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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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misch von Denkart und Brauch, das hier in Stadt und Land aus den ver-
rotteten Resten venetianischer Ansiedelungen, dem urtümlichen, halbwilden
Wesen morlakischer Berghirten, dem Treiben einer rührigen Fischer- und
Schifferbevölkerung und dem Hereinragen böhmischen Türkenthums zusammen¬
geflossen ist. und "Don Martine von Karakaschitza", das Charakterbild eines
morlakischen Landpfarrers. "Türkischer Tabak", das Portrait eines Schmugg¬
lers der dalmatinischen Berge. "Der Frau Mare Kargotic Gesang" und "Ein
Gerichtstag in der Morlakei" sind, jedes in seiner Art. wahre kleine Kabinetts-
stücke. Ein besonderes Interesse aber gewinnen für uns gegenwärtig durch
den Aufstand in der Herzegowina die beiden Abschnitte des Buches, welche
uns der Verfasser von einem Ausfluge mitgebracht hat, den er in Begleitung
eines türkischen Beg nach dem böhmischen Grenzland Dalmatiens unternahm,
wo genau dieselben Zustände wie in der nahen Herzegowina herrschen, und so
geben wir aus demselben einen ausführlichen Auszug.

Dem Verfasser war vom Schicksale beschieden. eine Zeit lang in Sige,
dem nordöstlich von Spalato und nahe an der türkischen Grenze gelegenen Vor¬
orte der Morlakei. zu leben. Hier machte er dieWekanntschaft Mahmud Fir-
dus Begs. eines Gutsbesitzers im benachbarten Bosnien, der ihm allmäh¬
lich zu einer Art Hausfreund wurde. Derselbe war eine hohe, etwas vor¬
wärts gebeugte Gestalt, von deren Schultern ein langer dunkelrother Mantel
in malerischen Falten bis zur Erde floß. Auf dem von der Stirn bis zum
Scheitel rasirten Kopfe saß das Feß . das hinten eine Fülle blonden Haares
herausgleiten ließ. Dunkle, von scharfgezeichneten Brauen beschattete Augen,
ein kleiner Schnurrbart, eine reich mit Gold gestickte blaue Jacke, ein Paar
Pistolen und ein langes Messer in dem buntseidnen Gürtel, weitfaltige rothe
Beinkleider und nackte Füße in gelbledernen Pantoffeln vollendeten das Bild
des etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes. Er war der Sohn eines Paschas,
der in den vierziger Jahren als Gouverneur von Bosnien bei einer kleinen
Revolution ermordet worden war. Der alte Firdus mochte gut und echt
türkisch gewirthschaftet haben: denn er hinterließ.seinem Mahmud ein Besitz-
thum, groß genug, um von seinem^ Ertrag besser leben und mehr Aufwand
machen zu können / als irgend ein anderer bosnischerWutsbesitzer. Mahmud
schlug aus seinen ausgedehnten Ländereien so viel als möglich heraus: er
lieferteWaumrinde, Harz sunt Eicheln aus iseinen Wäldern, Getreide von
seinen Feldern und Häute vonUeinen'Heerden nach Spalato an einen pfiffigen
Griechen, der natürlich that,^was Menschen können, um ihn zu Übervor¬
theilen. Er hielt sich ein Heer von faulenzenden, in^ Roth und Gold, bis an
die Zähne bewaffneten Dienern und einen Mächtigen ° Marstall, hatte aber
nur eine Frau; denn er war ein aufgeklärter Türke oder wollte wenigstens
für einen solchen gelten. Darum richtete er sich nach dem Grundsatze: "Je


misch von Denkart und Brauch, das hier in Stadt und Land aus den ver-
rotteten Resten venetianischer Ansiedelungen, dem urtümlichen, halbwilden
Wesen morlakischer Berghirten, dem Treiben einer rührigen Fischer- und
Schifferbevölkerung und dem Hereinragen böhmischen Türkenthums zusammen¬
geflossen ist. und „Don Martine von Karakaschitza", das Charakterbild eines
morlakischen Landpfarrers. „Türkischer Tabak", das Portrait eines Schmugg¬
lers der dalmatinischen Berge. „Der Frau Mare Kargotic Gesang" und „Ein
Gerichtstag in der Morlakei" sind, jedes in seiner Art. wahre kleine Kabinetts-
stücke. Ein besonderes Interesse aber gewinnen für uns gegenwärtig durch
den Aufstand in der Herzegowina die beiden Abschnitte des Buches, welche
uns der Verfasser von einem Ausfluge mitgebracht hat, den er in Begleitung
eines türkischen Beg nach dem böhmischen Grenzland Dalmatiens unternahm,
wo genau dieselben Zustände wie in der nahen Herzegowina herrschen, und so
geben wir aus demselben einen ausführlichen Auszug.

