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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Leidenschaft, Recht zu sprechen, und zwar war er dabei so pflichteifrig, daß
er nicht nur fast jeden Tag im Senate oder auch allein auf dem Markte oder
sonstwo mit Zuziehung von Schöffen zu Gericht saß, sondern auch ganze
Nächte diesem Geschäfte widmete. Gewiß fand er er dabei bisweilen zufällig
das Rechte, aber es wird selten geschehen sein. Ein treffendes Urtheil zu
fällen ging über seine Verstandeskräfte, er entschied nach Laune und Stim¬
mung, und die Strafen, die er verhängte, überschritten häusig das gesetzlich
bestimmte Maß. Mitunter gab er sein Urtheil ab, bevor er beide Parteien,
gehört hatte, einmal formulnte er es schriftlich dahin, er trete auf die Seite
der Partei, welche die Wahrheit gesagt habe. Unser Buch ist voll von cha¬
rakteristischen Anekdoten, die ihn auch in dieser Beziehung als albern bezeichnen.
Eine gleiche Leidenschaft zeigte er für die öffentlichen Spiele, nur mußte er
sich hier mit der passiven Rolle des Zuschauers begnügen. Doch fand er da¬
bei reichlich Gelegenheit, seine Taktlosigkeit und gemeine Dummheit und die
den Blödsinnigen nicht selten begleitende Grausamkeit in hervorragendem Grade
zu zeigen. Blut und Todesqualen waren die liebste Augenweide des Idioten
im Kaiserpurpur, der dabei nicht nur der Erste und der Letzte im Zuschauer¬
raume war, sondern nicht einmal wie die Uebrigen während der Frühstücks¬
pause fortging. Wahrhaft höllisch ist die Phantasie, die er mit einer See¬
schlacht auf dem Fuciner See zu verwirklichen gedachte, wo 19,000 Sklaven
blos zur Befriedigung seiner Mordlust einander bekämpfen und, wie er hoffte,
sich bis aus den letzten Mann niedermachen sollten, doch wurde der Plan nur
zum Theil ausgeführt.

Hand in Hand mit dieser Grausamkeit ging die gröbste Sinnlichkeit, die
sich besonders in zwei Punkten zeigte, in der Völlerei und im Geschlechts¬
genuß. Man könnte zweifeln, ob seine Leidenschaft, Recht zu sprechen, größer
gewesen, als die zu fressen und zu saufen. Fast täglich wurden großartige
Gastereien, in der Regel für sechshundert Personen, veranstaltet, und die¬
selben dauerten von 4 Uhr bis Mitternacht. Von Etikette war dabei nicht
die Rede, im Gegentheil, die größten Unschicklichkeiten galten hier für erlaubt.
Der Kaiser überlud sich mit Speisen und vergaß dabei das Trinken nicht,
sodaß er gegen das Ende des Gelages gewöhnlich sinnlos benebelt rückwärts
auf sein Polster sank und mit offnem Munde laut schnarchend im Angesicht
seiner Gäste dalag. Dann entledigte sich entweder noch auf dem Polster der
überfüllte Magen von selbst seines Inhaltes, oder man gab dem Kaiser ein
Brechmittel ein oder kitzelte den offenstehenden Schlund so lange mit einem
Federbarte, bis reichliches Erbrechen erfolgte. Auf zwei Sklaven gestützt
wankte der Abscheuliche darauf nach seinem Lager, um den unterbrochner
Schlaf fortzusetzen, bis er erwachte und nach einem Weibe verlangte. Messa-
lina, welche die Befriedigung ihrer Lüste außer dem Hause suchte, fand er


Grenzbote" IV. 187b. 18

Leidenschaft, Recht zu sprechen, und zwar war er dabei so pflichteifrig, daß
er nicht nur fast jeden Tag im Senate oder auch allein auf dem Markte oder
sonstwo mit Zuziehung von Schöffen zu Gericht saß, sondern auch ganze
Nächte diesem Geschäfte widmete. Gewiß fand er er dabei bisweilen zufällig
das Rechte, aber es wird selten geschehen sein. Ein treffendes Urtheil zu
fällen ging über seine Verstandeskräfte, er entschied nach Laune und Stim¬
mung, und die Strafen, die er verhängte, überschritten häusig das gesetzlich
bestimmte Maß. Mitunter gab er sein Urtheil ab, bevor er beide Parteien,
gehört hatte, einmal formulnte er es schriftlich dahin, er trete auf die Seite
der Partei, welche die Wahrheit gesagt habe. Unser Buch ist voll von cha¬
rakteristischen Anekdoten, die ihn auch in dieser Beziehung als albern bezeichnen.
Eine gleiche Leidenschaft zeigte er für die öffentlichen Spiele, nur mußte er
sich hier mit der passiven Rolle des Zuschauers begnügen. Doch fand er da¬
bei reichlich Gelegenheit, seine Taktlosigkeit und gemeine Dummheit und die
den Blödsinnigen nicht selten begleitende Grausamkeit in hervorragendem Grade
zu zeigen. Blut und Todesqualen waren die liebste Augenweide des Idioten
im Kaiserpurpur, der dabei nicht nur der Erste und der Letzte im Zuschauer¬
raume war, sondern nicht einmal wie die Uebrigen während der Frühstücks¬
pause fortging. Wahrhaft höllisch ist die Phantasie, die er mit einer See¬
schlacht auf dem Fuciner See zu verwirklichen gedachte, wo 19,000 Sklaven
blos zur Befriedigung seiner Mordlust einander bekämpfen und, wie er hoffte,
sich bis aus den letzten Mann niedermachen sollten, doch wurde der Plan nur
zum Theil ausgeführt.

