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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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von einer ähnlichen Ueberschätzung des Staatsbegriffs ausgehend, dahin, in
der Konsistorialverfassung den Ausdruck einer vollkommenen, der Idee ent¬
sprechenden Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu finden.
In der hierarchischen Verfassung stellte sich ihm die abstrakte Identität beider
im Territorialismus und Collegialismus, der sich in der Presbyterial-
und Synodalverfassung zur Geltung bringe, ihr Versuch sich von einander zu
unterscheiden, in der Konsistorialverfassung endlich ihre konkrete vermittelte
Einheit dar. So hatte für ihn die Synodalverfassung nur eine vorüber¬
gehende Bedeutung, sie war ihm nur ein Durchgangspunkt für die Konsi¬
storialverfassung.*)

Es ist eine ähnliche Begriffsbestimmung des Staats, welche Trendelen¬
burg aufgestellt hat. Er bezeichnet ihn als die Verwirklichung des univer¬
sellen Menschen in der individuellen Form des Volks.**) Diese Definition
fällt ja allerdings formell wesentlich mit der Hegel'schen zusammen, ist aber
materiell wesentlich von ihr unterschieden. Für Hegel ist der Staat der
Complex der Organe der Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung, durch
Welche sich die öffentliche Ordnung bildet und bewahrt. Trendelenburg da¬
gegen sieht im Staat das organisirte Volk, er nimmt das sittliche und geistige
Leben desselben in den Begriff des Staates auf, und was Hegel Staat nennt,
ist ihm nur ein Moment desselben. Daher hat es bei Trendelenburg einen
ganz andern Sinn, wenn er die Kirche als eine besondere Seite des Staats
ansieht, und seine Darstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche wird
uns keine Bedenken einflößen. "Wenn der Staat, sagt er, im weitern Sinne
des Wortes ein Mensch im Großen ist und alle menschlichen Richtungen sich
in ihm in der Einheit der Idee ausleben: so ist die Kirche das Organ für
die Belebung der Gesinnung aus dem Göttlichen, und die sich in der Gemein¬
schaft gleichsam objektivirende Gesinnung so gewiß sein nothwendiges Moment,
als der einzelne Mensch erst durch seine Gesinnung sittlich wird."***) "Der
Staat prägt seinen sittlichen Geist in seinen Gesetzen, seinen Einrichtungen
und in denen aus, welche sie handhaben, und es ist unmöglich, daß das
Menschliche, das sie beseelt, ohne die sittliche Gesinnung, welche die stille Em¬
pfindung eines Göttlichen in sich hat, geblieben sei. Unwillkürlich geht die
letzte Auffassung alles Sittlichen von dem, der die Institutionen einsetzt, und
von dem Volke, das sie annimmt, in sie selbst über; und insofern hat der
Staat die Richtung zur Kirche nicht außer sich, sondern in seinem Wesen;
und wenn die Kirche die Einzelnen nach dem Zuge ihrer eigenthümlichen Idee





Entwurf der praktischen Theologie. Berlin 1837. S. 110 u. d. f.
Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Aufl. 1868. S. 328.
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von einer ähnlichen Ueberschätzung des Staatsbegriffs ausgehend, dahin, in
der Konsistorialverfassung den Ausdruck einer vollkommenen, der Idee ent¬
sprechenden Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu finden.
In der hierarchischen Verfassung stellte sich ihm die abstrakte Identität beider
im Territorialismus und Collegialismus, der sich in der Presbyterial-
und Synodalverfassung zur Geltung bringe, ihr Versuch sich von einander zu
unterscheiden, in der Konsistorialverfassung endlich ihre konkrete vermittelte
Einheit dar. So hatte für ihn die Synodalverfassung nur eine vorüber¬
gehende Bedeutung, sie war ihm nur ein Durchgangspunkt für die Konsi¬
storialverfassung.*)

