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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gewinnt uns hier einen ernsten Sinn, wie dieser Mann ihn gern in die
Form eines scherzenden Spottes kleidete, da wo die äußere Form und Er¬
scheinung einer Sache eben seiner hohen Vorstellung von derselben wenig ent>
sprechend erschien. Religion und Kunst waren ihm jetzt mehr als
je Eins. Ja es ist zu sagen: in seinem Inneren hatte sich die thatsächliche
Vereinigung einer ästhetischen Weltanschauung, wie er sie seiner Zeit und
seinem Berufe dankte, aufs Sicherste wie jener ethischen'Weltbewährung voll¬
zogen, die ihm das Leben selbst als die positive Substanz auch der kleinsten
Existenz aufgedeckt hatte und die der Kunst unseres Jahrhunderts auch erst
den wahren Sinn und vollen Gehalt gegeben hat. Und der inneren Durch¬
führung dieses Processes, der der eigentliche Sinn und Inhalt dieser letzten
Lebensepoche Beethoven's ist, verdankt eben das künstlerische Schaffen dersel¬
ben jenen wahrhaft ätherischen Glanz, seine Bedeutsamkeit weit über die
Grenze einer speciellen Kunst hinaus für alles Wirken und Leben unsere:
Tage. Der Sinn der Neunten Symphonie ist ihrem Erschaffer selbst völlig
zu Leben und That geworden, er kann nicht mehr anders, als in ihrem
Geiste wirken, ihre Substanz ergießt sich tausendfach durch alle Adern seiner
Existenz, und ist's ein Wunder, daß da Früchte sprießen, herrlich, nie ge¬
sehen, unerhört?




Lin Ausflug nach Bosnien.

Unter dem Titel: "Aus halbvergessnem Lande" liegt uns, so.
eben bei Klie und spitzer in Wien erschienen, eine Sammlung von Cultur¬
bildern aus Dalmatien von Theodor Schiff vor, die wir den Freunden der
Ethnographie empfehlen können. Der Verfasser besitzt eine vortreffliche, auf
den Beobachtungen eines mehrjährigen Aufenthalts in jenem halb italienischen,
halb slavischen Küstenlande der Adria beruhende Kenntniß der Natur und der
Sitten Dalmatiens, er weiß gut zu erzählen und lebhaft zu schildern. er hat
einen gesunden Humor, und schreibt, von ein paar Austriacismen abgesehen,
ein achtbares Deutsch. Auch die beigegebnen Illustrationen sind zum Theil
recht hübsch, namentlich die Portraits der alten Zanetta, des Mädchens aus
Sette Castelli und des Morlaken aus Norddalmatien. Das Beste über blei¬
ben die, meist novellettenartigen. bisweilen recht stimmungsvollen Skizzen aus
dem Volksleben dieses wenig bekannten Erdwinkels mit dem seltsamen Ge-


gewinnt uns hier einen ernsten Sinn, wie dieser Mann ihn gern in die
Form eines scherzenden Spottes kleidete, da wo die äußere Form und Er¬
scheinung einer Sache eben seiner hohen Vorstellung von derselben wenig ent>
sprechend erschien. Religion und Kunst waren ihm jetzt mehr als
je Eins. Ja es ist zu sagen: in seinem Inneren hatte sich die thatsächliche
Vereinigung einer ästhetischen Weltanschauung, wie er sie seiner Zeit und
seinem Berufe dankte, aufs Sicherste wie jener ethischen'Weltbewährung voll¬
zogen, die ihm das Leben selbst als die positive Substanz auch der kleinsten
Existenz aufgedeckt hatte und die der Kunst unseres Jahrhunderts auch erst
den wahren Sinn und vollen Gehalt gegeben hat. Und der inneren Durch¬
führung dieses Processes, der der eigentliche Sinn und Inhalt dieser letzten
Lebensepoche Beethoven's ist, verdankt eben das künstlerische Schaffen dersel¬
ben jenen wahrhaft ätherischen Glanz, seine Bedeutsamkeit weit über die
Grenze einer speciellen Kunst hinaus für alles Wirken und Leben unsere:
Tage. Der Sinn der Neunten Symphonie ist ihrem Erschaffer selbst völlig
zu Leben und That geworden, er kann nicht mehr anders, als in ihrem
Geiste wirken, ihre Substanz ergießt sich tausendfach durch alle Adern seiner
Existenz, und ist's ein Wunder, daß da Früchte sprießen, herrlich, nie ge¬
sehen, unerhört?




