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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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alt sein -- Warte nur noch 20 Jahre, du wirst dann auch nicht mehr so
schnell schreiben." Und wahrlich wenn wir uns nicht verwundern oürfen, daß
Beethoven ebenfalls schon jetzt in der That "nicht mehr so schnell" schrieb, so
haben wir bei solcher Lage der Sache erst recht den hohen Grad der künst¬
lerischen Treue zu verehren, mit dem fortan fast mehr als jeder wirklich er¬
griffenen Aufgabe obgelegen und kaum zu dem Entschluß gekommen ward,
ein Werk als reif und vollendet auch wirklich von sich abzustoßen. Wir wer¬
den dies in allen folgenden Briefen erkennen, und ob er gleich weiß und be¬
kennt, daß oft durch ihn selbst die "Verzögerungen" entstehen, die ihn dann
in allerhand Bedrängnis) versetzen, so kann ihn doch nichts bestimmen eine
Sache eher hinzugeben als bis sie so ist, wie er sie seinem besten Freunde
nicht besser geben könnte.

Also nichts weniger als "Reflexion" und "Arithmetik" wie Freund
Schindler gemeint, beherrscht den Künstler in diesen letzten Lebensjahren-
Vielmehr ist es erst recht die höchste Auffassung von der Pflicht und dem
Werthe des künstlerischen Schaffens und das Bewußtsein, daß nur, wo dasselbe
in wirklicher Vollendung strahlt, auch den "andern Sterblichen" Erquickung
und Erhebung ihrer selbst gereicht wird. Ein wahrhaft ungeheurer Ernst er¬
füllt sein Wesen und läßt ihn trotz alles oft lebhaftesten Wünschens und
Wollens ferner nicht zum Ergreifen falscher, nicht zum vorzeitigen Abschluß der
einmal ergriffenen rechten Aufgaben kommen. Nur "was der Geist ihm ein¬
gibt" will er vollenden und sei es mit persönlichen Entbehrungen und Ver¬
zicht auf das äußere Glück. Und dem entspricht der Geist, der ihn jetzt er¬
füllt und der uns ebenso als ein unermeßlicher Weitblick über die Gefilde des
Daseins wie als ein unerschöpftcr Born der duldenden Güte und des schmerz¬
lichen Mitantheils an jedem Leid der Existenz erscheinen muß. Wir werden
auch äußerlich den Beweis für solchen Zustund seines Innern bald und nicht
am wenigsten unverkennbar auf seinem Tootenbette vernehmen.

Wie hat man also nur begehren können, daß dieser vielgeprüfte und in
Wesen und Zweck seiner Kunst so ernst versunkene Mann und Meister eben
auch nur gleich den Kunsthandwerkern die Menge der "Verbindlichkeiten" av-
solviren und je nach Verlangen Messe, Oper, Oratorium, Sonaten u. s. w-
rasch hätte schreiben sollen, um aller Noth des Tages ledig zu sein?

So wie durch jede neue Berührung mit der Welt des leidigsten Egois¬
mus seine Vorstellung einerseits von der Noth dieses Daseins, anderseits vom
Werth des wahren Guten und des wahren Schönen sich nur erhöhen konnte,
so mußte auch sein eigenes Schaffen stets mehr und sogar einzig das Bild
dieser höheren Welt werden, in der der Mensch erst zum richtigen Begriffe
und der wahren Erscheinung seiner selbst zugleich gelangt. Das "Duro in
Christo und Apollo", womit der obenberührte Brief an Hauschka schließt,


alt sein — Warte nur noch 20 Jahre, du wirst dann auch nicht mehr so
schnell schreiben." Und wahrlich wenn wir uns nicht verwundern oürfen, daß
Beethoven ebenfalls schon jetzt in der That „nicht mehr so schnell" schrieb, so
haben wir bei solcher Lage der Sache erst recht den hohen Grad der künst¬
lerischen Treue zu verehren, mit dem fortan fast mehr als jeder wirklich er¬
griffenen Aufgabe obgelegen und kaum zu dem Entschluß gekommen ward,
ein Werk als reif und vollendet auch wirklich von sich abzustoßen. Wir wer¬
den dies in allen folgenden Briefen erkennen, und ob er gleich weiß und be¬
kennt, daß oft durch ihn selbst die „Verzögerungen" entstehen, die ihn dann
in allerhand Bedrängnis) versetzen, so kann ihn doch nichts bestimmen eine
Sache eher hinzugeben als bis sie so ist, wie er sie seinem besten Freunde
nicht besser geben könnte.

