Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war", ohne Zweifel Ulfilas selbst als Sendbote jenes Fürsten mit einem
offenen Schreiben ein, das gegen Ueberlassung von Wohnsitzen nebst Vieh und
Getreide in Thracien immerwährenden Frieden anbot. Zugleich überreichte
er einen vertraulichen Privatbrief, in dem Fritigern den Kaiser bat mit
Heeresmacht scheinbar feindlich heranzurücken. damit es um so sicherer gelinge
das wilde Volk zur Achtung des Vertrags zu bringen. Valens konnte sich
nicht sofort zur Gewährung des Geforderten entschließen; da ihm aber ein so
ehrwürdiger Ueberbringer der Vorschläge für die Aufrichtigkeit derselben bürgte,
zeigte er sich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Er stellte zwar sein Heer
bei Adrianopel in Schlachtordnung auf, aber schickte auch den Nichomer, den
Befehlshaber der römischen Garde, als Bürgen ab, daß Fritigern des passiven
Verhaltens der Römer sicher sein könne, wenn er sein Volk für den Frieden
gewinnen wolle. Schon war jener unterwegs, als der römische Vortrab vor¬
eilig angriff. Da erschienen auch wie ein Blitz die gothischen Reiter und
hieben im ersten Angriff Alles vor sich nieder. Die Blutarbeit begann auf
der ganzen Linie und endete mit einer furchtbaren Niederlage der Römer. Der
verwundete Valens wurde zwar in ein Bauernhaus gerettet, aber von ver¬
folgenden Gothen daselbst verbrannt. Der Strom der Sieger ergoß sich nun
bis vor Constantinopel, ohne daß man hier etwas unternahm. Aber alles
platte Land bis zum adriatischen und ägäischen Meere wurde entsetzlich aus-
geplündert und verwüstet. Da bekleidete Gratian in edler Selbstüberwindung
seinen Feind Theodosius, einen Mann von hervorragender Umsicht und That¬
kraft, mit dem Purpur und überließ ihm den Osten. Dieser wußte über die
in einzelne Raubschaaren aufgelöste Gothen einzelne Vortheile zu gewinnen,
bis ihn eine längere Krankheit in Thefsalonien darniederwarf. Während der¬
selben gelang es Fritigern die zerstreuten Schwärme zu sammeln und da¬
durch beschwor er wieder die größte Gefahr über das Reich herauf. Theodo¬
sius wandte sich daher an Gratian um Hülfe, aber noch ehe derselbe erschien,
gab ein unerwartetes Ereignis den Dingen eine andere Wendung.

Athanarich, der sich nicht länger in den Karpathen zu halten vermochte,
bewirkte den Uebergang seines Volkes über die Donau. Er vergaß dabei sein
früheres Vorgeben auf Geheiß seines Vaters römischen Boden nicht betreten
zu dürfen. Aber freilich gedachte er jetzt nicht als Bittender, sondern als
Eroberer zu erscheinen. Die Nachricht von der Zerrüttung des römischen
Reichs und der Verwirrung unter dem eingewanderten Volk des Fritigern hatte
in ihm die Hoffnung erweckt des alten Nebenbuhlers Ansehen ganz vernichten
und die Zerstreuter wieder unter seinen Oberbefehl vereinigen zu können.
Weniger wohl um die römischen Grenzwachen zu täuschen, als um die
Christen unter den Gothen anzulocken, bediente er sich eines Gaukelspiels, in¬
dem er sich und die Seinen als Christen ausgab und einige als Bischöfe und


war", ohne Zweifel Ulfilas selbst als Sendbote jenes Fürsten mit einem
offenen Schreiben ein, das gegen Ueberlassung von Wohnsitzen nebst Vieh und
Getreide in Thracien immerwährenden Frieden anbot. Zugleich überreichte
er einen vertraulichen Privatbrief, in dem Fritigern den Kaiser bat mit
Heeresmacht scheinbar feindlich heranzurücken. damit es um so sicherer gelinge
das wilde Volk zur Achtung des Vertrags zu bringen. Valens konnte sich
nicht sofort zur Gewährung des Geforderten entschließen; da ihm aber ein so
ehrwürdiger Ueberbringer der Vorschläge für die Aufrichtigkeit derselben bürgte,
zeigte er sich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Er stellte zwar sein Heer
bei Adrianopel in Schlachtordnung auf, aber schickte auch den Nichomer, den
Befehlshaber der römischen Garde, als Bürgen ab, daß Fritigern des passiven
Verhaltens der Römer sicher sein könne, wenn er sein Volk für den Frieden
gewinnen wolle. Schon war jener unterwegs, als der römische Vortrab vor¬
eilig angriff. Da erschienen auch wie ein Blitz die gothischen Reiter und
hieben im ersten Angriff Alles vor sich nieder. Die Blutarbeit begann auf
der ganzen Linie und endete mit einer furchtbaren Niederlage der Römer. Der
verwundete Valens wurde zwar in ein Bauernhaus gerettet, aber von ver¬
folgenden Gothen daselbst verbrannt. Der Strom der Sieger ergoß sich nun
bis vor Constantinopel, ohne daß man hier etwas unternahm. Aber alles
platte Land bis zum adriatischen und ägäischen Meere wurde entsetzlich aus-
geplündert und verwüstet. Da bekleidete Gratian in edler Selbstüberwindung
seinen Feind Theodosius, einen Mann von hervorragender Umsicht und That¬
kraft, mit dem Purpur und überließ ihm den Osten. Dieser wußte über die
in einzelne Raubschaaren aufgelöste Gothen einzelne Vortheile zu gewinnen,
bis ihn eine längere Krankheit in Thefsalonien darniederwarf. Während der¬
selben gelang es Fritigern die zerstreuten Schwärme zu sammeln und da¬
durch beschwor er wieder die größte Gefahr über das Reich herauf. Theodo¬
sius wandte sich daher an Gratian um Hülfe, aber noch ehe derselbe erschien,
gab ein unerwartetes Ereignis den Dingen eine andere Wendung.

