Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.den Thron berufen. Die ersten Verlegenheiten werden von seiner Mutter aus Der Nachfolger des Tiberius war der erste römische Herrscher, in dessen den Thron berufen. Die ersten Verlegenheiten werden von seiner Mutter aus Der Nachfolger des Tiberius war der erste römische Herrscher, in dessen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134484"/> <p xml:id="ID_382" prev="#ID_381"> den Thron berufen. Die ersten Verlegenheiten werden von seiner Mutter aus<lb/> dem Wege geräumt, und er wird von ihr gedrängt, die Zügel der Regierung<lb/> in die Hände zu nehmen. Widerwillig und voll Furcht, weder den politischen<lb/> Umtrieben noch den Gefahren der Herrschaft gewachsen zu sein, besteigt er<lb/> endlich den Thron, aber nicht als stolzer Imperator, sondern als der Erste<lb/> unter Gleichen, vor denen er so ängstlich und demüthig auftritt, daß er sie<lb/> sogar als seine „Herren" anredet. Theilnehmenden Freunden gelingt es, in¬<lb/> dem die Krankheit wieder einmal abnimmt, ihm etwas mehr Lebensmuth und<lb/> Selbstvertrauen zu verschaffen, und in der Milde seiner Stimmung verwendet<lb/> er jetzt sein ganzes Bestreben darauf, Recht zu üben, eingerissene Mißbräuche<lb/> abzustellen und die Noth der Unterdrückten und Unglücklichen zu lindern-<lb/> Aber diese relative Besserung ist nicht von Dauer. Er verfällt abermals in<lb/> Verstimmung, und die schwankenden Zustände seines Gemüthes spiegeln sich<lb/> in Unentschlossenheit, in ungleichmäßiger Handhabung des Rechtes, sein Mi߬<lb/> trauen wächst und nimmt zuletzt die Gestalt des Verfolgungswahnes an.<lb/> Ueberall sieht er sich von Feinden umgeben, Ankläger werden ermuthigt, ihm<lb/> solche aufzuspüren, die Verdächtigen straft er mit Tod oder Verbannung, zehn¬<lb/> tausend Mann Soldaten scheinen nicht mehr im Stande, sein Leben zu<lb/> schützen. Da endlich entflieht er dem Sammelplatz aller Verschwörer gegen<lb/> sein Leben und sucht die Felseninsel Capri auf. Hier verfällt er in Hirnwutl)<lb/> und schließlich in ierminalen Blödsinn, wobei seine psychischen Kräfte zwar<lb/> nicht absolut darniederliegen und er noch immer regiert, seine Regierungshand-<lb/> lungen aber das Gepräge geistiger Schwäche und des Widerspruchs tragen."</p><lb/> <p xml:id="ID_383" next="#ID_384"> Der Nachfolger des Tiberius war der erste römische Herrscher, in dessen<lb/> Adern das verdorbene Blut der Claudier sich mit dem nicht weniger ver¬<lb/> dorbenen der Julier mischte. Wir geben später sein Bild nach Wiedemeister's<lb/> Darstellung in einem eignen Artikel und führen hier, um den Hauptgedanken<lb/> der hier besprochenen Schrift noch deutlicher hervortreten zu lassen, nur das<lb/> an, was unser Autor über jenes sein geistiges Familienerbtheil sagt: Caligula's<lb/> Mutter Agrippina gehörte nur dem Julischen, sein Vater Germanicus sowohl<lb/> dem Julischen als dem Claudischen Geschlechte an. Die schlimmen Eigen¬<lb/> schaften des letzteren blieben in Germanicus wie in dessen Vater latent, um<lb/> erst im Sohne und Enkel wieder hervorzutreten, und dazu kamen bei diesem<lb/> die gleich üblen Charaktereigenthümlichkeiten der Julier. Diese waren eben¬<lb/> falls eine vornehme Adelsfamilie, und es genügt, Julius Cäsar und Octavi-<lb/> anus Augustus zu nennen, um daran zu erinnern, daß sie unter ihren Ahnen<lb/> Männer von der höchsten Begabung zählten. Doch werden auch körperliche<lb/> und geistige Abnormitäten von der Familie berichtet, z. B. Schielen, Ver¬<lb/> krümmungen, Krampfkrankheiten und ein unnatürlicher Hang zu geschlechtli¬<lb/> chen Freuden. Julius Cäsar litt an Epilepsie; unter Claudius trieb sich «n</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
