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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Empfindung eines All und Höheren in die höchste Empfindung des "Wirkens
für Andere" getränkt!

Um dieses Wirkens für Andere willen aber muß der Mensch sich auch
zuweilen "nach unten senken". A. Streicher hatte ferner den Vorschlag ge¬
macht, die große Messe für Chor mit Clavier zu arrangiren und sie den Ge¬
sangvereinen um 50 Duc. anzubieten. Ein solcher Vorschlag vom 17. Sept.
1824 an den Gesangverein von Zürich liegt vor. "Die große Messe des
Herrn L. van Beethoven ist nach einstimmigem Ausspruch aller Kenner die
merkwürdigste religiöse Composttion, welche seit dem Messias von Händel
erschienen, und zwar ebensowohl wegen Neuheit der Bearbeitung, ihrer har¬
monischen und melodischen Originalität als "was wohl das Wichtigste ist,
wegen dem frommen, Gott ergebenen Sinn, den jede Note derselben ausdrückt,"
so heißt es hier, und Beethoven selbst fügt dazu jenes Wort über seine "Haupt¬
absicht" mit diesem Werke und daß er einer solchen Verbreitung desselben
darum gern nachgebe, weil diese Vereine bei öffentlichen, besonders aber
"Gottesdienstlichen Feierlichkeiten" auf die Menge wirken könnten! Alles weist
aus zunehmende Richtung "nach oben". Ja unter Conversationen dieser
Herbstzeit über den Klavierauszug dieser Messe ist auch von einer neuen die Rede.
Denn Karl schreibt auf: "Länger dürfte sie nicht sein als die Voglersche."
Sollte der Plan der Messe für den Kaiser Franz vom Jahr 1823 wieder
aufgenommen sein? Es schien der inneren, wie der äußeren Lage des Meisters
immer noch besonders zu entsprechen. Er wünscht daher die fünfstimmige Messe
von Bach und ebenso schreibt er selbst dort oben auf: "Von Diabelli Offer-
torium jubilate, vev oirmis terra, Lalve i-sAma" u. s. w.

An dem gleichen 17. Sept. 1824 also meldet er Schott, daß er uner¬
klärlicher Weise den Brief vom 19. Aug. gar nicht erhalten habe. Wir hören
aber von ihm selbst, daß damals sein "Großsiegelbewahrer" niemand Anderer
als -- Junker Tobias Haslinger war, und ebenfalls er selbst sagt später:
"Mir ward abgerathen von Jemanden hier, welchen Sie schwerlich vermuthen
(auch Verleger)" und nennt dann später wirklich den Haslinger. Jetzt aber
heißt es, Ende des Monats werde er sich nach Wien zurück begeben und dann
sogleich die beiden zugesagten Werke besorgen. Auch das Quartett werde
sicher bis Hälfte October erfolgen. Dabei äußert er eben in der uns jetzt
nur um so näher berührenden Weise: Gar zu sehr überhäuft und eine schwache
Gesundheit müsse man schon etwas Geduld mit ihm haben. Doch habe es
sich hier in Baden mit seiner Gesundheit gebessert. Apollo und die Musen
würden ihn wohl noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch
gar zu viel sei er ihnen schuldig und müsse er hinterlassen, was der Geist
ihm eingebe und heiße vollenden. Sei es ihm doch als habe er kaum
einige Noten geschrieben! Und zum Schluß: "Ich wünsche Ihnen allen guten


Empfindung eines All und Höheren in die höchste Empfindung des „Wirkens
für Andere" getränkt!

Um dieses Wirkens für Andere willen aber muß der Mensch sich auch
zuweilen „nach unten senken". A. Streicher hatte ferner den Vorschlag ge¬
macht, die große Messe für Chor mit Clavier zu arrangiren und sie den Ge¬
sangvereinen um 50 Duc. anzubieten. Ein solcher Vorschlag vom 17. Sept.
1824 an den Gesangverein von Zürich liegt vor. „Die große Messe des
Herrn L. van Beethoven ist nach einstimmigem Ausspruch aller Kenner die
merkwürdigste religiöse Composttion, welche seit dem Messias von Händel
erschienen, und zwar ebensowohl wegen Neuheit der Bearbeitung, ihrer har¬
monischen und melodischen Originalität als „was wohl das Wichtigste ist,
wegen dem frommen, Gott ergebenen Sinn, den jede Note derselben ausdrückt,"
so heißt es hier, und Beethoven selbst fügt dazu jenes Wort über seine „Haupt¬
absicht" mit diesem Werke und daß er einer solchen Verbreitung desselben
darum gern nachgebe, weil diese Vereine bei öffentlichen, besonders aber
„Gottesdienstlichen Feierlichkeiten" auf die Menge wirken könnten! Alles weist
aus zunehmende Richtung „nach oben". Ja unter Conversationen dieser
Herbstzeit über den Klavierauszug dieser Messe ist auch von einer neuen die Rede.
Denn Karl schreibt auf: „Länger dürfte sie nicht sein als die Voglersche."
Sollte der Plan der Messe für den Kaiser Franz vom Jahr 1823 wieder
aufgenommen sein? Es schien der inneren, wie der äußeren Lage des Meisters
immer noch besonders zu entsprechen. Er wünscht daher die fünfstimmige Messe
von Bach und ebenso schreibt er selbst dort oben auf: „Von Diabelli Offer-
torium jubilate, vev oirmis terra, Lalve i-sAma" u. s. w.

An dem gleichen 17. Sept. 1824 also meldet er Schott, daß er uner¬
klärlicher Weise den Brief vom 19. Aug. gar nicht erhalten habe. Wir hören
aber von ihm selbst, daß damals sein „Großsiegelbewahrer" niemand Anderer
als — Junker Tobias Haslinger war, und ebenfalls er selbst sagt später:
„Mir ward abgerathen von Jemanden hier, welchen Sie schwerlich vermuthen
(auch Verleger)" und nennt dann später wirklich den Haslinger. Jetzt aber
heißt es, Ende des Monats werde er sich nach Wien zurück begeben und dann
sogleich die beiden zugesagten Werke besorgen. Auch das Quartett werde
sicher bis Hälfte October erfolgen. Dabei äußert er eben in der uns jetzt
nur um so näher berührenden Weise: Gar zu sehr überhäuft und eine schwache
Gesundheit müsse man schon etwas Geduld mit ihm haben. Doch habe es
sich hier in Baden mit seiner Gesundheit gebessert. Apollo und die Musen
würden ihn wohl noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch
gar zu viel sei er ihnen schuldig und müsse er hinterlassen, was der Geist
ihm eingebe und heiße vollenden. Sei es ihm doch als habe er kaum
einige Noten geschrieben! Und zum Schluß: „Ich wünsche Ihnen allen guten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/214>, abgerufen am 22.07.2024.