Athanarich, der sich nicht länger in den Karpathen zu halten vermochte,
bewirkte den Uebergang seines Volkes über die Donau. Er vergaß dabei sein
früheres Vorgeben auf Geheiß seines Vaters römischen Boden nicht betreten
zu dürfen. Aber freilich gedachte er jetzt nicht als Bittender, sondern als
Eroberer zu erscheinen. Die Nachricht von der Zerrüttung des römischen
Reichs und der Verwirrung unter dem eingewanderten Volk des Fritigern hatte
in ihm die Hoffnung erweckt des alten Nebenbuhlers Ansehen ganz vernichten
und die Zerstreuter wieder unter seinen Oberbefehl vereinigen zu können.
Weniger wohl um die römischen Grenzwachen zu täuschen, als um die
Christen unter den Gothen anzulocken, bediente er sich eines Gaukelspiels, in¬
dem er sich und die Seinen als Christen ausgab und einige als Bischöfe und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134366"/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> war", ohne Zweifel Ulfilas selbst als Sendbote jenes Fürsten mit einem<lb/>
offenen Schreiben ein, das gegen Ueberlassung von Wohnsitzen nebst Vieh und<lb/>
Getreide in Thracien immerwährenden Frieden anbot. Zugleich überreichte<lb/>
er einen vertraulichen Privatbrief, in dem Fritigern den Kaiser bat mit<lb/>
Heeresmacht scheinbar feindlich heranzurücken. damit es um so sicherer gelinge<lb/>
das wilde Volk zur Achtung des Vertrags zu bringen. Valens konnte sich<lb/>
nicht sofort zur Gewährung des Geforderten entschließen; da ihm aber ein so<lb/>
ehrwürdiger Ueberbringer der Vorschläge für die Aufrichtigkeit derselben bürgte,<lb/>
zeigte er sich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Er stellte zwar sein Heer<lb/>
bei Adrianopel in Schlachtordnung auf, aber schickte auch den Nichomer, den<lb/>
Befehlshaber der römischen Garde, als Bürgen ab, daß Fritigern des passiven<lb/>
Verhaltens der Römer sicher sein könne, wenn er sein Volk für den Frieden<lb/>
gewinnen wolle. Schon war jener unterwegs, als der römische Vortrab vor¬<lb/>
eilig angriff. Da erschienen auch wie ein Blitz die gothischen Reiter und<lb/>
hieben im ersten Angriff Alles vor sich nieder. Die Blutarbeit begann auf<lb/>
der ganzen Linie und endete mit einer furchtbaren Niederlage der Römer. Der<lb/>
verwundete Valens wurde zwar in ein Bauernhaus gerettet, aber von ver¬<lb/>
folgenden Gothen daselbst verbrannt. Der Strom der Sieger ergoß sich nun<lb/>
bis vor Constantinopel, ohne daß man hier etwas unternahm. Aber alles<lb/>
platte Land bis zum adriatischen und ägäischen Meere wurde entsetzlich aus-<lb/>
geplündert und verwüstet. Da bekleidete Gratian in edler Selbstüberwindung<lb/>
seinen Feind Theodosius, einen Mann von hervorragender Umsicht und That¬<lb/>
kraft, mit dem Purpur und überließ ihm den Osten. Dieser wußte über die<lb/>
in einzelne Raubschaaren aufgelöste Gothen einzelne Vortheile zu gewinnen,<lb/>
bis ihn eine längere Krankheit in Thefsalonien darniederwarf. Während der¬<lb/>
selben gelang es Fritigern die zerstreuten Schwärme zu sammeln und da¬<lb/>
durch beschwor er wieder die größte Gefahr über das Reich herauf. Theodo¬<lb/>
sius wandte sich daher an Gratian um Hülfe, aber noch ehe derselbe erschien,<lb/>
gab ein unerwartetes Ereignis den Dingen eine andere Wendung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37" next="#ID_38"> Athanarich, der sich nicht länger in den Karpathen zu halten vermochte,<lb/>
bewirkte den Uebergang seines Volkes über die Donau. Er vergaß dabei sein<lb/>
früheres Vorgeben auf Geheiß seines Vaters römischen Boden nicht betreten<lb/>
zu dürfen. Aber freilich gedachte er jetzt nicht als Bittender, sondern als<lb/>
