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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Staat sein Aufsichtsrecht üben, von den Trägern des geistlichen Amts den
vorhergehenden Besuch von Gymnasien und Universitäten fordern, vielleicht auch
ihre Anstellung an die Voraussetzung eines vorausgegangnen Staatsexamens
knüpfen! nach wie vor würde er die Grenzen der kirchlichen Disziplin bestim¬
men, und wenn der kirchliche Gerichtshof wegfiele, so würden doch die Civil¬
gerichtshöfe Anlaß haben, bei Streitigkeiten unter den kirchlichen Parteien eine
Entscheidung zu geben, wie das auch in der nordamerikanischen Union der Fall
ist.*) Der Gewinn an Selbständigkeit für die Kirche wäre also ein sehr geringer.
Desto größer wären die Opfer, die von ihr verlangt würden. Sie müßte ausschließ,
lich das Geld aufbringen, um die theologischen Seminare, welche dann die Stelle
der theologischen Fakultäten vertreten würden, zu erhalten; sie müßte die Summen
beschaffen, um die kirchlichen Behörden zu besolden und die Synoden zu berufen.
Es ist ja an sich möglich, wie wir schon vorher angedeutet haben, daß der
Staat auch Freikirchen unterstützt. Selbst Venet billigt es, daß der Staat
jährlich eine Summe für kirchliche Zwecke auswirft, an der eine jede kirchliche
Gemeinschaft nach der Größe ihrer Mitgliederzahl Participiren könne**), aber
einmal wäre es doch ungewiß, ob der Staat sich dazu entschließen würde,
Heroiß dagegen, daß er seine Unterstützung an gewisse Bedingungen knüpfen
und zu Prämien für ein Wohlverhalten machen würde, welches bald so bald
so, je nach den herrschenden Richtungen und Parteiströmungen qualifizirt
werden würde. Die Kirche also geriethe wieder in die Abhängigkeit vom
Staat, die sie ja grade vermeiden wollte. Wenn sie dieser zu entgehen ent¬
schlossen wäre, bliebe ihr nichts andres übrig, als auf jede Staatssubvention
zu verzichten und sich auf die eignen Füße zu stellen. Wer nun weiß, daß
die Opferwilligkeit für kirchliche Zwecke unter uns nicht groß ist und die
Opferfähigkeit gering, denn wir sind ein sehr armes Volk, der kann nicht
daran zweifeln, daß die eventuelle Freikirche eine sehr dürftige Existenz führen
Müßte. Diese Dürftigkeit würde aber eine sehr ungünstige Rückwirkung auf
das innere geistige Leben der Kirche üben. Denn dasselbe setzt ein gewisses
Naß von Wohlhabenheit voraus. Man berufe sich nicht auf Nord-Amerika.
Erstens sind die Nordamerikaner reicher als wir, und zweitens haben die nord-
amerikanischen Freikirchen die Güter der früheren Staatskirchen ererbt. Sie
sind mit ungeschmälerten Besitzstand aus dem Stadium ver Staatskirche in
das Stadium der Freikirche übergegangen.***) Auch unsre Kirchen würden
ja als Freikirchen den Anspruch auf den Besitz erheben können, der ihnen
als Landeskirchen eigen gewesen war. Aber doch nur unter der Voraus¬
setzung, daß die Identität des besitzenden Subjekts nicht gestört werde.





") Thompson a. a. O. S. 58 u. S!".
"") a. a. O. S. 170.
Thompson a. ni. O. S. 5ki- 55.
Grenzl'oder IV. 187S. 22

Staat sein Aufsichtsrecht üben, von den Trägern des geistlichen Amts den
vorhergehenden Besuch von Gymnasien und Universitäten fordern, vielleicht auch
ihre Anstellung an die Voraussetzung eines vorausgegangnen Staatsexamens
knüpfen! nach wie vor würde er die Grenzen der kirchlichen Disziplin bestim¬
men, und wenn der kirchliche Gerichtshof wegfiele, so würden doch die Civil¬
gerichtshöfe Anlaß haben, bei Streitigkeiten unter den kirchlichen Parteien eine
Entscheidung zu geben, wie das auch in der nordamerikanischen Union der Fall
ist.*) Der Gewinn an Selbständigkeit für die Kirche wäre also ein sehr geringer.
Desto größer wären die Opfer, die von ihr verlangt würden. Sie müßte ausschließ,
lich das Geld aufbringen, um die theologischen Seminare, welche dann die Stelle
der theologischen Fakultäten vertreten würden, zu erhalten; sie müßte die Summen
beschaffen, um die kirchlichen Behörden zu besolden und die Synoden zu berufen.
Es ist ja an sich möglich, wie wir schon vorher angedeutet haben, daß der
Staat auch Freikirchen unterstützt. Selbst Venet billigt es, daß der Staat
jährlich eine Summe für kirchliche Zwecke auswirft, an der eine jede kirchliche
Gemeinschaft nach der Größe ihrer Mitgliederzahl Participiren könne**), aber
einmal wäre es doch ungewiß, ob der Staat sich dazu entschließen würde,
Heroiß dagegen, daß er seine Unterstützung an gewisse Bedingungen knüpfen
und zu Prämien für ein Wohlverhalten machen würde, welches bald so bald
so, je nach den herrschenden Richtungen und Parteiströmungen qualifizirt
werden würde. Die Kirche also geriethe wieder in die Abhängigkeit vom
Staat, die sie ja grade vermeiden wollte. Wenn sie dieser zu entgehen ent¬
schlossen wäre, bliebe ihr nichts andres übrig, als auf jede Staatssubvention
zu verzichten und sich auf die eignen Füße zu stellen. Wer nun weiß, daß
die Opferwilligkeit für kirchliche Zwecke unter uns nicht groß ist und die
Opferfähigkeit gering, denn wir sind ein sehr armes Volk, der kann nicht
daran zweifeln, daß die eventuelle Freikirche eine sehr dürftige Existenz führen
Müßte. Diese Dürftigkeit würde aber eine sehr ungünstige Rückwirkung auf
das innere geistige Leben der Kirche üben. Denn dasselbe setzt ein gewisses
Naß von Wohlhabenheit voraus. Man berufe sich nicht auf Nord-Amerika.
Erstens sind die Nordamerikaner reicher als wir, und zweitens haben die nord-
amerikanischen Freikirchen die Güter der früheren Staatskirchen ererbt. Sie
sind mit ungeschmälerten Besitzstand aus dem Stadium ver Staatskirche in
das Stadium der Freikirche übergegangen.***) Auch unsre Kirchen würden
ja als Freikirchen den Anspruch auf den Besitz erheben können, der ihnen
als Landeskirchen eigen gewesen war. Aber doch nur unter der Voraus¬
setzung, daß die Identität des besitzenden Subjekts nicht gestört werde.





