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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Persönlichkeit, die damals eine Rolle spielte, verschwunden zu sehen. Die
Einen "konnten sich nicht halten", Andere trieben es bis zum offenen Ban¬
kerott , noch Andere entpuppten sich als ganz gewöhnliche Schwindler. Man
klagt immer, daß die deutschen Beamten nicht verstünden, die Sympathie der
Elsaß-Lothringer zu erwerben; sicherlich noch weit weniger aber ist -- na¬
türlich mit rühmlichen Ausnahmen -- das nach dem Kriege eingewanderte
deutsche "Bürgerthum" dazu geeignet gewesen. Im Gegentheil, die ziemlich ge¬
ringe Meinung, welche unsere ganz und gar in französischen Anschauungen
aufgewachsenen Volksgenossen vordem von uns hegten, ist noch um einige Grade
gesunken. Zur französischen Zeit galt dem Durchschnitts-Straßburger als
Typus des Deutschthums der Bürger von Kehl. Nun, die Kehler haben ihre
linksrheinischen Nachbarn für das Amüsement, das sie bei ihnen genossen, reichlich
zahlen lassen, im übrigen aber machten sie ihnen doch den Eindruck von Bie¬
dermännern, die sich untereinander höchstens über die echte "Huerelle ä'^lle-
wanä": "ob durch die Freiheit zur Einheit oder durch die Einheit zur Freiheit,"
in die Haare geriethen. Heute dagegen beurtheilt der Straßburger den Deut¬
schen schlechtweg nach dem Maßstabe derer, die er unmittelbar vor Augen hat
und wenn er dann sieht, wie so mancher dunkle Ehrenmann, nachdem es ihm
nicht gelungen, die widerhaarigen Elsässer zu rupfen, fröhlichen Muthes seine
eigenen Landsleute begaunert, so ist nur zu erklärlich, daß er von den viel-
Mühmten Tugenden der deutschen Nation eine ganz eigenartige Vorstellung
gewinnt. --

Als ein Hauptmittel, die Elsässer mit deutschem Geist und deutschem Wesen
M befreunden, sollte das Straßburger Theater dienen. Es wird für dasselbe
sogar aus den Landesmitteln die respectable Subvention von 180,000 Francs
gezahlt. Ich war längst neugierig, mit eigenen Augen zu sehen, wie das In¬
stitut die von ihm gehegten Erwartungen erfüllt. Zu meiner nicht geringen
Freude traf ich es grade, einer Festvorstellung zu Ehren des Congresses deut¬
scher und österreichischer Bienenwirthe beiwohnen zu können. Man gab die
Zauberflöte. Andächtiger Erwartung voll saß ich in dem dichtbesetzten Hause,
das wie der Phönix strahlend aus der Asche des Bombardements entstanden
ist. Die Zeit war abgelaufen, das Orchester war vollzählig beisammen, aber
Man traf keine Anstalt zum Anfang. Eine volle halbe Stunde dauerte diese
Kunstpause. Ich benutzte sie, die grenzenlose Geduld des Straßburger Pu¬
blikums zu bewundern. In der ersten Viertelstunde auch nicht ein Hauch des
Unwillens; alsdann vernahm man wohl ab und zu ein etwas unheimliches
Säuseln, aber sofort ließ ein freundlicher Clarinettist einige Läufer erschallen
und jedesmal gelang ihm glänzend der Beweis, daß man sich zur Beschwich¬
tigung der Leidenschaften in Ermangelung einer zauberischen Flöte auch eines
andern Holzinstrumentes bedienen kann. Endlich gab der Kapellmeister das


Grenzboten IV. 187S. 20

Persönlichkeit, die damals eine Rolle spielte, verschwunden zu sehen. Die
Einen „konnten sich nicht halten", Andere trieben es bis zum offenen Ban¬
kerott , noch Andere entpuppten sich als ganz gewöhnliche Schwindler. Man
klagt immer, daß die deutschen Beamten nicht verstünden, die Sympathie der
Elsaß-Lothringer zu erwerben; sicherlich noch weit weniger aber ist — na¬
türlich mit rühmlichen Ausnahmen — das nach dem Kriege eingewanderte
deutsche „Bürgerthum" dazu geeignet gewesen. Im Gegentheil, die ziemlich ge¬
ringe Meinung, welche unsere ganz und gar in französischen Anschauungen
aufgewachsenen Volksgenossen vordem von uns hegten, ist noch um einige Grade
gesunken. Zur französischen Zeit galt dem Durchschnitts-Straßburger als
Typus des Deutschthums der Bürger von Kehl. Nun, die Kehler haben ihre
linksrheinischen Nachbarn für das Amüsement, das sie bei ihnen genossen, reichlich
zahlen lassen, im übrigen aber machten sie ihnen doch den Eindruck von Bie¬
dermännern, die sich untereinander höchstens über die echte „Huerelle ä'^lle-
wanä": „ob durch die Freiheit zur Einheit oder durch die Einheit zur Freiheit,"
in die Haare geriethen. Heute dagegen beurtheilt der Straßburger den Deut¬
schen schlechtweg nach dem Maßstabe derer, die er unmittelbar vor Augen hat
und wenn er dann sieht, wie so mancher dunkle Ehrenmann, nachdem es ihm
nicht gelungen, die widerhaarigen Elsässer zu rupfen, fröhlichen Muthes seine
eigenen Landsleute begaunert, so ist nur zu erklärlich, daß er von den viel-
Mühmten Tugenden der deutschen Nation eine ganz eigenartige Vorstellung
gewinnt. —

Als ein Hauptmittel, die Elsässer mit deutschem Geist und deutschem Wesen
M befreunden, sollte das Straßburger Theater dienen. Es wird für dasselbe
sogar aus den Landesmitteln die respectable Subvention von 180,000 Francs
gezahlt. Ich war längst neugierig, mit eigenen Augen zu sehen, wie das In¬
stitut die von ihm gehegten Erwartungen erfüllt. Zu meiner nicht geringen
Freude traf ich es grade, einer Festvorstellung zu Ehren des Congresses deut¬
scher und österreichischer Bienenwirthe beiwohnen zu können. Man gab die
Zauberflöte. Andächtiger Erwartung voll saß ich in dem dichtbesetzten Hause,
das wie der Phönix strahlend aus der Asche des Bombardements entstanden
ist. Die Zeit war abgelaufen, das Orchester war vollzählig beisammen, aber
Man traf keine Anstalt zum Anfang. Eine volle halbe Stunde dauerte diese
Kunstpause. Ich benutzte sie, die grenzenlose Geduld des Straßburger Pu¬
blikums zu bewundern. In der ersten Viertelstunde auch nicht ein Hauch des
Unwillens; alsdann vernahm man wohl ab und zu ein etwas unheimliches
Säuseln, aber sofort ließ ein freundlicher Clarinettist einige Läufer erschallen
und jedesmal gelang ihm glänzend der Beweis, daß man sich zur Beschwich¬
tigung der Leidenschaften in Ermangelung einer zauberischen Flöte auch eines
andern Holzinstrumentes bedienen kann. Endlich gab der Kapellmeister das


Grenzboten IV. 187S. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/157>, abgerufen am 22.07.2024.