Lin Ausflug nach Bosnien.

Unter dem Titel: „Aus halbvergessnem Lande" liegt uns, so.
eben bei Klie und spitzer in Wien erschienen, eine Sammlung von Cultur¬
bildern aus Dalmatien von Theodor Schiff vor, die wir den Freunden der
Ethnographie empfehlen können. Der Verfasser besitzt eine vortreffliche, auf
den Beobachtungen eines mehrjährigen Aufenthalts in jenem halb italienischen,
halb slavischen Küstenlande der Adria beruhende Kenntniß der Natur und der
Sitten Dalmatiens, er weiß gut zu erzählen und lebhaft zu schildern. er hat
einen gesunden Humor, und schreibt, von ein paar Austriacismen abgesehen,
ein achtbares Deutsch. Auch die beigegebnen Illustrationen sind zum Theil
recht hübsch, namentlich die Portraits der alten Zanetta, des Mädchens aus
Sette Castelli und des Morlaken aus Norddalmatien. Das Beste über blei¬
ben die, meist novellettenartigen. bisweilen recht stimmungsvollen Skizzen aus
dem Volksleben dieses wenig bekannten Erdwinkels mit dem seltsamen Ge-


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[0219] gewinnt uns hier einen ernsten Sinn, wie dieser Mann ihn gern in die Form eines scherzenden Spottes kleidete, da wo die äußere Form und Er¬ scheinung einer Sache eben seiner hohen Vorstellung von derselben wenig ent> sprechend erschien. Religion und Kunst waren ihm jetzt mehr als je Eins. Ja es ist zu sagen: in seinem Inneren hatte sich die thatsächliche Vereinigung einer ästhetischen Weltanschauung, wie er sie seiner Zeit und seinem Berufe dankte, aufs Sicherste wie jener ethischen'Weltbewährung voll¬ zogen, die ihm das Leben selbst als die positive Substanz auch der kleinsten Existenz aufgedeckt hatte und die der Kunst unseres Jahrhunderts auch erst den wahren Sinn und vollen Gehalt gegeben hat. Und der inneren Durch¬ führung dieses Processes, der der eigentliche Sinn und Inhalt dieser letzten Lebensepoche Beethoven's ist, verdankt eben das künstlerische Schaffen dersel¬ ben jenen wahrhaft ätherischen Glanz, seine Bedeutsamkeit weit über die Grenze einer speciellen Kunst hinaus für alles Wirken und Leben unsere: Tage. Der Sinn der Neunten Symphonie ist ihrem Erschaffer selbst völlig zu Leben und That geworden, er kann nicht mehr anders, als in ihrem Geiste wirken, ihre Substanz ergießt sich tausendfach durch alle Adern seiner Existenz, und ist's ein Wunder, daß da Früchte sprießen, herrlich, nie ge¬ sehen, unerhört? Lin Ausflug nach Bosnien. Unter dem Titel: „Aus halbvergessnem Lande" liegt uns, so. eben bei Klie und spitzer in Wien erschienen, eine Sammlung von Cultur¬ bildern aus Dalmatien von Theodor Schiff vor, die wir den Freunden der Ethnographie empfehlen können. Der Verfasser besitzt eine vortreffliche, auf den Beobachtungen eines mehrjährigen Aufenthalts in jenem halb italienischen, halb slavischen Küstenlande der Adria beruhende Kenntniß der Natur und der Sitten Dalmatiens, er weiß gut zu erzählen und lebhaft zu schildern. er hat einen gesunden Humor, und schreibt, von ein paar Austriacismen abgesehen, ein achtbares Deutsch. Auch die beigegebnen Illustrationen sind zum Theil recht hübsch, namentlich die Portraits der alten Zanetta, des Mädchens aus Sette Castelli und des Morlaken aus Norddalmatien. Das Beste über blei¬ ben die, meist novellettenartigen. bisweilen recht stimmungsvollen Skizzen aus dem Volksleben dieses wenig bekannten Erdwinkels mit dem seltsamen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/219>, abgerufen am 22.07.2024.