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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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der türkische Herr mit dem unglücklichen christlichen Bauer Erbarmen gehabt,
aber es war ein kleiner Zwischenfall dazu getreten. Die Jele (Helene), die
Tochter des Bauern, hatte eines Tages in der Nähe von Hussein Begs
Wohnhaus die Schafe ihres Baders gehütet. Und als der Beg des Abends
nach Hause kam, gab er ihr beim Absteigen die Zügel seines Pferdes in die
Hand mit dem Auftrage, das Thier in den Stall zu führen. AIs aber Jele
im Stalle war, kamen zwei Diener Hussein's und schleppten sie in dessen
Zimmer. Des andern Morgens wurde sie entlassen, und weil sie ein Bündel
Maiskolben nicht annehmen wollte, die ihr der Beg hatte verabfolgen lassen,
so tractirten sie die Diener mit Faustschlägen. Am Tage nachher aber ließ
Hussein den Tabak aus der Hütte des Bauern wegnehmen -- "seinen, Hussein
Begs, Tabak!"

Das Alles kam umständlich und klar an den Tag. Hussein Beg hatte
es nicht für nothwendig gehalten, zur Verhandlung zu erscheinen, er hatte
zwei Tage vorher eine Reise nach Serajewo angetreten. Der Mudir befragte
den Bauer und die Jele und notirte Einiges in die Schreibtafel, die er in
der linken Hand hielt. Dann sprach er das Urtheil. Hussein Beg ging
völlig straflos aus. Der alte Bauer aber mußte wegen Usurpirung fremden
Eigenthums fünfzig Piaster -- zehn Mark -- Strafe zahlen. Wenn er dazu
nicht im Stande sei, fügte der türkische Richter hinzu, so möge man ihm
drei Hammel confisciren. Da er und die Jele darüber in Weinen aus¬
brachen, so wurden sie beide zur Thür hinausgeworfen. Dann steckte der
Mudir seine Schreibtafel wieder in den Gürtel, und die Diener brachten uns
prächtig duftenden Kaffee." Nach der Arbeit das Vergnügen!

Der Verfasser schließt mit der Bemerkung: "Es giebt viele Husseins,
viele Bauern und sehr viel unbebautes Land in Bosnien. Auch haben dort
viele Bauern hübsche Töchter, aber kein Bauer hat Feld, keiner irgendwelchen
Grundbesitz. Wenn man darum von Unruhen in Bosnien (oder, wie wir
hinzufügen, in der anstoßenden und ähnlich gestellten, ähnlich auch verwal¬
teten Herzegowina) hört, so wolle man den richtigen Maßstab anlegen und
bedenken, daß ähnliche Dinge wie die, welche ich hier erzählte, dort fast alle
Tage vorkommen. Die Folgerungen sind dann leicht zu ziehen", und sie wür¬
den uns veranlassen, es aufrichtig zu bedauern, wenn wir hören sollten, daß
der Aufstand mißlungen und im Sande verlaufen sei, und zu wünschen, daß
bald ein Modus gefunden werde, eine Regierung, die solcher Schande nicht
steuern kann oder will, unter eine wirksame Curatel zu stellen.




der türkische Herr mit dem unglücklichen christlichen Bauer Erbarmen gehabt,
aber es war ein kleiner Zwischenfall dazu getreten. Die Jele (Helene), die
Tochter des Bauern, hatte eines Tages in der Nähe von Hussein Begs
Wohnhaus die Schafe ihres Baders gehütet. Und als der Beg des Abends
nach Hause kam, gab er ihr beim Absteigen die Zügel seines Pferdes in die
Hand mit dem Auftrage, das Thier in den Stall zu führen. AIs aber Jele
im Stalle war, kamen zwei Diener Hussein's und schleppten sie in dessen
Zimmer. Des andern Morgens wurde sie entlassen, und weil sie ein Bündel
Maiskolben nicht annehmen wollte, die ihr der Beg hatte verabfolgen lassen,
so tractirten sie die Diener mit Faustschlägen. Am Tage nachher aber ließ
Hussein den Tabak aus der Hütte des Bauern wegnehmen — „seinen, Hussein
Begs, Tabak!"

Das Alles kam umständlich und klar an den Tag. Hussein Beg hatte
es nicht für nothwendig gehalten, zur Verhandlung zu erscheinen, er hatte
zwei Tage vorher eine Reise nach Serajewo angetreten. Der Mudir befragte
den Bauer und die Jele und notirte Einiges in die Schreibtafel, die er in
der linken Hand hielt. Dann sprach er das Urtheil. Hussein Beg ging
völlig straflos aus. Der alte Bauer aber mußte wegen Usurpirung fremden
Eigenthums fünfzig Piaster — zehn Mark — Strafe zahlen. Wenn er dazu
nicht im Stande sei, fügte der türkische Richter hinzu, so möge man ihm
drei Hammel confisciren. Da er und die Jele darüber in Weinen aus¬
brachen, so wurden sie beide zur Thür hinausgeworfen. Dann steckte der
Mudir seine Schreibtafel wieder in den Gürtel, und die Diener brachten uns
prächtig duftenden Kaffee." Nach der Arbeit das Vergnügen!

Der Verfasser schließt mit der Bemerkung: „Es giebt viele Husseins,
viele Bauern und sehr viel unbebautes Land in Bosnien. Auch haben dort
viele Bauern hübsche Töchter, aber kein Bauer hat Feld, keiner irgendwelchen
Grundbesitz. Wenn man darum von Unruhen in Bosnien (oder, wie wir
hinzufügen, in der anstoßenden und ähnlich gestellten, ähnlich auch verwal¬
teten Herzegowina) hört, so wolle man den richtigen Maßstab anlegen und
bedenken, daß ähnliche Dinge wie die, welche ich hier erzählte, dort fast alle
Tage vorkommen. Die Folgerungen sind dann leicht zu ziehen", und sie wür¬
den uns veranlassen, es aufrichtig zu bedauern, wenn wir hören sollten, daß
der Aufstand mißlungen und im Sande verlaufen sei, und zu wünschen, daß
bald ein Modus gefunden werde, eine Regierung, die solcher Schande nicht
steuern kann oder will, unter eine wirksame Curatel zu stellen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/228>, abgerufen am 22.07.2024.