Hand in Hand mit dieser Grausamkeit ging die gröbste Sinnlichkeit, die
sich besonders in zwei Punkten zeigte, in der Völlerei und im Geschlechts¬
genuß. Man könnte zweifeln, ob seine Leidenschaft, Recht zu sprechen, größer
gewesen, als die zu fressen und zu saufen. Fast täglich wurden großartige
Gastereien, in der Regel für sechshundert Personen, veranstaltet, und die¬
selben dauerten von 4 Uhr bis Mitternacht. Von Etikette war dabei nicht
die Rede, im Gegentheil, die größten Unschicklichkeiten galten hier für erlaubt.
Der Kaiser überlud sich mit Speisen und vergaß dabei das Trinken nicht,
sodaß er gegen das Ende des Gelages gewöhnlich sinnlos benebelt rückwärts
auf sein Polster sank und mit offnem Munde laut schnarchend im Angesicht
seiner Gäste dalag. Dann entledigte sich entweder noch auf dem Polster der
überfüllte Magen von selbst seines Inhaltes, oder man gab dem Kaiser ein
Brechmittel ein oder kitzelte den offenstehenden Schlund so lange mit einem
Federbarte, bis reichliches Erbrechen erfolgte. Auf zwei Sklaven gestützt
wankte der Abscheuliche darauf nach seinem Lager, um den unterbrochner
Schlaf fortzusetzen, bis er erwachte und nach einem Weibe verlangte. Messa-
lina, welche die Befriedigung ihrer Lüste außer dem Hause suchte, fand er


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[0141] Leidenschaft, Recht zu sprechen, und zwar war er dabei so pflichteifrig, daß er nicht nur fast jeden Tag im Senate oder auch allein auf dem Markte oder sonstwo mit Zuziehung von Schöffen zu Gericht saß, sondern auch ganze Nächte diesem Geschäfte widmete. Gewiß fand er er dabei bisweilen zufällig das Rechte, aber es wird selten geschehen sein. Ein treffendes Urtheil zu fällen ging über seine Verstandeskräfte, er entschied nach Laune und Stim¬ mung, und die Strafen, die er verhängte, überschritten häusig das gesetzlich bestimmte Maß. Mitunter gab er sein Urtheil ab, bevor er beide Parteien, gehört hatte, einmal formulnte er es schriftlich dahin, er trete auf die Seite der Partei, welche die Wahrheit gesagt habe. Unser Buch ist voll von cha¬ rakteristischen Anekdoten, die ihn auch in dieser Beziehung als albern bezeichnen. Eine gleiche Leidenschaft zeigte er für die öffentlichen Spiele, nur mußte er sich hier mit der passiven Rolle des Zuschauers begnügen. Doch fand er da¬ bei reichlich Gelegenheit, seine Taktlosigkeit und gemeine Dummheit und die den Blödsinnigen nicht selten begleitende Grausamkeit in hervorragendem Grade zu zeigen. Blut und Todesqualen waren die liebste Augenweide des Idioten im Kaiserpurpur, der dabei nicht nur der Erste und der Letzte im Zuschauer¬ raume war, sondern nicht einmal wie die Uebrigen während der Frühstücks¬ pause fortging. Wahrhaft höllisch ist die Phantasie, die er mit einer See¬ schlacht auf dem Fuciner See zu verwirklichen gedachte, wo 19,000 Sklaven blos zur Befriedigung seiner Mordlust einander bekämpfen und, wie er hoffte, sich bis aus den letzten Mann niedermachen sollten, doch wurde der Plan nur zum Theil ausgeführt. Hand in Hand mit dieser Grausamkeit ging die gröbste Sinnlichkeit, die sich besonders in zwei Punkten zeigte, in der Völlerei und im Geschlechts¬ genuß. Man könnte zweifeln, ob seine Leidenschaft, Recht zu sprechen, größer gewesen, als die zu fressen und zu saufen. Fast täglich wurden großartige Gastereien, in der Regel für sechshundert Personen, veranstaltet, und die¬ selben dauerten von 4 Uhr bis Mitternacht. Von Etikette war dabei nicht die Rede, im Gegentheil, die größten Unschicklichkeiten galten hier für erlaubt. Der Kaiser überlud sich mit Speisen und vergaß dabei das Trinken nicht, sodaß er gegen das Ende des Gelages gewöhnlich sinnlos benebelt rückwärts auf sein Polster sank und mit offnem Munde laut schnarchend im Angesicht seiner Gäste dalag. Dann entledigte sich entweder noch auf dem Polster der überfüllte Magen von selbst seines Inhaltes, oder man gab dem Kaiser ein Brechmittel ein oder kitzelte den offenstehenden Schlund so lange mit einem Federbarte, bis reichliches Erbrechen erfolgte. Auf zwei Sklaven gestützt wankte der Abscheuliche darauf nach seinem Lager, um den unterbrochner Schlaf fortzusetzen, bis er erwachte und nach einem Weibe verlangte. Messa- lina, welche die Befriedigung ihrer Lüste außer dem Hause suchte, fand er Grenzbote» IV. 187b. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/141>, abgerufen am 25.08.2024.