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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Aus Aeethoven's letzter Schaffenszeit.
Von Dr. Ludwig Rost.
(Das erste der Letzten Quartette.)
(1824.)

Am 17. September 1824 schrieb Beethoven an Schott in Mainz, der
in dieser letzten Zeit sein Hauptverleger ward: "Apollo und die Musen werden
mich noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch so vieles bin
ich ihnen schuldig und muß ich vor meinem Abgang in die Elysäischen Felder
hinterlassen, was mir der Geist eingiebt und vollenden heißt. Ist es mir doch
als hätte ich kaum einige Noten geschrieben!"

Die Geister waren nach der wenig gelungenen ersten Aufführung der
kurz zuvor geschaffenen Neunten Symphonie aufs neue gesammelt zu ernste¬
sten Thun und zu weiterem Schaffen frischer Muth gefaßt. Freilich von den
allumfassenden und recht eigentlich öffentlichen Leistungen seiner Kraft, wie
Oper und Oratorium, ist vorerst bei ihm selbst nicht mehr recht Rede. Er
saßt im Frühling des nächsten Jahres die jüngsten Erfahrungen mit der
Borführung seiner Werke und den Charakter der Kunstzustände der Kaiser¬
stadt überhaupt in dem Worte gegen L, Rellstab zusammen: "Seit die
Italiener hier so festen Fuß gefaßt haben, ist das Beste verdrängt. Das
Ballet ist dem Adel die Hauptsache vom Theater. Von Kunstsinn muß man
nicht sprechen, sie haben nur Sinn für Tänzerinnen, Die guten Tage haben
wir hier gehabt. Aber darnach frage ich nicht, ich will nur noch schreiben,
was mich selbst freut."

Das Schlimme dabei war: das so wirklich Vollendete jener Italiener,
unter denen außer David, Lablache und der Fodor damals noch Rubini
glänzte, hatte den Geschmack des Publikums nur verwöhnt, statt durch edlen
Wettstreit auch der einheimischen Kunst neu aufzuhelfen. Man muß die Ar¬
beite über diese Dinge hören, um zu begreifen, daß Beethoven sich vor allem
nicht mehr entschließen konnte, eine deutsche Oper zu schreiben, ja wie sein
Fam^us und erster Biograph A. Spindler sagt, manch hartes Wort über


Grenzboten IV- 1875, 26
Aus Aeethoven's letzter Schaffenszeit.
Von Dr. Ludwig Rost.
(Das erste der Letzten Quartette.)
(1824.)

Am 17. September 1824 schrieb Beethoven an Schott in Mainz, der
in dieser letzten Zeit sein Hauptverleger ward: „Apollo und die Musen werden
mich noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch so vieles bin
ich ihnen schuldig und muß ich vor meinem Abgang in die Elysäischen Felder
hinterlassen, was mir der Geist eingiebt und vollenden heißt. Ist es mir doch
als hätte ich kaum einige Noten geschrieben!"

Die Geister waren nach der wenig gelungenen ersten Aufführung der
kurz zuvor geschaffenen Neunten Symphonie aufs neue gesammelt zu ernste¬
sten Thun und zu weiterem Schaffen frischer Muth gefaßt. Freilich von den
allumfassenden und recht eigentlich öffentlichen Leistungen seiner Kraft, wie
Oper und Oratorium, ist vorerst bei ihm selbst nicht mehr recht Rede. Er
saßt im Frühling des nächsten Jahres die jüngsten Erfahrungen mit der
Borführung seiner Werke und den Charakter der Kunstzustände der Kaiser¬
stadt überhaupt in dem Worte gegen L, Rellstab zusammen: „Seit die
Italiener hier so festen Fuß gefaßt haben, ist das Beste verdrängt. Das
Ballet ist dem Adel die Hauptsache vom Theater. Von Kunstsinn muß man
nicht sprechen, sie haben nur Sinn für Tänzerinnen, Die guten Tage haben
wir hier gehabt. Aber darnach frage ich nicht, ich will nur noch schreiben,
was mich selbst freut."

Das Schlimme dabei war: das so wirklich Vollendete jener Italiener,
unter denen außer David, Lablache und der Fodor damals noch Rubini
glänzte, hatte den Geschmack des Publikums nur verwöhnt, statt durch edlen
Wettstreit auch der einheimischen Kunst neu aufzuhelfen. Man muß die Ar¬
beite über diese Dinge hören, um zu begreifen, daß Beethoven sich vor allem
nicht mehr entschließen konnte, eine deutsche Oper zu schreiben, ja wie sein
Fam^us und erster Biograph A. Spindler sagt, manch hartes Wort über


Grenzboten IV- 1875, 26
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[0205] Aus Aeethoven's letzter Schaffenszeit. Von Dr. Ludwig Rost. (Das erste der Letzten Quartette.) (1824.) Am 17. September 1824 schrieb Beethoven an Schott in Mainz, der in dieser letzten Zeit sein Hauptverleger ward: „Apollo und die Musen werden mich noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch so vieles bin ich ihnen schuldig und muß ich vor meinem Abgang in die Elysäischen Felder hinterlassen, was mir der Geist eingiebt und vollenden heißt. Ist es mir doch als hätte ich kaum einige Noten geschrieben!" Die Geister waren nach der wenig gelungenen ersten Aufführung der kurz zuvor geschaffenen Neunten Symphonie aufs neue gesammelt zu ernste¬ sten Thun und zu weiterem Schaffen frischer Muth gefaßt. Freilich von den allumfassenden und recht eigentlich öffentlichen Leistungen seiner Kraft, wie Oper und Oratorium, ist vorerst bei ihm selbst nicht mehr recht Rede. Er saßt im Frühling des nächsten Jahres die jüngsten Erfahrungen mit der Borführung seiner Werke und den Charakter der Kunstzustände der Kaiser¬ stadt überhaupt in dem Worte gegen L, Rellstab zusammen: „Seit die Italiener hier so festen Fuß gefaßt haben, ist das Beste verdrängt. Das Ballet ist dem Adel die Hauptsache vom Theater. Von Kunstsinn muß man nicht sprechen, sie haben nur Sinn für Tänzerinnen, Die guten Tage haben wir hier gehabt. Aber darnach frage ich nicht, ich will nur noch schreiben, was mich selbst freut." Das Schlimme dabei war: das so wirklich Vollendete jener Italiener, unter denen außer David, Lablache und der Fodor damals noch Rubini glänzte, hatte den Geschmack des Publikums nur verwöhnt, statt durch edlen Wettstreit auch der einheimischen Kunst neu aufzuhelfen. Man muß die Ar¬ beite über diese Dinge hören, um zu begreifen, daß Beethoven sich vor allem nicht mehr entschließen konnte, eine deutsche Oper zu schreiben, ja wie sein Fam^us und erster Biograph A. Spindler sagt, manch hartes Wort über Grenzboten IV- 1875, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/205>, abgerufen am 22.07.2024.