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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Handwerke hineinpfuschten. Waren schon im Laufe der Jahrhunderte durch
die Theilung der Arbeit und die Vervollkommnung der Gewerbe die meisten
Productionszweige gewerbsmäßig ausgebildet worden und in die Hände von
special-Arbeitern oder Handwerkern übergegangen, so war doch der härteste
Vernichtungskampf. der gegen das Spinnrad im Hause, unserem Jahrhundert
vorbehalten. Manches arme Mütterlein mußte leider darüber zu Grunde
gehen. Allein, gegen die im wahren Sinne des Wortes eiserne Nothwendig¬
keit der Maschinen anzukämpfen, ist vergeblich, denn in der Maschine arbeitet
das in Jahrhunderten verdichtete Gedankenproduct von Tausenden hervor¬
ragender Menschen. Gegen diesen Geist kann die vereinsamte mechanische
Menschenkraft auf die Dauer nicht ankämpfen. Innerhalb weniger als einem
halben Jahrhundert hat die Spinnmaschine deshalb die Hausarbeit vollständig
brach gelegt und nur in sehr wenigen entlegenen, namentlich Gebirgsgegenden
hat sich das Spinnen und die Verfertigung von Webestoffen für Wäsche und
Kleidung noch bis zum heutigen Tag erhalten.

Es kann nun keine Frage sein, daß ein Ersatz für die alte Hausarbeit
gefunden werden muß. Selbst wenn die wirthschaftliche Nothwendigkeit diesen
Ersatz nicht gebieterisch erheischt, so würde schon die Rücksicht auf eine nütz¬
liche und anregende Beschäftigung darauf hinweisen. Steht aber die Noth-
Wendigkeit einer Reform der Hausbeschäftigung fest, so ist es besser, wenn sie so
^sah als möglich geschieht, so lange die betreffenden Bevölkerungsschichten
"och bei Kräften, noch bevor sie durch die Noth an Hab und Gut, Gesund¬
heit und moralischer Kraft so herabgekommen sind. daß sie sich schwer mehr
aufraffen können. Nun steht aber einem solchen schnelleren Verlauf des Haus-
Wirthschaftlichen Umschwungs ein schwer zu überwindendes Hinderniß in der
Gewohnheit und Indolenz der Bevölkerung entgegen, welche auf keinem Ge¬
bete des menschlichen Lebens größer ist, als in der Land- und Hauswirth¬
schaft. Wir wollen an die Thatsache erinnern, daß der Bau der Kartoffel
w vielen Ländern auf Befehl der Regierung eingeführt werden mußte und
daß die Verwüstung des Brennmaterials in den südlichen Ländern der ge¬
mäßigten Zone wegen des Mangels an zweckmäßigen Heiz-Vorrichtungen noch
heutzutage eine wahrhaft beklagenswerthe ist. In Frankreich und in der
Schweiz werden heute noch in Kaminen und Kachelofen Holzmassen unnöthig
vergeudet, mit deren Werth 1--2 yet. der Bevölkerung ernährt werden könnte,
während schon seit Generationen im nördlichen Europa die Ofen- und Herd-
Einrichtungen einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht haben und nur
nachgeahmt zu werden brauchen, um diese colossale Verschwendung des Brenn¬
materials, welche überdies in Folge Ausrottung der Wälder noch andere wirth-
schaftliche Nachtheile mit sich bringt, zu verhüten. In dieser Beziehung steht
man eben vor der Thatsache, daß die Menschen in Nichts conservativer sind,


Handwerke hineinpfuschten. Waren schon im Laufe der Jahrhunderte durch
die Theilung der Arbeit und die Vervollkommnung der Gewerbe die meisten
Productionszweige gewerbsmäßig ausgebildet worden und in die Hände von
special-Arbeitern oder Handwerkern übergegangen, so war doch der härteste
Vernichtungskampf. der gegen das Spinnrad im Hause, unserem Jahrhundert
vorbehalten. Manches arme Mütterlein mußte leider darüber zu Grunde
gehen. Allein, gegen die im wahren Sinne des Wortes eiserne Nothwendig¬
keit der Maschinen anzukämpfen, ist vergeblich, denn in der Maschine arbeitet
das in Jahrhunderten verdichtete Gedankenproduct von Tausenden hervor¬
ragender Menschen. Gegen diesen Geist kann die vereinsamte mechanische
Menschenkraft auf die Dauer nicht ankämpfen. Innerhalb weniger als einem
halben Jahrhundert hat die Spinnmaschine deshalb die Hausarbeit vollständig
brach gelegt und nur in sehr wenigen entlegenen, namentlich Gebirgsgegenden
hat sich das Spinnen und die Verfertigung von Webestoffen für Wäsche und
Kleidung noch bis zum heutigen Tag erhalten.

Es kann nun keine Frage sein, daß ein Ersatz für die alte Hausarbeit
gefunden werden muß. Selbst wenn die wirthschaftliche Nothwendigkeit diesen
Ersatz nicht gebieterisch erheischt, so würde schon die Rücksicht auf eine nütz¬
liche und anregende Beschäftigung darauf hinweisen. Steht aber die Noth-
Wendigkeit einer Reform der Hausbeschäftigung fest, so ist es besser, wenn sie so
^sah als möglich geschieht, so lange die betreffenden Bevölkerungsschichten
«och bei Kräften, noch bevor sie durch die Noth an Hab und Gut, Gesund¬
heit und moralischer Kraft so herabgekommen sind. daß sie sich schwer mehr
aufraffen können. Nun steht aber einem solchen schnelleren Verlauf des Haus-
Wirthschaftlichen Umschwungs ein schwer zu überwindendes Hinderniß in der
Gewohnheit und Indolenz der Bevölkerung entgegen, welche auf keinem Ge¬
bete des menschlichen Lebens größer ist, als in der Land- und Hauswirth¬
schaft. Wir wollen an die Thatsache erinnern, daß der Bau der Kartoffel
w vielen Ländern auf Befehl der Regierung eingeführt werden mußte und
daß die Verwüstung des Brennmaterials in den südlichen Ländern der ge¬
mäßigten Zone wegen des Mangels an zweckmäßigen Heiz-Vorrichtungen noch
heutzutage eine wahrhaft beklagenswerthe ist. In Frankreich und in der
Schweiz werden heute noch in Kaminen und Kachelofen Holzmassen unnöthig
vergeudet, mit deren Werth 1—2 yet. der Bevölkerung ernährt werden könnte,
während schon seit Generationen im nördlichen Europa die Ofen- und Herd-
Einrichtungen einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht haben und nur
nachgeahmt zu werden brauchen, um diese colossale Verschwendung des Brenn¬
materials, welche überdies in Folge Ausrottung der Wälder noch andere wirth-
schaftliche Nachtheile mit sich bringt, zu verhüten. In dieser Beziehung steht
man eben vor der Thatsache, daß die Menschen in Nichts conservativer sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/161>, abgerufen am 22.07.2024.