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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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sich die Juden die Resultate der allgemeinen öffentlichen Bildung angeeignet,
.sie hatten Beiträge zu dem wissenschaftlichen und künstlerischen Schatz der
nationalen Bildung gegeben, sie hatten in den Reihen des nationalen Heeres
für die Interessen des Staates gekämpft, konnte man ihnen den Zugang zu
den öffentlichen Aemtern des Staates noch länger verweigern? Es war nicht
möglich. Der Begriff der Staatskirche aber mußte durch die Emancipation
der Juden von neuem verletzt werden, denn der christliche Charakter der
öffentlichen Institutionen mußte, ich will nicht sagen, fallen, aber manche
Beschränkungen erfahren. Eine Staatskirche, d. h. eine Kirche, welche vom
Staat in einem solchen Maße privilegirt ist. daß die Zugehörigkeit zu ihr die
Bedingung zur Theilnahme an der Gesammtheit der politischen Rechte bildet,
hatte damit aufgehört, zu existiren. Eine Kirche, welche vertrauensvoll dem
Staat einen Einfluß auf ihr inneres Leben einräumt, weil sie in den leiten¬
den Trägern des staatlichen Regiments nur Angehörige ihrer eignen Con-
fession, wenigstens Bekenner des Evangeliums findet, war widersinnig ge¬
worden. Lag doch die abstrakte Möglichkeit vor, daß auch einmal ein Jude
das Portefeuille des Kultusministeriums führe. Und wer bürgt dafür, daß
diese Möglichkeit nicht einmal Wirklichkeit wird. Aber schon die bloße That¬
sache, daß Nichtchristen in den gesetzgebenden Körpern sich befanden und je
länger je mehr in die öffentlichen Aemter des Staates einrückten, war ein
Grund, der Idee der Staatskirche definitiv Bakel zu sagen.

Es kam endlich noch hinzu, und das ist die vierte Ursache, welche die
Staatskirche gestürzt hat, die Differenz, welche sich zwischen dem kirchlichen
Bewußtsein auf der einen und den Anschauungen auf der andern Seite ge¬
bildet hat, von welchen ein großer Theil unsrer Zeitgenossen ausgeht. Man
wird demselben nicht Unrecht thun, wenn man erklärt, daß er nicht blos von
einzelnen Dogmen der Kirche, sondern von den Fundamenten derselben, also
vom Evangelium selbst, sich losgesagt hat. Wo die Ideen eines Schopen¬
hauer und Hartmann Anerkennung finden, da ist an Stelle des Christenthums
der Buddhismus in modernem Gewände getreten. Wo Strauß' Schrift "der
alte und der neue Glaube" Beifall entgegen kommt, da herrscht nicht mehr
das Christenthum, sondern ein in den Materialismus hinüber schillernder
Pantheismus. Wo eine materialistische Naturwissenschaft ihre Triumphe
feiert, hat das Christenthum seine Fahne gesenkt. Wo Zeitschriften und
Bücher verschlungen werden, die bald mit frivolem Spott, bald mit souverä¬
ner Verachtung über das Glaubensbekenntniß und die Weltanschauung des
Evangeliums zur Tagesordnung übergehen, da hat die Empfänglichkeit und
das Verständniß für die christliche Wahrheit aufgehört. Diesen Thatsachen
hat der Staat Rechnung getragen und das alte Band zerschnitten, das ihn
mit der Kirche verknüpfte. Er hat sich eine rein politische Rechtsbasis ge-


sich die Juden die Resultate der allgemeinen öffentlichen Bildung angeeignet,
.sie hatten Beiträge zu dem wissenschaftlichen und künstlerischen Schatz der
nationalen Bildung gegeben, sie hatten in den Reihen des nationalen Heeres
für die Interessen des Staates gekämpft, konnte man ihnen den Zugang zu
den öffentlichen Aemtern des Staates noch länger verweigern? Es war nicht
möglich. Der Begriff der Staatskirche aber mußte durch die Emancipation
der Juden von neuem verletzt werden, denn der christliche Charakter der
öffentlichen Institutionen mußte, ich will nicht sagen, fallen, aber manche
Beschränkungen erfahren. Eine Staatskirche, d. h. eine Kirche, welche vom
Staat in einem solchen Maße privilegirt ist. daß die Zugehörigkeit zu ihr die
Bedingung zur Theilnahme an der Gesammtheit der politischen Rechte bildet,
hatte damit aufgehört, zu existiren. Eine Kirche, welche vertrauensvoll dem
Staat einen Einfluß auf ihr inneres Leben einräumt, weil sie in den leiten¬
den Trägern des staatlichen Regiments nur Angehörige ihrer eignen Con-
fession, wenigstens Bekenner des Evangeliums findet, war widersinnig ge¬
worden. Lag doch die abstrakte Möglichkeit vor, daß auch einmal ein Jude
das Portefeuille des Kultusministeriums führe. Und wer bürgt dafür, daß
diese Möglichkeit nicht einmal Wirklichkeit wird. Aber schon die bloße That¬
sache, daß Nichtchristen in den gesetzgebenden Körpern sich befanden und je
länger je mehr in die öffentlichen Aemter des Staates einrückten, war ein
Grund, der Idee der Staatskirche definitiv Bakel zu sagen.

Es kam endlich noch hinzu, und das ist die vierte Ursache, welche die
Staatskirche gestürzt hat, die Differenz, welche sich zwischen dem kirchlichen
Bewußtsein auf der einen und den Anschauungen auf der andern Seite ge¬
bildet hat, von welchen ein großer Theil unsrer Zeitgenossen ausgeht. Man
wird demselben nicht Unrecht thun, wenn man erklärt, daß er nicht blos von
einzelnen Dogmen der Kirche, sondern von den Fundamenten derselben, also
vom Evangelium selbst, sich losgesagt hat. Wo die Ideen eines Schopen¬
hauer und Hartmann Anerkennung finden, da ist an Stelle des Christenthums
der Buddhismus in modernem Gewände getreten. Wo Strauß' Schrift „der
alte und der neue Glaube" Beifall entgegen kommt, da herrscht nicht mehr
das Christenthum, sondern ein in den Materialismus hinüber schillernder
Pantheismus. Wo eine materialistische Naturwissenschaft ihre Triumphe
feiert, hat das Christenthum seine Fahne gesenkt. Wo Zeitschriften und
Bücher verschlungen werden, die bald mit frivolem Spott, bald mit souverä¬
ner Verachtung über das Glaubensbekenntniß und die Weltanschauung des
Evangeliums zur Tagesordnung übergehen, da hat die Empfänglichkeit und
das Verständniß für die christliche Wahrheit aufgehört. Diesen Thatsachen
hat der Staat Rechnung getragen und das alte Band zerschnitten, das ihn
mit der Kirche verknüpfte. Er hat sich eine rein politische Rechtsbasis ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/169>, abgerufen am 22.07.2024.