Eroberer zu erscheinen. Die Nachricht von der Zerrüttung des römischen<lb/>
Reichs und der Verwirrung unter dem eingewanderten Volk des Fritigern hatte<lb/>
in ihm die Hoffnung erweckt des alten Nebenbuhlers Ansehen ganz vernichten<lb/>
und die Zerstreuter wieder unter seinen Oberbefehl vereinigen zu können.<lb/>
Weniger wohl um die römischen Grenzwachen zu täuschen, als um die<lb/>
Christen unter den Gothen anzulocken, bediente er sich eines Gaukelspiels, in¬<lb/>
dem er sich und die Seinen als Christen ausgab und einige als Bischöfe und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] war", ohne Zweifel Ulfilas selbst als Sendbote jenes Fürsten mit einem offenen Schreiben ein, das gegen Ueberlassung von Wohnsitzen nebst Vieh und Getreide in Thracien immerwährenden Frieden anbot. Zugleich überreichte er einen vertraulichen Privatbrief, in dem Fritigern den Kaiser bat mit Heeresmacht scheinbar feindlich heranzurücken. damit es um so sicherer gelinge das wilde Volk zur Achtung des Vertrags zu bringen. Valens konnte sich nicht sofort zur Gewährung des Geforderten entschließen; da ihm aber ein so ehrwürdiger Ueberbringer der Vorschläge für die Aufrichtigkeit derselben bürgte, zeigte er sich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Er stellte zwar sein Heer bei Adrianopel in Schlachtordnung auf, aber schickte auch den Nichomer, den Befehlshaber der römischen Garde, als Bürgen ab, daß Fritigern des passiven Verhaltens der Römer sicher sein könne, wenn er sein Volk für den Frieden gewinnen wolle. Schon war jener unterwegs, als der römische Vortrab vor¬ eilig angriff. Da erschienen auch wie ein Blitz die gothischen Reiter und hieben im ersten Angriff Alles vor sich nieder. Die Blutarbeit begann auf der ganzen Linie und endete mit einer furchtbaren Niederlage der Römer. Der verwundete Valens wurde zwar in ein Bauernhaus gerettet, aber von ver¬ folgenden Gothen daselbst verbrannt. Der Strom der Sieger ergoß sich nun bis vor Constantinopel, ohne daß man hier etwas unternahm. Aber alles platte Land bis zum adriatischen und ägäischen Meere wurde entsetzlich aus- geplündert und verwüstet. Da bekleidete Gratian in edler Selbstüberwindung seinen Feind Theodosius, einen Mann von hervorragender Umsicht und That¬ kraft, mit dem Purpur und überließ ihm den Osten. Dieser wußte über die in einzelne Raubschaaren aufgelöste Gothen einzelne Vortheile zu gewinnen, bis ihn eine längere Krankheit in Thefsalonien darniederwarf. Während der¬ selben gelang es Fritigern die zerstreuten Schwärme zu sammeln und da¬ durch beschwor er wieder die größte Gefahr über das Reich herauf. Theodo¬ sius wandte sich daher an Gratian um Hülfe, aber noch ehe derselbe erschien, gab ein unerwartetes Ereignis den Dingen eine andere Wendung. Athanarich, der sich nicht länger in den Karpathen zu halten vermochte, bewirkte den Uebergang seines Volkes über die Donau. Er vergaß dabei sein früheres Vorgeben auf Geheiß seines Vaters römischen Boden nicht betreten zu dürfen. Aber freilich gedachte er jetzt nicht als Bittender, sondern als Eroberer zu erscheinen. Die Nachricht von der Zerrüttung des römischen Reichs und der Verwirrung unter dem eingewanderten Volk des Fritigern hatte in ihm die Hoffnung erweckt des alten Nebenbuhlers Ansehen ganz vernichten und die Zerstreuter wieder unter seinen Oberbefehl vereinigen zu können. Weniger wohl um die römischen Grenzwachen zu täuschen, als um die Christen unter den Gothen anzulocken, bediente er sich eines Gaukelspiels, in¬ dem er sich und die Seinen als Christen ausgab und einige als Bischöfe und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/20>, abgerufen am 01.10.2024.