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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Daran ist aber nicht zu denken. Die Bildung von Freikirchen würde
das Signal zur Auflösung der jetzt bestehenden kirchlichen Einheiten werden,
die einzelnen Parteien würden besondre kirchliche Complexe zu bilden suchen,
und so eine Vielheit kirchlicher Bildungen hervorbringen. Schon allein die
konfessionell-lutherische Partei, jetzt noch durch den Gegensatz zur .Union künst¬
lich zu einer Einheit zusammengehalten, würde die in ihr ruhenden Gegensätze
zu einzelnen kirchlichen Gestaltungen entwickeln; pietistisch-methodistische Kirch¬
lein, konservative und liberale Unionsgemeinden, radikal-protestantische Reli¬
gionsvereine würden hinzutreten. Von den schwärmerischen Sekten zu schwei¬
gen, welche vortrefflich im Trüben fischen würden.

Man sage nicht, diese Vielheit kirchlicher Denominationen sei unschädlich,
es handle sich hier nur um mannigfaltige Spieglungen des einen evangelischen
Geistes. Wenn in Nordamerika trotzdem ein reges kirchliches Leben besteht,
so hängt das mit Eigenthümlichkeiten zusammen, die sich eben nur dort finden,
mit geschichtlichen Voraussetzungen, die uns fehlen. Aber ein Schatten bleiben
sie auch dort, welcher dem flüchtigen Reisenden sich verbergen mag, während
wer länger dort weilt, ihn sieht und schmerzlich fühlt. Schafs*) erklärt:
"Näher betrachtet hat das Sektenwesen auch seine großen Schwächen und
Schattenseiten, setzt allerlei unlautere Triebfedern in Bewegung, befördert den
Parteigeist und die Parteileidenschaft, Selbstsucht und Bigotterie und ver¬
wandelt den Friedensacker des Reiches Gottes in ein Schlachtfeld, wo Bruder
gegen Bruder, zwar allerdings nicht mit Schwert und Bajonett, aber doch
mit liebloser Härte und allerlei Verleumdung kämpft und die Interessen der
allgemeinen Kirche gar häufig seinen Interessen unterordnet? Man kann
freilich entgegnen, daß das Bild, welches unsre Kirchen bieten, nicht günstiger
sei. Die Parteien in derselben Kirche befehden sich hier in demselben Maße
und in derselben Weise wie die Kirchen gegen einander dort. Allein die bloße
Thatsache, daß so entgegengesetzte Parteien in derselben Kirche bleiben, mil¬
dert die Schärfe ihres Vergehens. Denn sie ist ein Beweis, daß der Gegensatz
der Parteien doch nicht so tief geht, und nicht so ernst gemeint ist, als man
denken sollte. Es ist ein großer Gewinn, wenn die Zerklüftung der Kirche
durch Parteien an der Einheit der Kirche eine Schranke findet und nicht in
der Zerbröcklung der Kirche sich vollendet. Es ist dies ein Gewinn vor allem
im Interesse des Volks. Wie unendlich schwer wird es demselben gemacht,
wenn auf die Frage: wo ist die Wahrheit des Evangeliums? ein wirres Ge¬
schrei zahlreicher Sekten antwortet. Christus hat die Einheit der Kirche
als den Weg bezeichnet, auf welchem die Welt zur Erkenntniß der
Wahrheit des Evangeliums gelangen solle (Eo. Joh. 17,21). Jede Stei¬
gerung der Zerrissenheit der Kirche ist eine Erschwerung der Erkenntniß der



") a. a. Q S. 84.

Daran ist aber nicht zu denken. Die Bildung von Freikirchen würde
das Signal zur Auflösung der jetzt bestehenden kirchlichen Einheiten werden,
die einzelnen Parteien würden besondre kirchliche Complexe zu bilden suchen,
und so eine Vielheit kirchlicher Bildungen hervorbringen. Schon allein die
konfessionell-lutherische Partei, jetzt noch durch den Gegensatz zur .Union künst¬
lich zu einer Einheit zusammengehalten, würde die in ihr ruhenden Gegensätze
zu einzelnen kirchlichen Gestaltungen entwickeln; pietistisch-methodistische Kirch¬
lein, konservative und liberale Unionsgemeinden, radikal-protestantische Reli¬
gionsvereine würden hinzutreten. Von den schwärmerischen Sekten zu schwei¬
gen, welche vortrefflich im Trüben fischen würden.