") Thompson a. a. O. S. 58 u. S!».
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[0173] Staat sein Aufsichtsrecht üben, von den Trägern des geistlichen Amts den vorhergehenden Besuch von Gymnasien und Universitäten fordern, vielleicht auch ihre Anstellung an die Voraussetzung eines vorausgegangnen Staatsexamens knüpfen! nach wie vor würde er die Grenzen der kirchlichen Disziplin bestim¬ men, und wenn der kirchliche Gerichtshof wegfiele, so würden doch die Civil¬ gerichtshöfe Anlaß haben, bei Streitigkeiten unter den kirchlichen Parteien eine Entscheidung zu geben, wie das auch in der nordamerikanischen Union der Fall ist.*) Der Gewinn an Selbständigkeit für die Kirche wäre also ein sehr geringer. Desto größer wären die Opfer, die von ihr verlangt würden. Sie müßte ausschließ, lich das Geld aufbringen, um die theologischen Seminare, welche dann die Stelle der theologischen Fakultäten vertreten würden, zu erhalten; sie müßte die Summen beschaffen, um die kirchlichen Behörden zu besolden und die Synoden zu berufen. Es ist ja an sich möglich, wie wir schon vorher angedeutet haben, daß der Staat auch Freikirchen unterstützt. Selbst Venet billigt es, daß der Staat jährlich eine Summe für kirchliche Zwecke auswirft, an der eine jede kirchliche Gemeinschaft nach der Größe ihrer Mitgliederzahl Participiren könne**), aber einmal wäre es doch ungewiß, ob der Staat sich dazu entschließen würde, Heroiß dagegen, daß er seine Unterstützung an gewisse Bedingungen knüpfen und zu Prämien für ein Wohlverhalten machen würde, welches bald so bald so, je nach den herrschenden Richtungen und Parteiströmungen qualifizirt werden würde. Die Kirche also geriethe wieder in die Abhängigkeit vom Staat, die sie ja grade vermeiden wollte. Wenn sie dieser zu entgehen ent¬ schlossen wäre, bliebe ihr nichts andres übrig, als auf jede Staatssubvention zu verzichten und sich auf die eignen Füße zu stellen. Wer nun weiß, daß die Opferwilligkeit für kirchliche Zwecke unter uns nicht groß ist und die Opferfähigkeit gering, denn wir sind ein sehr armes Volk, der kann nicht daran zweifeln, daß die eventuelle Freikirche eine sehr dürftige Existenz führen Müßte. Diese Dürftigkeit würde aber eine sehr ungünstige Rückwirkung auf das innere geistige Leben der Kirche üben. Denn dasselbe setzt ein gewisses Naß von Wohlhabenheit voraus. Man berufe sich nicht auf Nord-Amerika. Erstens sind die Nordamerikaner reicher als wir, und zweitens haben die nord- amerikanischen Freikirchen die Güter der früheren Staatskirchen ererbt. Sie sind mit ungeschmälerten Besitzstand aus dem Stadium ver Staatskirche in das Stadium der Freikirche übergegangen.***) Auch unsre Kirchen würden ja als Freikirchen den Anspruch auf den Besitz erheben können, der ihnen als Landeskirchen eigen gewesen war. Aber doch nur unter der Voraus¬ setzung, daß die Identität des besitzenden Subjekts nicht gestört werde. ") Thompson a. a. O. S. 58 u. S!». "") a. a. O. S. 170. Thompson a. ni. O. S. 5ki- 55. Grenzl'oder IV. 187S. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/173>, abgerufen am 22.07.2024.