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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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nach der Seite hin, wo ich ritt; denn dazu war er zu höflich, und dann war
ich ja auch sein Gastfreund.

Vielleicht hatte ihn auch der Anblick der vier Najahs, welche in diesem
Augenblicke abseits unseres Weges um ein kleines Feuer saßen und ganze
Maiskolben zu ihrem Frühstück bereiteten, zu dieser symbolischen Gefühlsäuße¬
rung veranlaßt. Die Leute waren, als wir uns ihnen näherten, aufgestanden
und grüßten demüthig auf türkische Art, indem sie mit der rechten Hand
Brust, Mund und Stirne berührten. Mahmud Firdus Beg lachte ihnen hä¬
misch entgegen, ließ aber den Gruß unerwidert.

Ich habe mich später erkundigt, auf welche Weise Mahmud zu seinem
Reichthums und zu dem Titel Beg gekommen war, der ja eine Art Adel be¬
deutet. Für beides hatte man in echt türkischer Anschauungsweise nur eine
Erklärung. Der Vater Mahmud's war einst, wie gesagt. Gouverneur von
Bosnien und führte als solcher die Bezeichnung Beg. Er wurde ein reicher
Mann, indem er die Bauern des Landes, soweit sie Christen waren, solange
geschunden und ausgesogen hatte, bis sie nichts mehr besaßen, worauf sie
sich in ihrer Verzweiflung empörten und den Blutsauger ermordeten. Darauf
gingen Titel und Reichthum aus seine beiden Söhne über, und so wurde
Mahmud zum Beg und gelangte in den Besitz der herrlichen Wälder, die sich
auf den Hängen der dinarischen Alpen uns zur Rechten und zur Linken hin¬
zogen, sowie der breiten und fetten Niederung des Thales, durch das wir
hinabritten. Hin und wieder war ein Stückchen dieser Thalsohle roh bearbeitet
gewesen, und zeigten gelbe Stoppeln oder kleine aus den zurückgebliebenen
Wurzeln verspätet hervorgesproßte Pflanzen, daß hier Waizen oder Tabak
gebaut und eingeerntet worden war." --

Es hat in Bosnien mit dem Ackerbau seine eigene Bewandtniß. Der
Grund und Boden gehört niemals dem, der ihn bebaut. Die Begs -- ge¬
wöhnlich Nachkommen der im siebzehnten Jahrhundert zum Islam überge¬
tretenen slavischen Adels-Geschlechter -- haben alles fruchtbare Land durch ein¬
fache Besitznahme in Beschlag genommen, zuweilen auch durch Gewaltthat,
Raub und Mord erworben. Mitunter war das Besitzrecht auch der Preis, den
ihnen der Islam für ihren Uebertritt gewährte. Ein Kataster, ein Grund¬
buch, eine nachweisbare und klar ersichtliche Besitzgrenze gehören in den Ebenen
wie auf den Bergen Bosniens zu den unbekannten Dingen. Der Bauer --
Griechisch-Orthodoxer oder Katholik, immer aber Slave und zwar dem ser¬
bischen Stamme angehörig -- hat eine elende Hütte in einer von den ins
Gebirg hineinlaufenden Mulden, er hat Weib und Kind, aber oft kaum zu
essen. Er spannt, wenn das Frühjahr gekommen ist, seine Ochsen ein und
bearbeitet damit ein beliebiges Stück Land in seiner Nachbarschaft. Das be¬
stellt er mit Getreide oder Tabak und nährt sich und die Seinen bis zur


nach der Seite hin, wo ich ritt; denn dazu war er zu höflich, und dann war
ich ja auch sein Gastfreund.

Vielleicht hatte ihn auch der Anblick der vier Najahs, welche in diesem
Augenblicke abseits unseres Weges um ein kleines Feuer saßen und ganze
Maiskolben zu ihrem Frühstück bereiteten, zu dieser symbolischen Gefühlsäuße¬
rung veranlaßt. Die Leute waren, als wir uns ihnen näherten, aufgestanden
und grüßten demüthig auf türkische Art, indem sie mit der rechten Hand
Brust, Mund und Stirne berührten. Mahmud Firdus Beg lachte ihnen hä¬
misch entgegen, ließ aber den Gruß unerwidert.

Ich habe mich später erkundigt, auf welche Weise Mahmud zu seinem
Reichthums und zu dem Titel Beg gekommen war, der ja eine Art Adel be¬
deutet. Für beides hatte man in echt türkischer Anschauungsweise nur eine
Erklärung. Der Vater Mahmud's war einst, wie gesagt. Gouverneur von
Bosnien und führte als solcher die Bezeichnung Beg. Er wurde ein reicher
Mann, indem er die Bauern des Landes, soweit sie Christen waren, solange
geschunden und ausgesogen hatte, bis sie nichts mehr besaßen, worauf sie
sich in ihrer Verzweiflung empörten und den Blutsauger ermordeten. Darauf
gingen Titel und Reichthum aus seine beiden Söhne über, und so wurde
Mahmud zum Beg und gelangte in den Besitz der herrlichen Wälder, die sich
auf den Hängen der dinarischen Alpen uns zur Rechten und zur Linken hin¬
zogen, sowie der breiten und fetten Niederung des Thales, durch das wir
hinabritten. Hin und wieder war ein Stückchen dieser Thalsohle roh bearbeitet
gewesen, und zeigten gelbe Stoppeln oder kleine aus den zurückgebliebenen
Wurzeln verspätet hervorgesproßte Pflanzen, daß hier Waizen oder Tabak
gebaut und eingeerntet worden war." —

Es hat in Bosnien mit dem Ackerbau seine eigene Bewandtniß. Der
Grund und Boden gehört niemals dem, der ihn bebaut. Die Begs — ge¬
wöhnlich Nachkommen der im siebzehnten Jahrhundert zum Islam überge¬
tretenen slavischen Adels-Geschlechter — haben alles fruchtbare Land durch ein¬
fache Besitznahme in Beschlag genommen, zuweilen auch durch Gewaltthat,
Raub und Mord erworben. Mitunter war das Besitzrecht auch der Preis, den
ihnen der Islam für ihren Uebertritt gewährte. Ein Kataster, ein Grund¬
buch, eine nachweisbare und klar ersichtliche Besitzgrenze gehören in den Ebenen
wie auf den Bergen Bosniens zu den unbekannten Dingen. Der Bauer —
Griechisch-Orthodoxer oder Katholik, immer aber Slave und zwar dem ser¬
bischen Stamme angehörig — hat eine elende Hütte in einer von den ins
Gebirg hineinlaufenden Mulden, er hat Weib und Kind, aber oft kaum zu
essen. Er spannt, wenn das Frühjahr gekommen ist, seine Ochsen ein und
bearbeitet damit ein beliebiges Stück Land in seiner Nachbarschaft. Das be¬
stellt er mit Getreide oder Tabak und nährt sich und die Seinen bis zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/224>, abgerufen am 22.07.2024.