den Thron berufen. Die ersten Verlegenheiten werden von seiner Mutter aus
dem Wege geräumt, und er wird von ihr gedrängt, die Zügel der Regierung
in die Hände zu nehmen. Widerwillig und voll Furcht, weder den politischen
Umtrieben noch den Gefahren der Herrschaft gewachsen zu sein, besteigt er
endlich den Thron, aber nicht als stolzer Imperator, sondern als der Erste
unter Gleichen, vor denen er so ängstlich und demüthig auftritt, daß er sie
sogar als seine „Herren" anredet. Theilnehmenden Freunden gelingt es, in¬
dem die Krankheit wieder einmal abnimmt, ihm etwas mehr Lebensmuth und
Selbstvertrauen zu verschaffen, und in der Milde seiner Stimmung verwendet
er jetzt sein ganzes Bestreben darauf, Recht zu üben, eingerissene Mißbräuche
abzustellen und die Noth der Unterdrückten und Unglücklichen zu lindern-
Aber diese relative Besserung ist nicht von Dauer. Er verfällt abermals in
Verstimmung, und die schwankenden Zustände seines Gemüthes spiegeln sich
in Unentschlossenheit, in ungleichmäßiger Handhabung des Rechtes, sein Mi߬
trauen wächst und nimmt zuletzt die Gestalt des Verfolgungswahnes an.
Ueberall sieht er sich von Feinden umgeben, Ankläger werden ermuthigt, ihm
solche aufzuspüren, die Verdächtigen straft er mit Tod oder Verbannung, zehn¬
tausend Mann Soldaten scheinen nicht mehr im Stande, sein Leben zu
schützen. Da endlich entflieht er dem Sammelplatz aller Verschwörer gegen
sein Leben und sucht die Felseninsel Capri auf. Hier verfällt er in Hirnwutl)
und schließlich in ierminalen Blödsinn, wobei seine psychischen Kräfte zwar
nicht absolut darniederliegen und er noch immer regiert, seine Regierungshand-
lungen aber das Gepräge geistiger Schwäche und des Widerspruchs tragen."
Der Nachfolger des Tiberius war der erste römische Herrscher, in dessen
Adern das verdorbene Blut der Claudier sich mit dem nicht weniger ver¬
dorbenen der Julier mischte. Wir geben später sein Bild nach Wiedemeister's
Darstellung in einem eignen Artikel und führen hier, um den Hauptgedanken
der hier besprochenen Schrift noch deutlicher hervortreten zu lassen, nur das
an, was unser Autor über jenes sein geistiges Familienerbtheil sagt: Caligula's
Mutter Agrippina gehörte nur dem Julischen, sein Vater Germanicus sowohl
dem Julischen als dem Claudischen Geschlechte an. Die schlimmen Eigen¬
schaften des letzteren blieben in Germanicus wie in dessen Vater latent, um
erst im Sohne und Enkel wieder hervorzutreten, und dazu kamen bei diesem
die gleich üblen Charaktereigenthümlichkeiten der Julier. Diese waren eben¬
falls eine vornehme Adelsfamilie, und es genügt, Julius Cäsar und Octavi-
anus Augustus zu nennen, um daran zu erinnern, daß sie unter ihren Ahnen
Männer von der höchsten Begabung zählten. Doch werden auch körperliche
und geistige Abnormitäten von der Familie berichtet, z. B. Schielen, Ver¬
krümmungen, Krampfkrankheiten und ein unnatürlicher Hang zu geschlechtli¬
chen Freuden. Julius Cäsar litt an Epilepsie; unter Claudius trieb sich «n
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |