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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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müsse, sei, daß bis jetzt alle ihre musikalischen Talente im Ausland außeror¬
dentlich gefallen: "wodurch wenigstens unser relativer Werth außer Zweifel
gesetzt wird." Schließlich heißt es: "Die größte Besorgniß flößt der Umstand
ein, daß überhaupt der stille ruhige Genuß der Kunst, der öftere Zusammen¬
tritt der Künstler und bedeutenden Dilettanten um Musik zu machen immer
mehr in Abnahme und Verfall geräth. Die Quartettunterhaltungen
haben fast ganz aufgehört, selbst die von Schuppanzi gh gegebenen ließen
am Ende kalt, woran wohl zum Theil auch der Umstand Schuld trug, daß
neu einstudirte Werke aus Mangel an Proben schlecht gingen."

Und solchen Klagen fecundirt die A. M. Z. ebendamals mit den Worten :
"Seit Jahr und Tag ist kaum ein bedeutend interessantes Musikwerk er¬
schienen, nichts als Rossinische Opern im Clavierauszug.....Alles liegt
brach. Wohinaus?"

Wie anders klangen da die Nachrichten, die vom Fürsten Ga litzin in
Petersburg einliefen, der im Herbst 1822 bei Beethoven drei Quartette bestellt
hatte! Fürst Radziwill "auch ein Bewunderer Beethoven's", sei von Berlin
eingetroffen und habe das Vergnügen genossen bei der ersten Aufführung der
Missa solennis gegenwärtig zu sein. Am 16. Juni 1724 bittet er dann drin¬
gend um Abschrift von Beethoven's neuesten Werken als Symphonie, Ouver¬
türen :c.: "Fürstens Erkenntlichkeit werde extreme sein." Alle Monarchen
sollten thun, was Ludwig XVIII. gethan habe, der Beethoven zu Ehren eigens
eine große goldene Medaille hatte schlagen lassen: allein in Se. Petersburg
herrschte auch der Rossini'sche Charlatanismus. Er und Radziwill spielten
"ewig" Beethoven'sche Compositionen. Wenn immer der Meister in einer
Geldnoth sei, so möge er sich unverzüglich an ihn wenden, er werde sich glück¬
lich schätzen ihm nützlich zu sein.

Am 28. Juli 1824, nachdem der Bericht über die Aufführung der Neunten
Symphonie eingetroffen war, schreibt er, der Undank der Hauptstadt Wien
empöre ihn, Beethoven solle nur reisen und er werde sich mehr verdienen.
Seine Ungeduld wegen der Quartette sei unbeschreiblich. Die Kosten für
das von Beethoven Erbetene möge dieser von Stieglitz und Comp. "in jeder
beliebigen Summe" entnehmen.

"Fürstlicher" konnte kaum geredet werden, und Beethoven setzt sich denn
auch jetzt sogleich in volle Bereitschaft, solche schöne Wünsche zu erfüllen.
War ihm doch selbst diese "mehr eintragende" Arbeit zugleich "gelegener";
das heißt sie entsprach mehr seinem künstlerischen Gefühl als vor allem die
Ciaviermusik, in der doch ebenfalls dringendste Bestellung vorlag, nämlich
vierhändige Sonaten für den Verleger Dtabelli in Wien. Schindler schreibt
schon in der Zeit der Correctur der Sonate von Op. 111 und der Variationen
Op- 120 auf: "Es ist doch Salade. daß Ihr hoher Genius in Claviersachen


müsse, sei, daß bis jetzt alle ihre musikalischen Talente im Ausland außeror¬
dentlich gefallen: „wodurch wenigstens unser relativer Werth außer Zweifel
gesetzt wird." Schließlich heißt es: „Die größte Besorgniß flößt der Umstand
ein, daß überhaupt der stille ruhige Genuß der Kunst, der öftere Zusammen¬
tritt der Künstler und bedeutenden Dilettanten um Musik zu machen immer
mehr in Abnahme und Verfall geräth. Die Quartettunterhaltungen
haben fast ganz aufgehört, selbst die von Schuppanzi gh gegebenen ließen
am Ende kalt, woran wohl zum Theil auch der Umstand Schuld trug, daß
neu einstudirte Werke aus Mangel an Proben schlecht gingen."

Und solchen Klagen fecundirt die A. M. Z. ebendamals mit den Worten :
„Seit Jahr und Tag ist kaum ein bedeutend interessantes Musikwerk er¬
schienen, nichts als Rossinische Opern im Clavierauszug.....Alles liegt
brach. Wohinaus?"

Wie anders klangen da die Nachrichten, die vom Fürsten Ga litzin in
Petersburg einliefen, der im Herbst 1822 bei Beethoven drei Quartette bestellt
hatte! Fürst Radziwill „auch ein Bewunderer Beethoven's", sei von Berlin
eingetroffen und habe das Vergnügen genossen bei der ersten Aufführung der
Missa solennis gegenwärtig zu sein. Am 16. Juni 1724 bittet er dann drin¬
gend um Abschrift von Beethoven's neuesten Werken als Symphonie, Ouver¬
türen :c.: „Fürstens Erkenntlichkeit werde extreme sein." Alle Monarchen
sollten thun, was Ludwig XVIII. gethan habe, der Beethoven zu Ehren eigens
eine große goldene Medaille hatte schlagen lassen: allein in Se. Petersburg
herrschte auch der Rossini'sche Charlatanismus. Er und Radziwill spielten
„ewig" Beethoven'sche Compositionen. Wenn immer der Meister in einer
Geldnoth sei, so möge er sich unverzüglich an ihn wenden, er werde sich glück¬
lich schätzen ihm nützlich zu sein.

Am 28. Juli 1824, nachdem der Bericht über die Aufführung der Neunten
Symphonie eingetroffen war, schreibt er, der Undank der Hauptstadt Wien
empöre ihn, Beethoven solle nur reisen und er werde sich mehr verdienen.
Seine Ungeduld wegen der Quartette sei unbeschreiblich. Die Kosten für
das von Beethoven Erbetene möge dieser von Stieglitz und Comp. „in jeder
beliebigen Summe" entnehmen.

„Fürstlicher" konnte kaum geredet werden, und Beethoven setzt sich denn
auch jetzt sogleich in volle Bereitschaft, solche schöne Wünsche zu erfüllen.
War ihm doch selbst diese „mehr eintragende" Arbeit zugleich „gelegener";
das heißt sie entsprach mehr seinem künstlerischen Gefühl als vor allem die
Ciaviermusik, in der doch ebenfalls dringendste Bestellung vorlag, nämlich
vierhändige Sonaten für den Verleger Dtabelli in Wien. Schindler schreibt
schon in der Zeit der Correctur der Sonate von Op. 111 und der Variationen
Op- 120 auf: „Es ist doch Salade. daß Ihr hoher Genius in Claviersachen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/207>, abgerufen am 22.07.2024.