigen Höhen von Edenkoben und
darüber die ragende Kalan, dann aus herrlichem Waldesgrün sich erhebend
die wohlbekannte Burg Hambach, und endlich, am Fuße des schroff abfallen¬
den Rückens der Haardt, das immerfröhliche Neustadt mit dem unbeschreib¬
lichen Blick in das Thal des Scheierbachs — wer wollte, wenn dies paradiesische
Land sich in den zarten Duft eines sonnigen Septembertages zu seinen Füßen
breitet, nicht von ganzem Herzen einstimmen in den Ruf: „Fröhlich Palz,
Gott erhalt's!"

Man hat die Pfälzer, ganz besonders die linksrheinischen, prosaisch und
«aß-materialistisch genannt. Richtig ist, daß sie von den Schätzen dieser Welt eine
sehr hohe Meinung haben, daß sie im Dienste des Bachus des Guten häufiger
Zuviel thun, als zu wenig, und daß ihre Freude sich meistens in recht kräftigen
Formen Luft macht. Aber wer dem Herzen dieses Volkes einmal bis auf den
Grund geschaut hat, der weiß, daß dasselbe doch noch sehr anderer Regungen
fähig ist, als egoistischer Gewinn- und Genußsucht. Ich.habe die Pfalz ge¬
sehen in jenen bangen Wochen des Jahres 1870, da plötzlich und unerwartet,
Wie ein Gewitter am sonnenhellen Morgen, der Krieg hereinbrach. Wehrlos
lag das Land dem Feinde offen, jeden Augenblick gewärtig, von einem aus
dem Elsaß heranrückenden Armeecorps überflutet zu werden. Wäre der
Pfälzer wirklich jeder idealen Schwungkraft baar, was hätte ihn damals hin¬
dern sollen, sich der „französischen Zeit" seiner Heimath zu erinnern und sich
mit dem Gedanken zu trösten, daß man sich den Wein zur Noth auch unter
den Fittigen des gallischen Hahns munden lassen könnte? Allein, außer
einem gott- und ehrvergessenen Pfaffen hat. soviel ich weiß, kein Mensch
eine ähnliche Niederträchtigkeit auch nur angedeutet; überall inmitten der
schweren Gefahr glühte echte deutsche Treue, loderte die helle Flamme patrio-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/231>, abgerufen am 22.07.2024.