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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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wir können begreifen, daß jetzt, wo es, vielleicht auf immer, begraben wird,
dieselben mit Wehmuth von ihm Abschied nehmen.

Die Staatskirche konnte nicht bestehen bleiben, sie hatte sich überlebt.
Sie trug schon seit mehr als einem Jahrhundert den Todeskeim in sich und
befand sich im Prozeß der Zersetzung. Die Staatskirche setzt voraus die
Identität des Umfangs von Kirche und Staat, die Herrschaft eines Glaubens¬
bekenntnisses im Volke. Sie war nur so lange ein in sich harmonischer und
konsequenter Organismus, als, wie im Mtttelalter, alle Bürger der euro¬
päischen christlichen Staaten der katholischen Kirche angehörten. Denn die
Sekten wurden ja mit Feuer und Schwert vernichtet, und die Juden waren
nur Halb- oder Viertelbürger. Auch da blieb noch der Begriff der Staats¬
kirche unversehrt, wo allerdings beiden christlichen Confessionen die Aufnahme
in ein Territorium gewährt, aber die eine ausschließlich durch Privilegien
ausgezeichnet wurde, während der andern nur Duldung zufiel. Den ersten
Stoß dagegen erhielt sie, wenn beide Kirchen, die evangelische wie die ka¬
tholische, gleiches Recht empfingen, und der Staat sich damit für paritätisch
erklärte. Er nahm dann einen Standpunkt ein, der sich weder mit dem Be¬
kenntniß seiner evangelischen noch seiner katholischen Bürger deckte. Er wählte
dann seinen Standort über den Konfessionen in der Abstraktion des
konfessionslosen Christenthums. Dieser Standpunkt wurde auch kirchenpoli¬
tisch bedenklich, denn es mußte die Frage aufgeworfen werden, wenn der
Staat nur am allgemein christlichen festhält, wie begründet er es, daß er nur
den Katholizismus und Protestantismus privilegirt, nicht aber die christlichen
Sekten. Was den Staat zu diesem Verhalten bewog, war offenbar keine
spezifisch religiöse, sondern eine allgemein moralische und politische Erwägung.
Er reflektirte einmal auf den sittlichen Kulturwerth, auf den die einzelnen
Confessionen Anspruch erheben konaten. sodann aus die numerische Größe
und den dadurch bedingten Werth derselben für das Ganze der Nation. Das
war aber ein neuer Standpunkt, den der Staat jetzt einnahm, ein moralischer
und politischer, nicht mehr ein kirchlicher.

Die Aufnahme der Sekten war ein zweiter Stoß, welcher der Staats¬
kirche versetzt wurde. So lange dieselben nur geduldet wurden, war ihre
Existenz gleichgiltig. Empfingen sie aber Corporationsrechte, -- und konnten
sie ihnen auf die Dauer verweigert werden, wenn sie ihre Lebensfähigkeit er¬
wiesen hatten? -- erhielten ihre Mitglieder gleiche politische Rechte, wie die
Angehörigen andrer Confessionen, so wurde das allgemein christliche Element,
welches der Staat als Basis seiner Kirchenpolitik gewählt hatte, immer weiter
und unbestimmter.

Die Emancipation der Juden -- das war die dritte Erschütterung, die
verhängnißvollste, welche die Staatskirche erlitt. Je länger je mehr hatten


wir können begreifen, daß jetzt, wo es, vielleicht auf immer, begraben wird,
dieselben mit Wehmuth von ihm Abschied nehmen.

Die Staatskirche konnte nicht bestehen bleiben, sie hatte sich überlebt.
Sie trug schon seit mehr als einem Jahrhundert den Todeskeim in sich und
befand sich im Prozeß der Zersetzung. Die Staatskirche setzt voraus die
Identität des Umfangs von Kirche und Staat, die Herrschaft eines Glaubens¬
bekenntnisses im Volke. Sie war nur so lange ein in sich harmonischer und
konsequenter Organismus, als, wie im Mtttelalter, alle Bürger der euro¬
päischen christlichen Staaten der katholischen Kirche angehörten. Denn die
Sekten wurden ja mit Feuer und Schwert vernichtet, und die Juden waren
nur Halb- oder Viertelbürger. Auch da blieb noch der Begriff der Staats¬
kirche unversehrt, wo allerdings beiden christlichen Confessionen die Aufnahme
in ein Territorium gewährt, aber die eine ausschließlich durch Privilegien
ausgezeichnet wurde, während der andern nur Duldung zufiel. Den ersten
Stoß dagegen erhielt sie, wenn beide Kirchen, die evangelische wie die ka¬
tholische, gleiches Recht empfingen, und der Staat sich damit für paritätisch
erklärte. Er nahm dann einen Standpunkt ein, der sich weder mit dem Be¬
kenntniß seiner evangelischen noch seiner katholischen Bürger deckte. Er wählte
dann seinen Standort über den Konfessionen in der Abstraktion des
konfessionslosen Christenthums. Dieser Standpunkt wurde auch kirchenpoli¬
tisch bedenklich, denn es mußte die Frage aufgeworfen werden, wenn der
Staat nur am allgemein christlichen festhält, wie begründet er es, daß er nur
den Katholizismus und Protestantismus privilegirt, nicht aber die christlichen
Sekten. Was den Staat zu diesem Verhalten bewog, war offenbar keine
spezifisch religiöse, sondern eine allgemein moralische und politische Erwägung.
Er reflektirte einmal auf den sittlichen Kulturwerth, auf den die einzelnen
Confessionen Anspruch erheben konaten. sodann aus die numerische Größe
und den dadurch bedingten Werth derselben für das Ganze der Nation. Das
war aber ein neuer Standpunkt, den der Staat jetzt einnahm, ein moralischer
und politischer, nicht mehr ein kirchlicher.

Die Aufnahme der Sekten war ein zweiter Stoß, welcher der Staats¬
kirche versetzt wurde. So lange dieselben nur geduldet wurden, war ihre
Existenz gleichgiltig. Empfingen sie aber Corporationsrechte, — und konnten
sie ihnen auf die Dauer verweigert werden, wenn sie ihre Lebensfähigkeit er¬
wiesen hatten? — erhielten ihre Mitglieder gleiche politische Rechte, wie die
Angehörigen andrer Confessionen, so wurde das allgemein christliche Element,
welches der Staat als Basis seiner Kirchenpolitik gewählt hatte, immer weiter
und unbestimmter.

Die Emancipation der Juden — das war die dritte Erschütterung, die
verhängnißvollste, welche die Staatskirche erlitt. Je länger je mehr hatten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/168>, abgerufen am 22.07.2024.