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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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derselben, die wir hier nicht anstellen können, würde nicht allein zur Kunst¬
geschichte, sondern auch zur Culturgeschichte der Kunst, welche uns hier be¬
schäftigt, interessante Details liefern.

Uebersehen wir aber das ganze Material, so müssen wir sagen, es ist im
Verhältnisse zu der überaus großen Menge der Bauten eine verschwindend kleine
Zahl. Woher kommt das?

Erstlich hat auch das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert seine Per¬
gamentpest gehabt, ich meine eine Zeit, in der man durch Abwaschen und
Neubeschreiben alter Pergamente unendlich viel kostbares Material vernichtet
hat. So mögen Zeichnungen, die nur einen vorübergehenden Werth zu haben
schienen, in großer Menge verbraucht worden sein. Zu Rheims z. B. giebt
es einen Palimpsest, welcher eine Zeichnung von 1270 erkennen läßt.

Zweitens aber -- und hierauf ist der Hauptnachdruck zu legen -- hat
man wohl überhaupt nicht soviel gezeichnet als man heute thut. Aber wir
Würden heutzutage, wenn dem Baumeister in Details freiere Hand gelassen
würde, besonders wenn es eine fest ausgebildete Baustyltradition gäbe, auch
Mit viel weniger Zeichnungen auskommen. So wird das Werk in Zeichnung
Und Modell bis aufs kleinste vollendet, so kann dem ausführenden Arbeiter
nichts überlassen bleiben, so hört die schaffende Thätigkett mit dem Momente
auf, als die Ausführung beginnt.

Anders damals. Der Meister gab in seiner Bauzeichnung eigentlich nicht
viel mehr als die leitende Idee an. Kapitäle, Sockel, Dienste, das Maß.
Merk schuf die Bauhütte während der Arbeit, zwar nach allgemeinen Direktiven
des Meisters, aber nach Conception des ausführenden Arbeiters. Anders
ließe sich die Mannigfaltigkeit der Details auch schwer erklären. Uebrigens
brauchte auch bei der viel geübten Styl-Tradition der Meister auch nicht viel
Mehr als das Stichwort zu geben um von seinen Helfern verstanden und
fecundirt zu werden. Dies vorausgesetzt ist klar, daß man mit wenig Zeich¬
nungen auskommen müßte. Setzen wir also den Fall, es handele sich um
^ne einschiffige Kapelle mit polygonen Chorschluß, so ist außer dem Grundrisse,
^n Höhenmaßen und einem Wand-Pfeiler nebst Gewölbebogen nichts wesent¬
liches nöthig.


Fußplattc aufwächst. Die Mitte ist zu einem Knäufe erweitert in der sichtlichen Absicht das
Anfassen zu erleichtern. In der gothischen Zeit wird der Fuß sogleich zum Fünf- oder Sechs-
die Kanten werden scharfgerippt, alles mit Maßwerk überzogen, ja selbst der Knauf in
Baldachine, Säulchen und Wimberge zerlegt -- alles feine architektonische Constructionen --
°ber mit dem Anfassen ist's vorbei, und dem Material entsprechend ist's eigentlich auch nicht,
^es kann in dieser Omnipotenz der gothischen Architectmform einen Vorzug der gothischen
Periode nicht erblicken; - die romanische bewegte sich freier. Es ist aber zur Erklärung
°'°her Erscheinung interessant zu finden, daß steh die Bauhütte mit Entwürfen auch zur Klein¬
kunst abgab.

derselben, die wir hier nicht anstellen können, würde nicht allein zur Kunst¬
geschichte, sondern auch zur Culturgeschichte der Kunst, welche uns hier be¬
schäftigt, interessante Details liefern.

Uebersehen wir aber das ganze Material, so müssen wir sagen, es ist im
Verhältnisse zu der überaus großen Menge der Bauten eine verschwindend kleine
Zahl. Woher kommt das?

Erstlich hat auch das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert seine Per¬
gamentpest gehabt, ich meine eine Zeit, in der man durch Abwaschen und
Neubeschreiben alter Pergamente unendlich viel kostbares Material vernichtet
hat. So mögen Zeichnungen, die nur einen vorübergehenden Werth zu haben
schienen, in großer Menge verbraucht worden sein. Zu Rheims z. B. giebt
es einen Palimpsest, welcher eine Zeichnung von 1270 erkennen läßt.

Zweitens aber — und hierauf ist der Hauptnachdruck zu legen — hat
man wohl überhaupt nicht soviel gezeichnet als man heute thut. Aber wir
Würden heutzutage, wenn dem Baumeister in Details freiere Hand gelassen
würde, besonders wenn es eine fest ausgebildete Baustyltradition gäbe, auch
Mit viel weniger Zeichnungen auskommen. So wird das Werk in Zeichnung
Und Modell bis aufs kleinste vollendet, so kann dem ausführenden Arbeiter
nichts überlassen bleiben, so hört die schaffende Thätigkett mit dem Momente
auf, als die Ausführung beginnt.

Anders damals. Der Meister gab in seiner Bauzeichnung eigentlich nicht
viel mehr als die leitende Idee an. Kapitäle, Sockel, Dienste, das Maß.
Merk schuf die Bauhütte während der Arbeit, zwar nach allgemeinen Direktiven
des Meisters, aber nach Conception des ausführenden Arbeiters. Anders
ließe sich die Mannigfaltigkeit der Details auch schwer erklären. Uebrigens
brauchte auch bei der viel geübten Styl-Tradition der Meister auch nicht viel
Mehr als das Stichwort zu geben um von seinen Helfern verstanden und
fecundirt zu werden. Dies vorausgesetzt ist klar, daß man mit wenig Zeich¬
nungen auskommen müßte. Setzen wir also den Fall, es handele sich um
^ne einschiffige Kapelle mit polygonen Chorschluß, so ist außer dem Grundrisse,
^n Höhenmaßen und einem Wand-Pfeiler nebst Gewölbebogen nichts wesent¬
liches nöthig.


Fußplattc aufwächst. Die Mitte ist zu einem Knäufe erweitert in der sichtlichen Absicht das
Anfassen zu erleichtern. In der gothischen Zeit wird der Fuß sogleich zum Fünf- oder Sechs-
die Kanten werden scharfgerippt, alles mit Maßwerk überzogen, ja selbst der Knauf in
Baldachine, Säulchen und Wimberge zerlegt — alles feine architektonische Constructionen —
°ber mit dem Anfassen ist's vorbei, und dem Material entsprechend ist's eigentlich auch nicht,
^es kann in dieser Omnipotenz der gothischen Architectmform einen Vorzug der gothischen
Periode nicht erblicken; - die romanische bewegte sich freier. Es ist aber zur Erklärung
°'°her Erscheinung interessant zu finden, daß steh die Bauhütte mit Entwürfen auch zur Klein¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/191>, abgerufen am 22.07.2024.