Dem Verfasser war vom Schicksale beschieden. eine Zeit lang in Sige,
dem nordöstlich von Spalato und nahe an der türkischen Grenze gelegenen Vor¬
orte der Morlakei. zu leben. Hier machte er dieWekanntschaft Mahmud Fir-
dus Begs. eines Gutsbesitzers im benachbarten Bosnien, der ihm allmäh¬
lich zu einer Art Hausfreund wurde. Derselbe war eine hohe, etwas vor¬
wärts gebeugte Gestalt, von deren Schultern ein langer dunkelrother Mantel
in malerischen Falten bis zur Erde floß. Auf dem von der Stirn bis zum
Scheitel rasirten Kopfe saß das Feß . das hinten eine Fülle blonden Haares
herausgleiten ließ. Dunkle, von scharfgezeichneten Brauen beschattete Augen,
ein kleiner Schnurrbart, eine reich mit Gold gestickte blaue Jacke, ein Paar
Pistolen und ein langes Messer in dem buntseidnen Gürtel, weitfaltige rothe
Beinkleider und nackte Füße in gelbledernen Pantoffeln vollendeten das Bild
des etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes. Er war der Sohn eines Paschas,
der in den vierziger Jahren als Gouverneur von Bosnien bei einer kleinen
Revolution ermordet worden war. Der alte Firdus mochte gut und echt
türkisch gewirthschaftet haben: denn er hinterließ.seinem Mahmud ein Besitz-
thum, groß genug, um von seinem^ Ertrag besser leben und mehr Aufwand
machen zu können / als irgend ein anderer bosnischerWutsbesitzer. Mahmud
schlug aus seinen ausgedehnten Ländereien so viel als möglich heraus: er
lieferteWaumrinde, Harz sunt Eicheln aus iseinen Wäldern, Getreide von
seinen Feldern und Häute vonUeinen'Heerden nach Spalato an einen pfiffigen
Griechen, der natürlich that,^was Menschen können, um ihn zu Übervor¬
theilen. Er hielt sich ein Heer von faulenzenden, in^ Roth und Gold, bis an
die Zähne bewaffneten Dienern und einen Mächtigen ° Marstall, hatte aber
nur eine Frau; denn er war ein aufgeklärter Türke oder wollte wenigstens
für einen solchen gelten. Darum richtete er sich nach dem Grundsatze: „Je


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[0220] misch von Denkart und Brauch, das hier in Stadt und Land aus den ver- rotteten Resten venetianischer Ansiedelungen, dem urtümlichen, halbwilden Wesen morlakischer Berghirten, dem Treiben einer rührigen Fischer- und Schifferbevölkerung und dem Hereinragen böhmischen Türkenthums zusammen¬ geflossen ist. und „Don Martine von Karakaschitza", das Charakterbild eines morlakischen Landpfarrers. „Türkischer Tabak", das Portrait eines Schmugg¬ lers der dalmatinischen Berge. „Der Frau Mare Kargotic Gesang" und „Ein Gerichtstag in der Morlakei" sind, jedes in seiner Art. wahre kleine Kabinetts- stücke. Ein besonderes Interesse aber gewinnen für uns gegenwärtig durch den Aufstand in der Herzegowina die beiden Abschnitte des Buches, welche uns der Verfasser von einem Ausfluge mitgebracht hat, den er in Begleitung eines türkischen Beg nach dem böhmischen Grenzland Dalmatiens unternahm, wo genau dieselben Zustände wie in der nahen Herzegowina herrschen, und so geben wir aus demselben einen ausführlichen Auszug. Dem Verfasser war vom Schicksale beschieden. eine Zeit lang in Sige, dem nordöstlich von Spalato und nahe an der türkischen Grenze gelegenen Vor¬ orte der Morlakei. zu leben. Hier machte er dieWekanntschaft Mahmud Fir- dus Begs. eines Gutsbesitzers im benachbarten Bosnien, der ihm allmäh¬ lich zu einer Art Hausfreund wurde. Derselbe war eine hohe, etwas vor¬ wärts gebeugte Gestalt, von deren Schultern ein langer dunkelrother Mantel in malerischen Falten bis zur Erde floß. Auf dem von der Stirn bis zum Scheitel rasirten Kopfe saß das Feß . das hinten eine Fülle blonden Haares herausgleiten ließ. Dunkle, von scharfgezeichneten Brauen beschattete Augen, ein kleiner Schnurrbart, eine reich mit Gold gestickte blaue Jacke, ein Paar Pistolen und ein langes Messer in dem buntseidnen Gürtel, weitfaltige rothe Beinkleider und nackte Füße in gelbledernen Pantoffeln vollendeten das Bild des etwa fünfundzwanzigjährigen Mannes. Er war der Sohn eines Paschas, der in den vierziger Jahren als Gouverneur von Bosnien bei einer kleinen Revolution ermordet worden war. Der alte Firdus mochte gut und echt türkisch gewirthschaftet haben: denn er hinterließ.seinem Mahmud ein Besitz- thum, groß genug, um von seinem^ Ertrag besser leben und mehr Aufwand machen zu können / als irgend ein anderer bosnischerWutsbesitzer. Mahmud schlug aus seinen ausgedehnten Ländereien so viel als möglich heraus: er lieferteWaumrinde, Harz sunt Eicheln aus iseinen Wäldern, Getreide von seinen Feldern und Häute vonUeinen'Heerden nach Spalato an einen pfiffigen Griechen, der natürlich that,^was Menschen können, um ihn zu Übervor¬ theilen. Er hielt sich ein Heer von faulenzenden, in^ Roth und Gold, bis an die Zähne bewaffneten Dienern und einen Mächtigen ° Marstall, hatte aber nur eine Frau; denn er war ein aufgeklärter Türke oder wollte wenigstens für einen solchen gelten. Darum richtete er sich nach dem Grundsatze: „Je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/220>, abgerufen am 22.07.2024.