Man sage nicht, diese Vielheit kirchlicher Denominationen sei unschädlich,
es handle sich hier nur um mannigfaltige Spieglungen des einen evangelischen
Geistes. Wenn in Nordamerika trotzdem ein reges kirchliches Leben besteht,
so hängt das mit Eigenthümlichkeiten zusammen, die sich eben nur dort finden,
mit geschichtlichen Voraussetzungen, die uns fehlen. Aber ein Schatten bleiben
sie auch dort, welcher dem flüchtigen Reisenden sich verbergen mag, während
wer länger dort weilt, ihn sieht und schmerzlich fühlt. Schafs*) erklärt:
„Näher betrachtet hat das Sektenwesen auch seine großen Schwächen und
Schattenseiten, setzt allerlei unlautere Triebfedern in Bewegung, befördert den
Parteigeist und die Parteileidenschaft, Selbstsucht und Bigotterie und ver¬
wandelt den Friedensacker des Reiches Gottes in ein Schlachtfeld, wo Bruder
gegen Bruder, zwar allerdings nicht mit Schwert und Bajonett, aber doch
mit liebloser Härte und allerlei Verleumdung kämpft und die Interessen der
allgemeinen Kirche gar häufig seinen Interessen unterordnet? Man kann
freilich entgegnen, daß das Bild, welches unsre Kirchen bieten, nicht günstiger
sei. Die Parteien in derselben Kirche befehden sich hier in demselben Maße
und in derselben Weise wie die Kirchen gegen einander dort. Allein die bloße
Thatsache, daß so entgegengesetzte Parteien in derselben Kirche bleiben, mil¬
dert die Schärfe ihres Vergehens. Denn sie ist ein Beweis, daß der Gegensatz
der Parteien doch nicht so tief geht, und nicht so ernst gemeint ist, als man
denken sollte. Es ist ein großer Gewinn, wenn die Zerklüftung der Kirche
durch Parteien an der Einheit der Kirche eine Schranke findet und nicht in
der Zerbröcklung der Kirche sich vollendet. Es ist dies ein Gewinn vor allem
im Interesse des Volks. Wie unendlich schwer wird es demselben gemacht,
wenn auf die Frage: wo ist die Wahrheit des Evangeliums? ein wirres Ge¬
schrei zahlreicher Sekten antwortet. Christus hat die Einheit der Kirche
als den Weg bezeichnet, auf welchem die Welt zur Erkenntniß der
Wahrheit des Evangeliums gelangen solle (Eo. Joh. 17,21). Jede Stei¬
gerung der Zerrissenheit der Kirche ist eine Erschwerung der Erkenntniß der



") a. a. Q S. 84.
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[0174] Daran ist aber nicht zu denken. Die Bildung von Freikirchen würde das Signal zur Auflösung der jetzt bestehenden kirchlichen Einheiten werden, die einzelnen Parteien würden besondre kirchliche Complexe zu bilden suchen, und so eine Vielheit kirchlicher Bildungen hervorbringen. Schon allein die konfessionell-lutherische Partei, jetzt noch durch den Gegensatz zur .Union künst¬ lich zu einer Einheit zusammengehalten, würde die in ihr ruhenden Gegensätze zu einzelnen kirchlichen Gestaltungen entwickeln; pietistisch-methodistische Kirch¬ lein, konservative und liberale Unionsgemeinden, radikal-protestantische Reli¬ gionsvereine würden hinzutreten. Von den schwärmerischen Sekten zu schwei¬ gen, welche vortrefflich im Trüben fischen würden. Man sage nicht, diese Vielheit kirchlicher Denominationen sei unschädlich, es handle sich hier nur um mannigfaltige Spieglungen des einen evangelischen Geistes. Wenn in Nordamerika trotzdem ein reges kirchliches Leben besteht, so hängt das mit Eigenthümlichkeiten zusammen, die sich eben nur dort finden, mit geschichtlichen Voraussetzungen, die uns fehlen. Aber ein Schatten bleiben sie auch dort, welcher dem flüchtigen Reisenden sich verbergen mag, während wer länger dort weilt, ihn sieht und schmerzlich fühlt. Schafs*) erklärt: „Näher betrachtet hat das Sektenwesen auch seine großen Schwächen und Schattenseiten, setzt allerlei unlautere Triebfedern in Bewegung, befördert den Parteigeist und die Parteileidenschaft, Selbstsucht und Bigotterie und ver¬ wandelt den Friedensacker des Reiches Gottes in ein Schlachtfeld, wo Bruder gegen Bruder, zwar allerdings nicht mit Schwert und Bajonett, aber doch mit liebloser Härte und allerlei Verleumdung kämpft und die Interessen der allgemeinen Kirche gar häufig seinen Interessen unterordnet? Man kann freilich entgegnen, daß das Bild, welches unsre Kirchen bieten, nicht günstiger sei. Die Parteien in derselben Kirche befehden sich hier in demselben Maße und in derselben Weise wie die Kirchen gegen einander dort. Allein die bloße Thatsache, daß so entgegengesetzte Parteien in derselben Kirche bleiben, mil¬ dert die Schärfe ihres Vergehens. Denn sie ist ein Beweis, daß der Gegensatz der Parteien doch nicht so tief geht, und nicht so ernst gemeint ist, als man denken sollte. Es ist ein großer Gewinn, wenn die Zerklüftung der Kirche durch Parteien an der Einheit der Kirche eine Schranke findet und nicht in der Zerbröcklung der Kirche sich vollendet. Es ist dies ein Gewinn vor allem im Interesse des Volks. Wie unendlich schwer wird es demselben gemacht, wenn auf die Frage: wo ist die Wahrheit des Evangeliums? ein wirres Ge¬ schrei zahlreicher Sekten antwortet. Christus hat die Einheit der Kirche als den Weg bezeichnet, auf welchem die Welt zur Erkenntniß der Wahrheit des Evangeliums gelangen solle (Eo. Joh. 17,21). Jede Stei¬ gerung der Zerrissenheit der Kirche ist eine Erschwerung der Erkenntniß der ") a. a. Q S. 84.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/174>, abgerufen am 22.07.2024.