Es ist eine ähnliche Begriffsbestimmung des Staats, welche Trendelen¬
burg aufgestellt hat. Er bezeichnet ihn als die Verwirklichung des univer¬
sellen Menschen in der individuellen Form des Volks.**) Diese Definition
fällt ja allerdings formell wesentlich mit der Hegel'schen zusammen, ist aber
materiell wesentlich von ihr unterschieden. Für Hegel ist der Staat der
Complex der Organe der Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung, durch
Welche sich die öffentliche Ordnung bildet und bewahrt. Trendelenburg da¬
gegen sieht im Staat das organisirte Volk, er nimmt das sittliche und geistige
Leben desselben in den Begriff des Staates auf, und was Hegel Staat nennt,
ist ihm nur ein Moment desselben. Daher hat es bei Trendelenburg einen
ganz andern Sinn, wenn er die Kirche als eine besondere Seite des Staats
ansieht, und seine Darstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche wird
uns keine Bedenken einflößen. „Wenn der Staat, sagt er, im weitern Sinne
des Wortes ein Mensch im Großen ist und alle menschlichen Richtungen sich
in ihm in der Einheit der Idee ausleben: so ist die Kirche das Organ für
die Belebung der Gesinnung aus dem Göttlichen, und die sich in der Gemein¬
schaft gleichsam objektivirende Gesinnung so gewiß sein nothwendiges Moment,
als der einzelne Mensch erst durch seine Gesinnung sittlich wird."***) „Der
Staat prägt seinen sittlichen Geist in seinen Gesetzen, seinen Einrichtungen
und in denen aus, welche sie handhaben, und es ist unmöglich, daß das
Menschliche, das sie beseelt, ohne die sittliche Gesinnung, welche die stille Em¬
pfindung eines Göttlichen in sich hat, geblieben sei. Unwillkürlich geht die
letzte Auffassung alles Sittlichen von dem, der die Institutionen einsetzt, und
von dem Volke, das sie annimmt, in sie selbst über; und insofern hat der
Staat die Richtung zur Kirche nicht außer sich, sondern in seinem Wesen;
und wenn die Kirche die Einzelnen nach dem Zuge ihrer eigenthümlichen Idee





Entwurf der praktischen Theologie. Berlin 1837. S. 110 u. d. f.
Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Aufl. 1868. S. 328.
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[0131] von einer ähnlichen Ueberschätzung des Staatsbegriffs ausgehend, dahin, in der Konsistorialverfassung den Ausdruck einer vollkommenen, der Idee ent¬ sprechenden Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu finden. In der hierarchischen Verfassung stellte sich ihm die abstrakte Identität beider im Territorialismus und Collegialismus, der sich in der Presbyterial- und Synodalverfassung zur Geltung bringe, ihr Versuch sich von einander zu unterscheiden, in der Konsistorialverfassung endlich ihre konkrete vermittelte Einheit dar. So hatte für ihn die Synodalverfassung nur eine vorüber¬ gehende Bedeutung, sie war ihm nur ein Durchgangspunkt für die Konsi¬ storialverfassung.*) Es ist eine ähnliche Begriffsbestimmung des Staats, welche Trendelen¬ burg aufgestellt hat. Er bezeichnet ihn als die Verwirklichung des univer¬ sellen Menschen in der individuellen Form des Volks.**) Diese Definition fällt ja allerdings formell wesentlich mit der Hegel'schen zusammen, ist aber materiell wesentlich von ihr unterschieden. Für Hegel ist der Staat der Complex der Organe der Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung, durch Welche sich die öffentliche Ordnung bildet und bewahrt. Trendelenburg da¬ gegen sieht im Staat das organisirte Volk, er nimmt das sittliche und geistige Leben desselben in den Begriff des Staates auf, und was Hegel Staat nennt, ist ihm nur ein Moment desselben. Daher hat es bei Trendelenburg einen ganz andern Sinn, wenn er die Kirche als eine besondere Seite des Staats ansieht, und seine Darstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche wird uns keine Bedenken einflößen. „Wenn der Staat, sagt er, im weitern Sinne des Wortes ein Mensch im Großen ist und alle menschlichen Richtungen sich in ihm in der Einheit der Idee ausleben: so ist die Kirche das Organ für die Belebung der Gesinnung aus dem Göttlichen, und die sich in der Gemein¬ schaft gleichsam objektivirende Gesinnung so gewiß sein nothwendiges Moment, als der einzelne Mensch erst durch seine Gesinnung sittlich wird."***) „Der Staat prägt seinen sittlichen Geist in seinen Gesetzen, seinen Einrichtungen und in denen aus, welche sie handhaben, und es ist unmöglich, daß das Menschliche, das sie beseelt, ohne die sittliche Gesinnung, welche die stille Em¬ pfindung eines Göttlichen in sich hat, geblieben sei. Unwillkürlich geht die letzte Auffassung alles Sittlichen von dem, der die Institutionen einsetzt, und von dem Volke, das sie annimmt, in sie selbst über; und insofern hat der Staat die Richtung zur Kirche nicht außer sich, sondern in seinem Wesen; und wenn die Kirche die Einzelnen nach dem Zuge ihrer eigenthümlichen Idee Entwurf der praktischen Theologie. Berlin 1837. S. 110 u. d. f. Naturrecht auf dem Grunde der Ethik. 2. Aufl. 1868. S. 328. '*' ) a. a. O. S. 394.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/131>, abgerufen am 22.07.2024.