Also nichts weniger als „Reflexion" und „Arithmetik" wie Freund
Schindler gemeint, beherrscht den Künstler in diesen letzten Lebensjahren-
Vielmehr ist es erst recht die höchste Auffassung von der Pflicht und dem
Werthe des künstlerischen Schaffens und das Bewußtsein, daß nur, wo dasselbe
in wirklicher Vollendung strahlt, auch den „andern Sterblichen" Erquickung
und Erhebung ihrer selbst gereicht wird. Ein wahrhaft ungeheurer Ernst er¬
füllt sein Wesen und läßt ihn trotz alles oft lebhaftesten Wünschens und
Wollens ferner nicht zum Ergreifen falscher, nicht zum vorzeitigen Abschluß der
einmal ergriffenen rechten Aufgaben kommen. Nur „was der Geist ihm ein¬
gibt" will er vollenden und sei es mit persönlichen Entbehrungen und Ver¬
zicht auf das äußere Glück. Und dem entspricht der Geist, der ihn jetzt er¬
füllt und der uns ebenso als ein unermeßlicher Weitblick über die Gefilde des
Daseins wie als ein unerschöpftcr Born der duldenden Güte und des schmerz¬
lichen Mitantheils an jedem Leid der Existenz erscheinen muß. Wir werden
auch äußerlich den Beweis für solchen Zustund seines Innern bald und nicht
am wenigsten unverkennbar auf seinem Tootenbette vernehmen.

Wie hat man also nur begehren können, daß dieser vielgeprüfte und in
Wesen und Zweck seiner Kunst so ernst versunkene Mann und Meister eben
auch nur gleich den Kunsthandwerkern die Menge der „Verbindlichkeiten" av-
solviren und je nach Verlangen Messe, Oper, Oratorium, Sonaten u. s. w-
rasch hätte schreiben sollen, um aller Noth des Tages ledig zu sein?

So wie durch jede neue Berührung mit der Welt des leidigsten Egois¬
mus seine Vorstellung einerseits von der Noth dieses Daseins, anderseits vom
Werth des wahren Guten und des wahren Schönen sich nur erhöhen konnte,
so mußte auch sein eigenes Schaffen stets mehr und sogar einzig das Bild
dieser höheren Welt werden, in der der Mensch erst zum richtigen Begriffe
und der wahren Erscheinung seiner selbst zugleich gelangt. Das „Duro in
Christo und Apollo", womit der obenberührte Brief an Hauschka schließt,


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[0218] alt sein — Warte nur noch 20 Jahre, du wirst dann auch nicht mehr so schnell schreiben." Und wahrlich wenn wir uns nicht verwundern oürfen, daß Beethoven ebenfalls schon jetzt in der That „nicht mehr so schnell" schrieb, so haben wir bei solcher Lage der Sache erst recht den hohen Grad der künst¬ lerischen Treue zu verehren, mit dem fortan fast mehr als jeder wirklich er¬ griffenen Aufgabe obgelegen und kaum zu dem Entschluß gekommen ward, ein Werk als reif und vollendet auch wirklich von sich abzustoßen. Wir wer¬ den dies in allen folgenden Briefen erkennen, und ob er gleich weiß und be¬ kennt, daß oft durch ihn selbst die „Verzögerungen" entstehen, die ihn dann in allerhand Bedrängnis) versetzen, so kann ihn doch nichts bestimmen eine Sache eher hinzugeben als bis sie so ist, wie er sie seinem besten Freunde nicht besser geben könnte. Also nichts weniger als „Reflexion" und „Arithmetik" wie Freund Schindler gemeint, beherrscht den Künstler in diesen letzten Lebensjahren- Vielmehr ist es erst recht die höchste Auffassung von der Pflicht und dem Werthe des künstlerischen Schaffens und das Bewußtsein, daß nur, wo dasselbe in wirklicher Vollendung strahlt, auch den „andern Sterblichen" Erquickung und Erhebung ihrer selbst gereicht wird. Ein wahrhaft ungeheurer Ernst er¬ füllt sein Wesen und läßt ihn trotz alles oft lebhaftesten Wünschens und Wollens ferner nicht zum Ergreifen falscher, nicht zum vorzeitigen Abschluß der einmal ergriffenen rechten Aufgaben kommen. Nur „was der Geist ihm ein¬ gibt" will er vollenden und sei es mit persönlichen Entbehrungen und Ver¬ zicht auf das äußere Glück. Und dem entspricht der Geist, der ihn jetzt er¬ füllt und der uns ebenso als ein unermeßlicher Weitblick über die Gefilde des Daseins wie als ein unerschöpftcr Born der duldenden Güte und des schmerz¬ lichen Mitantheils an jedem Leid der Existenz erscheinen muß. Wir werden auch äußerlich den Beweis für solchen Zustund seines Innern bald und nicht am wenigsten unverkennbar auf seinem Tootenbette vernehmen. Wie hat man also nur begehren können, daß dieser vielgeprüfte und in Wesen und Zweck seiner Kunst so ernst versunkene Mann und Meister eben auch nur gleich den Kunsthandwerkern die Menge der „Verbindlichkeiten" av- solviren und je nach Verlangen Messe, Oper, Oratorium, Sonaten u. s. w- rasch hätte schreiben sollen, um aller Noth des Tages ledig zu sein? So wie durch jede neue Berührung mit der Welt des leidigsten Egois¬ mus seine Vorstellung einerseits von der Noth dieses Daseins, anderseits vom Werth des wahren Guten und des wahren Schönen sich nur erhöhen konnte, so mußte auch sein eigenes Schaffen stets mehr und sogar einzig das Bild dieser höheren Welt werden, in der der Mensch erst zum richtigen Begriffe und der wahren Erscheinung seiner selbst zugleich gelangt. Das „Duro in Christo und Apollo", womit der obenberührte Brief an Hauschka schließt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/218>, abgerufen am 22.07.2024.