Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschäft selbst, wie die darin beschäftigten Arbeiter viel unabhängiger von
den häufigen Schwankungen der Conjuncturen des Marktes sich behaupten
können. Denn da die Arbeiter der Hausindustrie gleichzeitig Landwirthschaft
treiben und deshalb nicht aus der Hand in den Mund leben, sondern einen
gewissen Rückhalt und einen Sparpfennig besitzen, so können sie unter schlechten
Conjuncturen auch mit geringerem Lohn vorlieb nehmen. Dadurch erhält der
Industriezweig eine zähe Dauerhaftigkeit, die den Arbeitern auch wieder einen
sicheren Rückhalt verleiht in Jahren, wo ihre Landwirthschaft von einer Mi߬
ernte oder einem anderen Naturereigniß heimgesucht wird. Dieser Art gewerb¬
licher Thätigkeit steht unserer Ansicht nach eine viel größere Anwendung
bevor, als sie bis jetzt noch gefunden hat, weil die alte Hausindustrie, da,
wo sie durch den Umschwung der Zeit zerstört, in den wenigsten Gegenden
noch durch die neue ersetzt worden ist.

Durch die erwähnte Erfindung und Einführung der Dampf-, Werkzeug-
und Fabrikationsmaschinen ist die Volks- und Hauswirthschaft seit Anfang
dieses Jahrhunderts von einer Umwälzung ergriffen worden, wie sie beim
Uebergang der großen Entwicklungsepochen der Menschheit aus dem Zeitalter
der Steinwerkzeuge in die Broncezeit und aus dieser in die Eisenperiode, wie
sie bei der Aufhebung der Sklaverei nicht größer gewesen sein kann. Bis zu
jenem Zeitpunkte wurde die Bekleidung so wie die häuslichen und landwirth-
schaftlichen Geräthe in der Hauptsache im Hause von Mitgliedern der Familie
producirt. Noch in der ersten Hälfte des Mittelalters wurde nicht blos
Bett- und Tischzeug, Leibwäsche und Frauenbekleidung, sondern auch sogar die
Männerkleidung unter Aufsicht der Hausfrau im Hause verfertigt. Bis zum
Anfange dieses Jahrhunderts aber wurde wenigstens im Hause gesponnen.
Das Spinnen war Jahrtausende lang die bevorzugte Beschäftigung des weib¬
lichen Theiles der gesammten Bevölkerung gewesen, von der armen Magd
bis zur Fürstentochter. Bei der ländlichen Bevölkerung füllt es namentlich
die lange Zeit des Winters aus und die Spinnstube spielt deshalb eine große
Rolle in der leiblichen, wie in der geistigen Thätigkeit des Landvolkes. In
früheren Zeiten war sogar das Weben in der Familie besorgt worden.
Später bildete sich dafür, sowie für die Verfertigung der Manneskleider ein
besonderer Gewerbestand aus, wie das auch mit vielen anderen Gewerbs-
zweigen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Fall gewesen war,
aber so lange wurde die alte Sitte wenigstens sporadisch erhalten, daß noch
heute Zeitgenossen namentlich in Gebirgsgegenden Hausfrauen gekannt haben,
welche nicht blos mit Hilfe ihrer Mägde spannen und strickten, woben,
sämmtliche Kleider für Weib und Mann nähten und ihr Brod selbst bücken,
sondern auch Seife und Lichter verfertigten, Bier branden. Essig bereiteten,
den Zuckerbäcker und Anstreicher machten und noch in alle möglichen andern


Geschäft selbst, wie die darin beschäftigten Arbeiter viel unabhängiger von
den häufigen Schwankungen der Conjuncturen des Marktes sich behaupten
können. Denn da die Arbeiter der Hausindustrie gleichzeitig Landwirthschaft
treiben und deshalb nicht aus der Hand in den Mund leben, sondern einen
gewissen Rückhalt und einen Sparpfennig besitzen, so können sie unter schlechten
Conjuncturen auch mit geringerem Lohn vorlieb nehmen. Dadurch erhält der
Industriezweig eine zähe Dauerhaftigkeit, die den Arbeitern auch wieder einen
sicheren Rückhalt verleiht in Jahren, wo ihre Landwirthschaft von einer Mi߬
ernte oder einem anderen Naturereigniß heimgesucht wird. Dieser Art gewerb¬
licher Thätigkeit steht unserer Ansicht nach eine viel größere Anwendung
bevor, als sie bis jetzt noch gefunden hat, weil die alte Hausindustrie, da,
wo sie durch den Umschwung der Zeit zerstört, in den wenigsten Gegenden
noch durch die neue ersetzt worden ist.

Durch die erwähnte Erfindung und Einführung der Dampf-, Werkzeug-
und Fabrikationsmaschinen ist die Volks- und Hauswirthschaft seit Anfang
dieses Jahrhunderts von einer Umwälzung ergriffen worden, wie sie beim
Uebergang der großen Entwicklungsepochen der Menschheit aus dem Zeitalter
der Steinwerkzeuge in die Broncezeit und aus dieser in die Eisenperiode, wie
sie bei der Aufhebung der Sklaverei nicht größer gewesen sein kann. Bis zu
jenem Zeitpunkte wurde die Bekleidung so wie die häuslichen und landwirth-
schaftlichen Geräthe in der Hauptsache im Hause von Mitgliedern der Familie
producirt. Noch in der ersten Hälfte des Mittelalters wurde nicht blos
Bett- und Tischzeug, Leibwäsche und Frauenbekleidung, sondern auch sogar die
Männerkleidung unter Aufsicht der Hausfrau im Hause verfertigt. Bis zum
Anfange dieses Jahrhunderts aber wurde wenigstens im Hause gesponnen.
Das Spinnen war Jahrtausende lang die bevorzugte Beschäftigung des weib¬
lichen Theiles der gesammten Bevölkerung gewesen, von der armen Magd
bis zur Fürstentochter. Bei der ländlichen Bevölkerung füllt es namentlich
die lange Zeit des Winters aus und die Spinnstube spielt deshalb eine große
Rolle in der leiblichen, wie in der geistigen Thätigkeit des Landvolkes. In
früheren Zeiten war sogar das Weben in der Familie besorgt worden.
Später bildete sich dafür, sowie für die Verfertigung der Manneskleider ein
besonderer Gewerbestand aus, wie das auch mit vielen anderen Gewerbs-
zweigen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Fall gewesen war,
aber so lange wurde die alte Sitte wenigstens sporadisch erhalten, daß noch
heute Zeitgenossen namentlich in Gebirgsgegenden Hausfrauen gekannt haben,
welche nicht blos mit Hilfe ihrer Mägde spannen und strickten, woben,
sämmtliche Kleider für Weib und Mann nähten und ihr Brod selbst bücken,
sondern auch Seife und Lichter verfertigten, Bier branden. Essig bereiteten,
den Zuckerbäcker und Anstreicher machten und noch in alle möglichen andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134506"/>
          <p xml:id="ID_461" prev="#ID_460"> Geschäft selbst, wie die darin beschäftigten Arbeiter viel unabhängiger von<lb/>
den häufigen Schwankungen der Conjuncturen des Marktes sich behaupten<lb/>
können. Denn da die Arbeiter der Hausindustrie gleichzeitig Landwirthschaft<lb/>
treiben und deshalb nicht aus der Hand in den Mund leben, sondern einen<lb/>
gewissen Rückhalt und einen Sparpfennig besitzen, so können sie unter schlechten<lb/>
Conjuncturen auch mit geringerem Lohn vorlieb nehmen. Dadurch erhält der<lb/>
Industriezweig eine zähe Dauerhaftigkeit, die den Arbeitern auch wieder einen<lb/>
sicheren Rückhalt verleiht in Jahren, wo ihre Landwirthschaft von einer Mi߬<lb/>
ernte oder einem anderen Naturereigniß heimgesucht wird. Dieser Art gewerb¬<lb/>
licher Thätigkeit steht unserer Ansicht nach eine viel größere Anwendung<lb/>
bevor, als sie bis jetzt noch gefunden hat, weil die alte Hausindustrie, da,<lb/>
wo sie durch den Umschwung der Zeit zerstört, in den wenigsten Gegenden<lb/>
noch durch die neue ersetzt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_462" next="#ID_463"> Durch die erwähnte Erfindung und Einführung der Dampf-, Werkzeug-<lb/>
und Fabrikationsmaschinen ist die Volks- und Hauswirthschaft seit Anfang<lb/>
dieses Jahrhunderts von einer Umwälzung ergriffen worden, wie sie beim<lb/>
Uebergang der großen Entwicklungsepochen der Menschheit aus dem Zeitalter<lb/>
der Steinwerkzeuge in die Broncezeit und aus dieser in die Eisenperiode, wie<lb/>
sie bei der Aufhebung der Sklaverei nicht größer gewesen sein kann. Bis zu<lb/>
jenem Zeitpunkte wurde die Bekleidung so wie die häuslichen und landwirth-<lb/>
schaftlichen Geräthe in der Hauptsache im Hause von Mitgliedern der Familie<lb/>
producirt. Noch in der ersten Hälfte des Mittelalters wurde nicht blos<lb/>
Bett- und Tischzeug, Leibwäsche und Frauenbekleidung, sondern auch sogar die<lb/>
Männerkleidung unter Aufsicht der Hausfrau im Hause verfertigt. Bis zum<lb/>
Anfange dieses Jahrhunderts aber wurde wenigstens im Hause gesponnen.<lb/>
Das Spinnen war Jahrtausende lang die bevorzugte Beschäftigung des weib¬<lb/>
lichen Theiles der gesammten Bevölkerung gewesen, von der armen Magd<lb/>
bis zur Fürstentochter. Bei der ländlichen Bevölkerung füllt es namentlich<lb/>
die lange Zeit des Winters aus und die Spinnstube spielt deshalb eine große<lb/>
Rolle in der leiblichen, wie in der geistigen Thätigkeit des Landvolkes. In<lb/>
früheren Zeiten war sogar das Weben in der Familie besorgt worden.<lb/>
Später bildete sich dafür, sowie für die Verfertigung der Manneskleider ein<lb/>
besonderer Gewerbestand aus, wie das auch mit vielen anderen Gewerbs-<lb/>
zweigen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Fall gewesen war,<lb/>
aber so lange wurde die alte Sitte wenigstens sporadisch erhalten, daß noch<lb/>
heute Zeitgenossen namentlich in Gebirgsgegenden Hausfrauen gekannt haben,<lb/>
welche nicht blos mit Hilfe ihrer Mägde spannen und strickten, woben,<lb/>
sämmtliche Kleider für Weib und Mann nähten und ihr Brod selbst bücken,<lb/>
sondern auch Seife und Lichter verfertigten, Bier branden. Essig bereiteten,<lb/>
den Zuckerbäcker und Anstreicher machten und noch in alle möglichen andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Geschäft selbst, wie die darin beschäftigten Arbeiter viel unabhängiger von den häufigen Schwankungen der Conjuncturen des Marktes sich behaupten können. Denn da die Arbeiter der Hausindustrie gleichzeitig Landwirthschaft treiben und deshalb nicht aus der Hand in den Mund leben, sondern einen gewissen Rückhalt und einen Sparpfennig besitzen, so können sie unter schlechten Conjuncturen auch mit geringerem Lohn vorlieb nehmen. Dadurch erhält der Industriezweig eine zähe Dauerhaftigkeit, die den Arbeitern auch wieder einen sicheren Rückhalt verleiht in Jahren, wo ihre Landwirthschaft von einer Mi߬ ernte oder einem anderen Naturereigniß heimgesucht wird. Dieser Art gewerb¬ licher Thätigkeit steht unserer Ansicht nach eine viel größere Anwendung bevor, als sie bis jetzt noch gefunden hat, weil die alte Hausindustrie, da, wo sie durch den Umschwung der Zeit zerstört, in den wenigsten Gegenden noch durch die neue ersetzt worden ist. Durch die erwähnte Erfindung und Einführung der Dampf-, Werkzeug- und Fabrikationsmaschinen ist die Volks- und Hauswirthschaft seit Anfang dieses Jahrhunderts von einer Umwälzung ergriffen worden, wie sie beim Uebergang der großen Entwicklungsepochen der Menschheit aus dem Zeitalter der Steinwerkzeuge in die Broncezeit und aus dieser in die Eisenperiode, wie sie bei der Aufhebung der Sklaverei nicht größer gewesen sein kann. Bis zu jenem Zeitpunkte wurde die Bekleidung so wie die häuslichen und landwirth- schaftlichen Geräthe in der Hauptsache im Hause von Mitgliedern der Familie producirt. Noch in der ersten Hälfte des Mittelalters wurde nicht blos Bett- und Tischzeug, Leibwäsche und Frauenbekleidung, sondern auch sogar die Männerkleidung unter Aufsicht der Hausfrau im Hause verfertigt. Bis zum Anfange dieses Jahrhunderts aber wurde wenigstens im Hause gesponnen. Das Spinnen war Jahrtausende lang die bevorzugte Beschäftigung des weib¬ lichen Theiles der gesammten Bevölkerung gewesen, von der armen Magd bis zur Fürstentochter. Bei der ländlichen Bevölkerung füllt es namentlich die lange Zeit des Winters aus und die Spinnstube spielt deshalb eine große Rolle in der leiblichen, wie in der geistigen Thätigkeit des Landvolkes. In früheren Zeiten war sogar das Weben in der Familie besorgt worden. Später bildete sich dafür, sowie für die Verfertigung der Manneskleider ein besonderer Gewerbestand aus, wie das auch mit vielen anderen Gewerbs- zweigen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Fall gewesen war, aber so lange wurde die alte Sitte wenigstens sporadisch erhalten, daß noch heute Zeitgenossen namentlich in Gebirgsgegenden Hausfrauen gekannt haben, welche nicht blos mit Hilfe ihrer Mägde spannen und strickten, woben, sämmtliche Kleider für Weib und Mann nähten und ihr Brod selbst bücken, sondern auch Seife und Lichter verfertigten, Bier branden. Essig bereiteten, den Zuckerbäcker und Anstreicher machten und noch in alle möglichen andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/160>, abgerufen am 22.07.2024.